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Klinikum "Ernst von Bergmann" in Potsdam.

© Andreas Klaer

Exklusiv

Klinikum "Ernst von Bergmann" in Potsdam: Tariflohn für mehr als 500 Mitarbeitende auf der Kippe

Stadt will für zwei Tochterfirmen eigenen Tarifvertrag statt TVöD-Rückkehr – sonst drohe die Abwicklung. Die Bürgerbegehren-Initiatoren fordern derweil eine Neubesetzung des Aufsichtsrats.

Die Stadt Potsdam muss bei der Tarifrückkehr für die Mitarbeitenden der Tochtergesellschaften Service und Catering des kommunalen Klinikums „Ernst von Bergmann“ wohl einen Rückzieher machen. Das haben rechtliche Prüfungen der Stadt als Klinikum-Gesellschafter ergeben, wie die zuständige Beigeordnete und Aufsichtsratsvorsitzende Brigitte Meier (SPD) am Montag auf PNN-Anfrage mitteilte.

Klinikum könne Mehrkosten nicht bezahlen

Derzeit gilt ein Stadtverordnetenbeschluss vom Mai 2020, wonach alle Klinikum-Töchter künftig Tariflohn (TVöD) zahlen müssen. Für Medizin und Pflege ist diese Tarifrückkehr nach Angaben des Klinikums bereits vollzogen. Bei Service und Catering, wo insgesamt nach Klinikumangaben aus dem April 2020 rund 540 Menschen arbeiten, würde die Tarifrückkehr laut Meier jedoch dazu führen, dass die Reinigungs- und Cateringleistungen wesentlich teurer würden, als sie bei externen Firmen einzukaufen wären. Aus eigenem Geld könne das Klinikum dies nicht bezahlen – und ob es kommunalwirtschaftlich zulässig ist, sei obendrein unsicher. Vor allem aber müsste das Klinikum für die Tariflöhne anderswo Geld einsparen, was vor dem Hintergrund der Mängel in Hygiene und Patientensicherheit, die der Expertenbericht zum schweren Corona-Ausbruch im Bergmann im Frühjahr 2020 mit zahlreichen Toten jüngst offen gelegt hatte, mindestens „diskussionswürdig“ sei.

Beigeordnete und Aufsichtsratsvorsitzende Brigitte Meier (SPD). 
Beigeordnete und Aufsichtsratsvorsitzende Brigitte Meier (SPD). 

© Ottmar Winter

Laut Meier gibt es derzeit zwei Szenarien für den Umgang mit der Situation: Die Tochtergesellschaften werden abgewickelt und externe Firmen mit den Leistungen beauftragt, oder Klinikum und die Gewerkschaft Verdi einigen sich auf einen regionalen Tarifvertrag, der den Mitarbeitenden mehr Geld als jetzt, aber nicht vollen TVöD-Lohn bringen würde. Vorbild könnte eventuell die Berliner Charité sein, wo gerade über einen Tarifvertrag verhandelt wird – Schlichter ist der ehemalige brandenburgische Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD).

Meier will einen regionalen Tarifvertrag verhandeln

„Mein Wunsch ist der regionale Tarifvertrag“, so Meier, „eine Abwicklung ist nicht meine Variante“. Klar sei aber: „Wenn alle dabei bleiben, dass wir TVöD zahlen müssen, wird es dazu kommen.“ Vor diesem Szenario hatte Klinikumchef Hans-Ulrich Schmidt bereits im vergangenen Jahr gewarnt – und war dafür aus der Politik heftig gescholten worden. Der regionale Tarifvertrag könnte, so Beigeordnete Meier, möglicherweise auch nur so lange nötig sein, bis Brandenburg den Mindestlohn weiter anhebt. Darauf habe man ursprünglich gesetzt, so Meier – denn bei den ursprünglich angekündigten 13 Euro Mindestlohn pro Stunde hätte der Nettobetrag des TVöD-Lohns nur zehn Cent darüber gelegen. Doch eingeführt wurde Anfang 2021 im Land nur ein Mindestlohn von 10,50 Euro.

"Aus dem Aufsichtsrat ist nichts gekommen"

Unterdessen hat die Initiativgruppe der beiden Bürgerbegehren „Gesunde Zukunft“ für Tariflohn und bessere Arbeitsbedingungen im Bergmann-Klinikum am Montag ein Positionspapier in Reaktion auf den Expertenbericht veröffentlicht. Darin fordern die Initiatoren einen sofortigen Rücktritt des Klinikum-Aufsichtsrats sowie eine paritätische Neubesetzung mit sechs statt vier Arbeitnehmervertretern. Zudem sollen Aufsichtsratsmandate maximal zwei Legislaturen ausgeübt werden können. Grund sei, so Jörg Kwapis von der Initiative, dass der Aufsichtsrat angesichts der nunmehr von Experten bestätigten zahlreichen Missstände im Klinikum nicht gehandelt habe. „Aus dem Aufsichtsrat ist nichts gekommen, das ist Versagen“, so Kwapis. „Man hat sich offensichtlich gern Kaffee servieren lassen und saß im Inner Circle, hat aber seine Aufgaben überhaupt nicht wahrgenommen.“

Initiativgruppe fordert Entlassung des vormaligen Chefs

Aufsichtsratschefin Meier wies die Rücktrittsforderung an das Gremium zurück. Es habe sich jetzt mehr als ein Jahr mit der Lage im Klinikum befasst, man befinde sich mitten in der Pandemie. Die künftige Zusammensetzung des Gremiums und die Regeln will Meier sich „in Ruhe anschauen“.

Die Initiative „Gesunde Zukunft“ fordert außerdem eine sofortige Entlassung des ehemaligen Klinikumchefs Steffen Grebner und die Rückforderung der Zahlungen an ihn. Die Stadt hatte sich bekanntlich mit Grebner „im Einvernehmen“ geeinigt, er legte seinen Posten nach mehr als sechsmonatiger Beurlaubung wegen des Corona-Ausbruchs im November 2020 nieder. Nach PNN-Informationen soll er eine Abfindung in Gesamthöhe von mehr als 450 000 Euro erhalten. Diese soll nur infrage stehen, wenn die Potsdamer Staatsanwaltschaft, die wegen des Corona-Ausbruchs wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung gegen Grebner ermittelt, Anklage erheben würde. Zum Umgang mit Grebner will die Stadt sich nicht äußern.

Sprecher der Klinikum-Geschäftsführung Hans-Ulrich Schmidt (l.) und Geschäftsführer Tim Steckel.
Sprecher der Klinikum-Geschäftsführung Hans-Ulrich Schmidt (l.) und Geschäftsführer Tim Steckel.

© Andreas Klaer

Die Initiatoren von „Gesunde Zukunft“ fordern auch mehr Personal für das Klinikum. Zudem müssten die Geschäftsführer Schmidt und Tim Steckel ihren Aussagen aus einem PNN-Interview, Stammpersonal halten zu wollen, Taten folgen lassen. 

Durch die schlechte Eingruppierung verdiene eine Pflegefachkraft mit 15 Jahren Berufserfahrung trotz TVöD 300 Euro weniger als im Städtischen Klinikum Brandenburg/Havel. Meier und das Klinikum wiesen dies erneut zurück – es gebe einen „klaren rechtlichen Rahmen“, anders gehe es nicht. Verdi-Vertreter Torsten Schulz widersprach: „Der rechtliche Rahmen ist noch da, ein Überleitungstarifvertrag ist möglich, aber auch eine Gesamtzusage des Klinikums, alle Berufserfahrungsstufen zuzusichern.“

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