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Landeshauptstadt: Königlicher Segen und Rittersporn

Die Bornimer Kirche ist für die Gemeinde fast zu überdimensioniert. Die Pastorin findet das nicht schlimm. Ein großes Gotteshaus ist ein Luxus, den man sich leisten darf

Lesen Sie am Dienstag, 4. April: Diamantweg Buddhismus Potsdam

Das Erste, was man sieht, wenn man von der Autobahn nach Potsdam-Nord fährt, ist der Kirchturm, sagt  Brigitte Neumann. Die 60-Jährige ist den Weg von der Autobahn oft gekommen, seitdem sie 1994 von Bonn nach Potsdam zog. Sie brauchten damals nicht nur ein neues Haus, sondern auch eine Gemeinde. In Bornim gefiel es ihr und ihrem Mann. „Das Besondere war das Miteinander der Menschen, die engen Beziehungen. Das kannte ich so nicht, das fand ich toll“, sagt Neumann. Dann sah sie sich die Kirche an, ein – für die dörflichen Verhältnisse mächtiger – neogotischer Bau und erschrak erst mal. So dunkel! Überraschend schnell fühlte sie sich hier trotzdem zu Hause. Seit 18 Jahren ist Brigitte Neumann nun Mitglied im Gemeindekirchenrat, seit 2002 Vorsitzende. Und weiß die Sanierung des 55 Meter hohen Kirchturms, die 2013 abgeschlossen wurde, aus der Perspektive der Zugereisten und der Bornimerin zu schätzen.

Dass Turm und Kirche sich heute in einem vergleichsweise gutem Zustand befinden, ist ein Glücksfall. Ein Segen. Das Wort fällt oft, wenn man mit Gemeindemitgliedern über ihre Kirche spricht. Der Segen kam vor zwei Jahren, als überraschend Gelder aus der Stiftung Preußisches Kulturerbe, einst gesammelt für die Garnisonkirche, frei wurden. „Wir haben davon gehört und uns sofort mit angestellt“, sagt Oswald Schönherr. Er leitet des Kirchbauverein Bornim. Damals gab es 700 000 Euro für die Neueindeckung des Kirchendachs. Ohne das Geld der Stiftung, sagt Schönherr, hätte man das Dach nur sukzessive sanieren können. Das hätte ein Mehrfaches gekostet. Aber weil hinter der Stiftung der rechtskonservative Oberstleutnant a.D. Max Klaar steckte, wurde der Gemeinde vorgeworfen, sie hätte schmutziges Geld angenommen. In der Gemeinde blieb man entspannt. Gemeindekirchenrat, Pastorin und Bauverein bekräftigen bis heute: Ohne die Spende wäre das Sanierungsprojekt nie zu stemmen gewesen. „Es war damals schon zum Verzweifeln“, sagt Schönherr.

Dabei ist die Kirche gar nicht so alt – 114 Jahre werden es dieses Jahr. Bis 1901 gibt es an derselben Stelle ein Dorfkirchlein. Aber die Gemeinde wächst und stellt immer wieder Anträge für einen Neubau. Sie werden natürlich erstmal abgewiesen. Aber dann besichtigt am 14. September 1898 der Geheime Regierungs- und Baurat Ludwig von Tiedemann die Kirche und entscheidet: Hier muss neu gebaut werden. Auch damals kommt ein ordentlicher Segen von oben. Kaiserin Auguste Viktoria übernimmt das Protektorat. Die Gemeinde bekommt eine schmucke Kirche mit 700 Plätzen, zur Einweihung am 11. Juni 1903 sitzen Wilhelm II. und seine Gemahlin in der Kaiserloge vorne rechts.

Trotzdem streitet man sich anschließend noch um 2700 Mark Baukosten, eine hübsche Summe, die zuletzt doch die königliche Regierung tragen muss. Wieder Glück gehabt. Im zweiten Weltkrieg gehen nur die Fenster kaputt, das Gebäude bleibt erhalten. Was der Krieg nicht geschafft hat, schafft jedoch die DDR-Zeit. Der Turm droht in den 1970er-Jahren zu kippen und soll abgerissen werden, wird aber gerettet. Das Kirchendach wird zwar saniert – aber völlig unsachgerecht, die Ziegel werden in Beton gegossen. „Aber das Holz darunter arbeitete, da entstanden natürlich Risse“, sagt Schönherr. Das führt damals zu massiven Feuchtigkeitsschäden, auf dem Dach wuchsen sogar zarte Bäumchen.

Jetzt ist alles dicht, sogar die über die Dachfläche versprengten farbig glasierten Ziegel, das ursprüngliche Muster, sind wieder da. Bis Ostern soll das Baugerüst verschwunden sein. Als nächstes muss man an Türen und Fassade ran, sagt Schönherr, aber das geht Stück für Stück. Dieses Jahr wird zunächst das Außengelände zurecht gemacht, 17 Bäume werden gepflanzt. Zuletzt war der Kirchhof ziemlich zugewuchert, die Kirche war von der Straße kaum noch zu sehen, sagt Schönherr, es musste viel weggenommen werden. Hinter dem Pfarrhaus gibt es ja noch den riesigen Garten, so wie es damals eben üblich war, zur Selbstversorgung der Pastorsfamilie. Frau und Knecht müssen in Bornim viel zu tun gehabt haben.

Anke Spinolas Wintergemüse lagert dekorativ im Hauseingang des Pfarrhauses. Der Besucher geht daran vorbei, auch an Büro und Gemeinderaum. Gäste empfängt die Pastorin lieber in ihrer Wohnküche. Auf der Küchenbank sitzen manchmal Hochzeitspaare, manchmal Trauernde, um eine Beerdigung vorzubereiten. Gerne heizt Spinola ihre italienische Kaffeemaschine an. „Ich habe den besten Cappuccino in Bornim. Hier draußen gibt es ja sonst nichts“, sagt sie. Anke Spinola kam 2004 nach Potsdam und teilt sich die Betreuung der Gemeinden Golm, Grube und Bornim mit zwei Kollegen. Dazu kommen hin und wieder Ehrenamtliche, Prädikanten oder Pfarrer im Ruhestand wie Superintendent i. R. Oswald Schönherr. Brigitte Neumann findet die Abwechslung auf der Predigtkanzel gut. „Der Gemeindekirchenrat hat dafür gekämpft, dass hier jeden Sonntag ein Gottesdienst ist. Das ist längst nicht mehr selbstverständlich.“

Die Gemeinde selbst ist ein relativ homogenes Konstrukt. Hier gibt es noch dörfliche Strukturen, alteingesessene Familien aber auch Zuzügler. Überall durchziehen kleinere Neubaugebiete das einstige Gartendorf. In dem auch der Gartenkünstler Karl Foerster lebte. Bis heute ist die Verbindung zwischen Gärtnerei, Gartenkultur und Kirche zu spüren. Zu besonderen Anlässen wird die Kirche von den Bornimer Gärtnern geschmückt, immer dabei der Foerster-Rittersporn. Fester Feiertag ist jedes Jahr der Kirchweihtermin, dann ist die Kirche voll. An normalen Sonntagen sind es um die 20 Gottesdienstbesucher. Etwa 500 Mitglieder umfasst die Gemeinde insgesamt. Ist die Kirche, die immerhin 700 Plätze bietet, nicht mittlerweile zu groß?

„Nein“, sagt Pastorin Spinola nachdrücklich. Natürlich kann jedes Wohnzimmer zu einem Gottesdienstort werden. Aber in so einem großen Raum, mit seiner besonderen Akustik und der Freiheit, die man in ihm spürt, könne man anders über Glaubensdinge nachdenken als auf der Couch zu Hause. Das sei zwar in gewisser Weise ein Luxus, aber „das erhebt den Menschen.“ Religion darf nicht wirtschaftlichen Zwängen unterliegen, sagt sie. Dann dürfte man die Kirche auch nicht mehr beheizen. Zwar finden in der kalten Jahreszeit die meisten Gottesdienste in der sogenannten Winterkirche statt, eine mit Glasfenstern abgetrennte Empore. Aber zu besonderen Anlässen wird natürlich die ganze Kirche genutzt. Die noch originale Heizungsanlage braucht zwei Tage, um das Gebäude einigermaßen freundlich zu temperieren. Den Heizungsdienst, Kohle und Holz schippen, übernehmen Männer der Gemeinde.

Am vergangenen Sonntag ist die Kirche warm und voller als sonst. Die Konfirmanden aus Bornim, Grube und Golm, 25 sind es in diesem Jahr, stellen sich vor. Pfingsten werden sie hier alle gemeinsam konfirmiert. Nach dem Gottesdienst macht Matthias Wichmann, Mitglied im Gemeindenkirchenrat, an diesem Sonntag der Zeitumstellung noch einen Kontrollgang zur Kirchturmuhr. Auch die ist ein historischer Schatz, das mechanische Uhrwerk stammt von 1890. Alle 36 Stunden müssen die Gewichte für Uhrwerk und Schlagwerk aufgezogen werden. „Drei Minuten kurbeln“, sagt Wichmann. Den Blick über Bornim gibts gratis dazu.

Text: Steffi Pyanoe Fotos: Andreas Klaer

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