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Landeshauptstadt: Knochenarbeit

Auf dem Gelände des Bergmann-Klinikums wurden Skelette gefunden. Sie stammen wahrscheinlich aus dem 17. oder 18. Jahrhundert

Als Gundula Christl den Anruf bekam, wusste sie: Dies wird einer der spannenden Momente ihrer Arbeit. Christl ist seit 1995 als Archäologin der Unteren Denkmalschutzbehörde der Landeshauptstadt tätig, überprüft hauptsächlich Bauanträge hinsichtlich Denkmalschutzauflagen und berät die Baufirmen. An jenem Freitag vor zwei Wochen war in einer Baugrube auf dem Gelände des städtischen Bergmann-Klinikums ein Skelett gefunden worden. Entdeckt hatten es Munitionsexperten, die den Boden vor den geplanten Bauarbeiten für einen Erweiterungsbau im Innenhof der Kinderklinik untersuchten. Beim Abtragen einer Erdschicht stießen sie auf Knochen. Neben der Stadtarchäologin wurde auch die Kriminalpolizei verständigt.

Als Gundula Christl dann vor Ort die Knochen freilegte, merkte sie jedoch schnell, dass es sich nicht um einen Mordfall handelte, sondern um ein historisches Grab. Insgesamt 18 weitere Skelette wurden freigelegt. Solche Funde sind in Potsdam nicht alltäglich, sagt die Archäologin. „Die Skelette waren in Särgen auf dem Rücken und in geordneten Reihen angeordnet“, erzählt sie.

Die Art der Anordnung spreche für einen „ganz normalen“ Friedhof. Begraben wurden die Personen dort wahrscheinlich im 18. oder 17. Jahrhundert, vermutet die 57-Jährige. Sie nimmt an, dass es sich um die Überreste eines alten Hospitalfriedhofs handelt.

Im 17. Jahrhundert habe es in Potsdam in der Henning-von-Tresckow-Straße das Hospital St. Gertraud, eine Wohnstätte für alte Menschen und Einrichtung der Kranken- und Armenfürsorge, gegeben, erzählt die Stadtarchäologin. Bei einem Brand im Jahre 1679 wurde dieses zerstört. Ein neues Krankenhaus wurde auf dem heutigen Gelände des Bergmann-Klinikums errichtet. „Und zu so einem Hospital gehörte immer auch ein Friedhof.“ Ebenso wurde der zur Katharinenkirche gehörende Friedhof 1721 auf das vor den Toren der Stadt gelegene Areal verlegt, denn die Kirche musste dem Neubau der Nikolaikirche weichen. Bereits 1751 wurde die Friedhofsanlage – vermutlich war der Platz aufgebraucht – dann wieder geschlossen, ein neuer Friedhof wurde im Bereich Behlertstraße/Eisenhardtstraße angelegt. „Wir haben also eine enge zeitliche Begrenzung“, sagt Christl.

Dies mache den Fund so interessant: Denn nun lasse sich einschätzen, wo genau der Bestattungsplatz damals gelegen hat. Bekannt war bislang nur, dass sich der Friedhof in Nähe des einstigen Berliner Tors in der Berliner Straße auf Höhe der Türkstraße befunden haben muss. 1979/80 sowie 1993 wurden bereits in zirka 100 Metern Entfernung vom jetzigen Fundort Skelette gefunden und lieferten erste Anhaltspunkte. „Archäologische Ausgrabungen fanden damals aber nicht statt“, sagt Christl. Die derzeit laufenden Ausgrabungen seien die ersten fachgerechten archäologischen Untersuchungen im Bereich des Alten Friedhofs.

Aufschluss erhofft sich die Stadtarchäologin durch den Fund aber nicht nur über die genaue Lage des Hospitalfriedhofs. Anhand der Skelette könnten Anthropologen auch Rückschlüsse zum Beispiel zum Gesundheitszustand oder Ernährungsstatus der Potsdamer Bevölkerung zur damaligen Zeit der Bestattung ziehen, erklärt sie.

Mittlerweile erinnert in der 400 Quadratmeter großen Baugrube schon nichts mehr an den kleinen Sensationsfund von vor zwei Wochen. Die vom Klinikum beauftragte Ausgrabungsfirma, die Archäologie Manufaktur GmbH aus Wusterwitz, hat die Skelette gesichert und abtransportiert. Sie werden nun im Archiv der Firma untersucht. Der Ausgrabungsbericht, in dem die Funde mit Fotos exakt dokumentiert werden, soll anschließend dem Landesamt für Denkmalpflege und Archäologischem Landesmuseum in Wünsdorf (Teltow-Fläming) übergeben werden. Dort werden die Ergebnisse dann für Forschungen zu Verfügung stehen.

Dass die Baugruben vorsorglich auf Munition überprüft werden, hat übrigens einen Grund: Beim Bau der Kinderklinik musste sowohl 2004 als auch 2005 das komplette Klinikum nach dem Fund von Fliegerbomben evakuiert werden. Die Bauarbeiten an dem Erweiterungsbau, der von der Klinik für Radioonkologie und Strahlentherapie genutzt werden soll, haben sich durch den Skelett-Fund nur unwesentlich verzögert. Die Baufirma kann nach der Bergung weiterarbeiten, das Archäologenteam ist jedoch weiterhin vor Ort. „Man weiß ja nicht, was hier noch liegt“, sagt Christl.

Es werde vermutet, dass auf dem Areal bereits während des 30-jährigen Krieges Pesttote bestattet wurden. „Ich erkläre es den Baufirmen immer so: Das ist wie ein 2000-Teile-Puzzle. Davon haben wir jetzt vielleicht 20 Teile. Aber mit jedem Fund wird es etwas klarer“, sagt Stadtarchäologin Christl. Für sie und das Archäologenteam bleibt es jetzt spannend.

Anne-Kathrin Fischer

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