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Die Kinderarmutsquote in Potsdam liegt bei 15 Prozent.

© Andreas Klaer

Kinderarmut in Potsdam: Großer Nachholbedarf bei der Chancengleichheit

Die Stadt Potsdam hat ein neues Konzept erarbeitet, mit dem vor allem die Chancen für Kinder aus finanziell schwachen Familien verbessert werden sollen. Der Bedarf an Maßnahmen ist groß, der Etat dafür aber noch überschaubar.

Potsdam - Sozialpädagogen für Kindertagesstätten, eine bessere Familien- und Berufsberatung und mehr Ganztagsangebote an Schulen: Mit solchen Maßnahmen will die Stadt Potsdam in den nächsten Jahren die Chancengleichheit von Kindern aus armen und reicheren Familien verbessern. Dafür stellte Bildungsdezernentin Noosha Aubel (parteilos) am Dienstag der Presse ein neues Handlungskonzept vor, mit dem sich nun auch die Stadtverordneten befassen sollen. Die PNN beantworten die wichtigsten Fragen.

Noosha Aubel, Beigeordnete für Bildung, Kultur, Jugend und Sport in Potsdam.
Noosha Aubel, Beigeordnete für Bildung, Kultur, Jugend und Sport in Potsdam.

© Andreas Klaer

Wie groß ist das Problem?

Die Befunde in dem Papier sind teilweise bedrückend. So sei jedes siebte Kind in Potsdam von Armut betroffen oder bedroht - bei mehr als 31 000 Kindern und Jugendlichen sind das knapp 4500 junge Menschen. Dieser 15-Prozent-Anteil von Kindern, die mit ihren Eltern Sozialleistungen beziehen, sei trotz des wirtschaftlichen Aufschwungs der vergangenen Jahre relativ konstant geblieben. Dazu komme in Potsdam eine relativ starke soziale Entmischung, die sogenannte Segregation. Das bedeutet: Ärmere Familien bleiben in den Stadtteilen überwiegend unter sich. "Was die zunehmende Segregation unter Kindern betrifft, gehört Potsdam im Vergleich von deutschen Großstädten leider zu den Spitzenreitern", heißt es in dem Konzept. Verstärkt würden die Tendenzen noch durch steigende Mieten.

Betroffen ist vor allem der Süden der Stadt. In den dortigen Plattenbaugebieten wohnen 40 Prozent der Potsdamer. Genannt werden die Stadtteile Am Stern und Zentrum Ost, noch problematischer sei die Lage am Schlaatz, in Drewitz und der Waldstadt II. "Hier ist die soziale Belastung hoch", heißt es im Papier. Das zeige sich zum Beispiel am erhöhten Anteil von Kindern mit Sprachstörungen - oder an einem geringeren Anteil von Gymnasiasten. Geprägt seien die Gebiete vom Wegzug der Mittelschicht und der Zuwanderung von Menschen in prekären Lagen. So werde Armut reproduziert. Die Folgen für die Kinder: "Sie haben schlechtere Bildungs- und gesundheitliche Chancen, ernähren sich ungesünder und leiden häufiger an psychischen Belastungen sowie an sozialer Isolation", heißt es in dem Bericht.

Wo gibt es Reformbedarf?

An vielen Stellen. So reichten die diversen sozialpolitischen Maßnahmen in besonders betroffenen Stadtteilen derzeit nicht aus, um die Benachteiligung der dort lebenden Kinder "wirksam auszugleichen", so der Befund in dem Konzept. Als Mängel im bestehenden Hilfesystem werden unter anderem eine Gießkannenversorgung statt individueller Förderung genannt, ebenso eine unübersichtliche Parallelarbeit von Hilfeprojekten - zum Beispiel in der Berufsförderung - und die mangelnde Vernetzung von Bildungseinrichtungen in die Stadtteile hinein. So müsse man zum Beispiel begrenzte Ressourcen wie Schulsozialarbeiter gezielter in besonders betroffenen Schulen einsetzen, merkte Aubel an. Ferner seien viele Hilfsangebote bei den Zielgruppen unbekannt. Zusammengetragen wurden die Erkenntnisse bei Fachtagen und in Interviews, darunter mit 20 Kindern und Jugendlichen, sagte Aubel.

Der Plan selbst hat einen langen Vorlauf: Bereits 2014 hatten die Stadtverordneten ein Konzept gegen Kinderarmut beschlossen.  Eine Studie des Wissenschaftszentrums Berlin hatte zudem vor zwei Jahren ergeben, dass die soziale Ungleichheit in bestimmten ostdeutschen Städten wie Potsdam deutlich gestiegen ist. Ein Indikator der sozialen Spaltung und fehlenden Durchmischung ist dabei auch die Beliebtheit von kostenpflichtigen Privatschulen, auf die vermögendere Familien im Zweifel ausweichen - jeder fünfte Potsdamer Schüler besucht inzwischen eine solche Einrichtung.  

Was will die Stadt unternehmen?

Aubels Team hat vier verschiedene Handlungsfelder identifiziert und jeweils erste Maßnahmen bis Ende 2021 abgeleitet. Teilweise sei man schon bei der Umsetzung, sagte sie. So soll ab Herbst 2021 ein Online-Portal wichtige Hilfsangebote für Kinder, Jugendliche und Eltern bündeln und übersichtlich darstellen. Fachkräfte in dem Bereich sollen ferner ab nächstem Jahr mit einem Newsletter über aktuelle Entwicklungen informiert werden. Ein Ziel ist es ebenfalls, Kitas zu Familienzentren aufzurüsten, um Eltern auch von dort aus besser unterstützen zu können. Dafür sieht das Konzept ab 2021 berufsbegleitende Fortbildungen für Fachkräfte vor, wofür 20 000 Euro veranschlagt sind. Langfristig sind auch Sozialpädagogen in den Kitas vorgesehen, die jeweils mit 50 000 Euro pro Jahr zu Buche schlagen - diese würden aber eben nicht kurzfristig eingestellt. Ferner könnte man Logopäden zur Sprachförderung in den Kitas einsetzen, formulierte Aubel eine weitere Idee. 

Der Maßnahmeplan kommt laut ihrem Dezernat ohne definierte Laufzeit aus - es gibt also keinen konkreten Zeitplan für die Umsetzung der Vorschläge. Vielmehr solle das Thema Chancengerechtigkeit dauerhaft ein Arbeitsthema der Stadt sein, heißt es im Konzept. Konkret werde dafür ein kontinuierliches Projektmanagement und Ergebnismonitoring initiiert, angesiedelt in Aubels Dezernat. An eigens für die Maßnahmen geplanten Finanzmitteln sind für dieses und nächstes Jahr insgesamt 200 000 Euro vorgesehen. Die Maßnahmen, die einer komplexeren Planung bedürfen, würden im "nächsten Haushaltsplanprozess beplant", heißt es im Bericht weiter. Die teureren Projekte werden also erst ab 2022 angeschoben.  Eine Gesamtsumme für alle Aktionen fehlt, dies wäre laut Konzept "unrealistisch". 

Mittelfristig will die Stadt zum Beispiel auch ein Familienbüro schaffen, dass Betroffene unterstützen soll. Dafür gibt es bereits einen Stadtverordnetenbeschluss auf Antrag des Linken-Stadtverordneten Sascha Krämer. Hierzu sind 185 000 Euro pro Jahr vorgesehen. Ein weiteres Ziel sind Unterkunftsalternativen für junge Wohnungslose, was ab 2022 rund 183 000 Euro jährlich kosten würde. Ferner sollen Schulneubauten bei Bedarf als Stadtteilschulen wie in Drewitz errichtet werden, sodass Familien "Alltagspartizipation und interessante Bildungs- und Kulturangebote erleben können". Auch an bestehenden Schulen solle das geprüft werden, damit zum Beispiel Oberschulen nicht zum "Sammelbecken" für Jugendliche mit geringen Bildungschancen werden, wie es im Konzept heißt. Auch mehr Ganztagsangebote, speziell im Grundschulbereich, sind vorgesehen - in Abstimmung mit Hortträgern, wie die Dezernentin sagte. Übergeordnetes Ziel sei auch, Hilfeangebote zielgerichteter zu steuern, so Aubel. Daran mangele es vielfach.

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Ist die Coronakrise in dem Planwerk berücksichtigt?

Ja. Die Auswirkungen der Pandemie hätten sogar zu einer Überarbeitung des Plans geführt. "Der gesellschaftliche Shutdown und das Distanzlernen haben aufgezeigt, dass es gerade für Kinder und Jugendliche mit Unterstützungsbedarf schwer ist, am schulischen Alltag zu partizipieren", heißt es in der Vorlage mit Blick auf fehlende Rechner und bildungsferne Elternhäuser. So sei nun auch die Förderung für die digitale Teilhabe zu einem festen Bestandteil des Konzepts geworden, sagte Aubel.

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