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Landeshauptstadt: Klinsmann wurde schon verkauft

Tschutti-Sticker sind die Panini-Bildchen der Schweiz. Im Café 11-Line ist eine Ausstellung der Kicker-Porträts zu sehen

Dem Sammelkult rund um die Panini-Stickeralben frönen nicht nur junge Fußballfans: Gerade zur WM bricht auch bei gestandenen Familien-Vätern wieder das Panini-Fieber aus und die Jagd nach begehrten Spieler-Porträts beginnt. Bei nüchterner Betrachtung muss man jedoch konstatieren, dass auf den Aufklebern nur relativ langweilige Passbild-Fotos der Kicker zu sehen sind – geht da nicht mehr?

„In einem Foto entdeckt man nicht viel Neues“, sagt auch der Berliner Grafiker Sylvestre Beucher, der für das schweizerische „Tschutti-Heftli“ das WM-Team von Bosnien-Herzegowina porträtiert hat. „Ich glaube, die Tschutti-Bilder ermöglichen noch mal einen ganz anderen Blick auf die Spieler“ Beuchers Original-Bilder sowie die Original-Porträts der Fußballmannschaft der USA, die von der Berliner Illustratorin Ruohan Wang geschaffen wurden, werden noch bis zum Ende der WM im Potsdamer Café 11-Line in der Charlottenstraße ausgestellt.

Als erfrischende Alternative zu den allgegenwärtigen Panini-Alben erfreuen sich die „Tschutti-Heftli“ – „tschuute“ ist schweizerdeutsch für „Fußball spielen“ – mittlerweile großer Beliebtheit bei vielen Fußballfans. Das Besondere der Sticker: Im Gegensatz zu den Panini-Bildern werden alle Porträts von verschiedenen Illustratoren aus aller Welt gemalt und gezeichnet – in Form von Karikaturen, Ölbildern, Comics, Collagen oder sogar Knetfiguren. Zur Europameisterschaft 2008 brachte das Magazin aus Luzern erstmals ein solches Sticker-Album heraus – mit unerwartetem Erfolg. Zur WM 2010 wurden erneut Tschutti-Sticker produziert, seit der EM 2012 gibt es die Sammelalben auch in Deutschland.

Im Café 11-Line – wo auch alle Spiele der Weltmeisterschaft übertragen werden – war man ebenfalls von der Idee der „Tschutti-Heftli“ begeistert und kontaktierte kurzerhand zwei der Künstler. Zusammen mit insgesamt 39 Künstlern aus der Schweiz, Deutschland, Portugal, England, Spanien, Brasilien und Vietnam konnten sich Wang und Beucher für die Mitarbeit beim „Tschutti-Heftli“ qualifizieren – ausgewählt wurden sie von einer Jury aus rund 400 Bewerbern, die jeweils ein Porträt des brasilianischen Weltfußballers Pelé anfertigen mussten.

Die aus China stammende Wang hätte als Deutschland-Fan eigentlich gerne Lahm und Co. in Szene gesetzt, aber die USA finde sie auch gut: „Das Spiel der USA ist kreativ und sie haben einen guten Teamgeist. Ich wollte mit meinen Bildern die Aktivität und Ernsthaftigkeit der Mannschaft ausdrücken“, sagt die Illustratorin, die seit zwei Jahren an der Universität der Künste in Berlin Visuelle Kommunikation studiert. „Außerdem ist der USA-Trainer Jürgen Klinsmann ja auch ein berühmter deutscher Fußballer.“

Im Café 11-Line hat man nun die Möglichkeit, sich die Sticker im Großformat anzusehen. Beide Porträt-Reihen zeichnen sich durch charmantes Understatement aus: Während die USA-Spieler im chinesischen Stil als Tuschezeichnungen gestaltet wurden, lässt Beucher die bosnisch-herzegowinischen Fußballer mit den Köpfen hinter einem hölzernen Bauzaun hervorschauen, auf dem die Trikots aufgemalt sind, während im Hintergrund eine Stadion-Baustelle zu sehen ist. „Ich fand es gut, die Kosten und die negativen Seiten der WM zu thematisieren“, sagt Beucher. „Außerdem werden die Bauzäune zum Zweck des Protests oft mit Graffitis besprüht.“

Diese kritische Herangehensweise passt zu Tschutti-Heftli, denn ein Teil des Erlöses aus dem Heftli- und Sticker-Verkauf geht an die Organisation „Terre des hommes Schweiz“, die sich in Brasilien für die Bildung von Bürgerkomitees einsetzt.

Die Künstler hatten jeweils drei Vorschläge äußern können, welches Team sie gerne zeichnen wollten. Frankreich war nicht in Beuchers Auswahl, obwohl er dort geboren wurde. „Ich muss nicht unbedingt Frankreich zeichnen – jeder Mensch ist interessant zu porträtieren“, sagt der Künstler. Für Bosnien-Herzegownia habe er sich unter anderem entschieden, weil es eine so unbekannte Mannschaft sei.

Bislang habe sie fast nur positive Reaktionen auf ihre Arbeit erhalten, sagt Wang: „Ich habe gehört, dass auch das Team der USA die Bilder gesehen hat und sie sehr zufrieden waren.“ Die Gäste des 11-Line sind ebenfalls angetan: Einige der Bilder haben schon einen Käufer gefunden, unter anderem das Porträt von Klinsmann. Die verkauften Bilder bleiben natürlich bis zum Ende der Ausstellung hängen.

Wer auch mit dem Sammeln beginnen möchte, kann entweder im Café 11-Line oder in der Buchhandlung Viktoriagarten in der Geschwister-Scholl-Straße „Tschutti-Heftli“ und Sticker kaufen. Zudem findet am morgigen Donnerstag um 17 Uhr – eine Stunde vor der Partie Deutschland gegen die USA – eine große Sticker-Tausch-Aktion im 11-Line statt. Weitere Tausch-Aktionen sollen laut den Café-Betreibern im Laufe der WM folgen.

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