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Keine Sicherungsverwahrung: Urteil gegen Silvio S. für Laien schwer nachvollziehbar

In 20 Jahren könnte Silvio S. wieder frei sein. Aufgrund zu vieler Spekulationen hat das Gericht für den Kindermörder (vorerst) keine Sicherungsverwahrung veranlasst.

Potsdam - Zur Urteilsverkündung ist sie da. Zum ersten Mal im Revisionsprozess gegen den Mörder ihres einzigen Kindes erscheint Anita S. im Potsdamer Landgericht. Die Mutter des kleinen Elias aus Potsdam, den ihr Silvio S. auf grausamste Weise nahm, nimmt neben ihrer Anwältin auf der Nebenklagebank Platz. Schräg gegenüber und nur etwa fünf Meter von ihr entfernt sitzt Silvio S., der am 8. Juli 2015, vor fast genau vier Jahren, den damals sechsjährigen Elias von einem Spielplatz im Schlaatz entführte, missbrauchte und tötete. Jener Mann, der drei Monate später vor dem Berliner Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso) den vier Jahre alten Flüchtlingsjungen Mohamed mit einem Teddy anlockte, in seiner Wohnung in Kaltenborn (Teltow-Fläming) missbrauchte und aus Angst vor Entdeckung erdrosselte.

Mutter von Elias war im Gericht

Anita S. ist weggezogen aus dem Schlaatz, weg aus dem Viertel, wo ihr Junge direkt vor ihrem Küchenfenster verschleppt wurde und wo über Wochen fieberhaft nach Elias gesucht wurde – vergeblich. Die 29 Jahre alte Übersetzerin trägt die früher rot gefärbten Haare jetzt lila. „Kein Kommentar“, sagt sie auf die Frage, wie sie das erneute Urteil des Landgerichts bewertet, für Silvio S. vorerst keine Sicherungsverwahrung anzuordnen. Elias’ Mutter hat wie schon beim ersten Prozess 2016 ein exklusives Interview mit dem Sender RTL vereinbart, äußert sich sonst nicht. Die Nebenklage, also die Anwälte beider Opferfamilien, hatten sich dem Antrag der Staatsanwaltschaft angeschlossen und Sicherungsverwahrung gefordert. Einzig um diesen Punkt ging es bei dem Revisionsverfahren, die Verurteilung zu lebenslanger Haft von 2016 hat Bestand.

Die Mutter von Mohamed ist nicht anwesend bei der Urteilsverkündung. Beim Auftakt des Revisionsprozesses am 10. Mai hatte Aldiana J. einen sehr mitgenommenen Eindruck gemacht. Weil sie seit dem Mord an Mohamed unter Angstzuständen leide, könnten ihre anderen drei Kinder nicht mehr bei ihr leben, erzählte die Frau aus Bosnien-Herzegowina, die in der Hoffnung auf ein besseres, sichereres Leben für ihre Familie nach Deutschland gekommen war.

Mörder bleibt Antworten schuldig

Er wolle am letzten von sieben Prozesstagen das Augenmerk auf die Opfer und die Familien legen, sagt der Vorsitzende Richter Klaus Feldmann bei seiner Urteilsverkündung. Der Tod der beiden Jungen habe in Berlin und Brandenburg großes Mitgefühl ausgelöst. „Das, was Sie diesen Jungen und ihren Familien angetan haben, ist an niemandem spurlos vorübergegangen“, sagte er zu Silvio S. Der 36-Jährige – gekleidet in blaue Jogginghose und grauen Kapuzenpulli – nimmt das Urteil ungerührt zur Kenntnis, schweigt. Er gibt den Müttern nicht die Antworten, die sie bräuchten, um vielleicht ein klein wenig besser mit dem Trauma leben zu können, ein Kind auf solch brutale Weise zu verlieren. Er gibt auch dem Gericht nicht die Antworten, die es gebraucht hätte, um gesichert bewerten zu können, ob bei dem ehemaligen Wachschützer ein Hang zu schweren Straftaten vorliegt, die eine Anordnung der Sicherungsverwahrung rechtfertigen würde.

Zu viele Spekulationen

Richter Klaus Feldmann scheint sich dessen bewusst zu sein, dass das Urteil für Laien nur schwer zu verstehen, für die Familien schwer zu ertragen ist. Mehrmals spricht er von der „Volksseele“, die für solche Täter wie Silvio S. ganz andere Urteile fällen würde. Wieso wird jemand, der zwei Kinder auf ähnliche Weise missbrauchte und tötete, der betäubendes Chloroform im Auto mit sich rumfuhr, Kinderspielzeug in seiner Wohnung bunkerte, vielleicht irgendwann wieder freigelassen? Warum muss ein Kindermörder zum Schutz der Allgemeinheit nicht in Sicherungsverwahrung, von dem erfahrene Polizisten wie der damalige Ermittlungsleiter Michael Scharf sagen: „Man muss davon ausgehen, dass er weitergemacht hätte.“ Es sei damit zu rechnen gewesen, dass Silvio S. noch mehr Kinder getötet hätte – wenn ihn nicht ein Anruf seiner eigenen Mutter bei der Polizei gestoppt hätte.
Aber aus juristischer Sicht sind das zu viele Spekulationen, zu viele Vielleichts. Das Gericht muss sich auf Fakten, auf Aussagen berufen – und die gibt es nicht, weil Silvio S. seit seiner ersten Vernehmung bei der Polizei 2015 zu den Taten schweigt, sein Motiv nie verraten hat.

In etwa 20 Jahren vielleicht, wenn S. auf Bewährung aus der Haft entlassen werden sollte, soll nun noch einmal darüber verhandelt werden, ob er doch in Sicherungsverwahrung muss. Er wäre dann Mitte 50. Elias wäre 30, Mohamed 28. Sie hätten dann schon eigene Kinder haben können.

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