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Ingo und Gabriele Müller in ihrem Geschäft „Müller’s Tintenfass“ in der Wilhelmgalerie.

© Andreas Klaer/PNN

Kein Nachfolger gefunden: "Müller's Tintenfass" in der Wilhelmgalerie schließt

Bei ihnen kauften Schreibanfänger, leidenschaftliche Sammler und mancher Minister. Jetzt schließt „Müller’s Tintenfass“ in der Potsdamer Wilhelmgalerie zum Jahresende, weil sich kein Nachfolger findet.

Das große Schild „Ausverkauf“ vor dem Geschäft ist nicht zu übersehen: „Müller’s Tintenfass“ in der Wilhelmgalerie wird zum Jahresende schließen. Aus Altersgründen geben Ingo und Gabriele Müller das Geschäft auf. Keine leichte Sache: Sie gehörten vor 23 Jahren zu den ersten Mietern der damals neuen Wilhelmgalerie und vergrößerten zwischendurch sogar die Ladenfläche.

Das Geschäft laufe gut, es gebe eigentlich keinen Grund zum Aufhören – nur das Alter. Mit 69 und 66 Jahren sei es an der Zeit, kürzer zu treten, sagt Ingo Müller. Vor einem Jahr fiel die Entscheidung aber beide können sich das Ende noch nicht so richtig vorstellen. „Die Abwicklung ist mit viel Arbeit und vor allem Emotionen verbunden – es reißt uns das Herz aus.“ Auch viele Stammkunden sind zerknirscht. „Es ist sehr schade, dass sie schließen. Wenn der Laden weg ist, muss man für gutes Papier nach Berlin fahren“, sagt ein Herr.

Müllers gründeten ihr Geschäft 1976 in der Geschwister-Scholl-Straße und erinnern sich noch gut an die Zeit, als man nur mit vielen Kontakten und hohem persönlichen Einsatz an besondere Waren herankam. Nach der Wende gab es alles, Müllers starteten durch, öffneten weitere Geschäfte und einen Büro-Bedarf-Lieferdienst. 36 Angestellte waren es zuletzt.

Graf Faber-Castell war neulich persönlich da

Ihre große Leidenschaft ist das händische Schreiben mit guten Materialien. Bei ihnen gab und gibt es hochwertige Schreibgeräte, für die Marken Mont Blanc und Graf von Faber-Castell sind sie sogar die einzigen Vertreter in Brandenburg. Mit manchen Herstellern verbindet sie mittlerweile eine Freundschaft. „Graf von Faber-Castell war vor kurzem da, um sich von uns persönlich zu verabschieden“, sagt Ingo Müller. 

Neben Füllhaltern führen sie ein großes Sortiment an Papier- und Buchbinderwaren. Handgefertigte Fotoalben mit Naturpapier, Gästebücher mit Ledereinband, Mappen, Tagebücher, und Briefpapier gehörten zum Sortiment, Kunden aus ganz Brandenburg schätzten das. Der Kreis an Stammkunden war groß: Strategisch perfekt gelegen auf halber Strecke zwischen Rathaus und Landtag kauften bei Müllers auch Minister und ihre Büros schöne Füller. Gerne wurden Geschenke für besondere Gäste bestellt.

Für eine Königin – Müller kann sich nicht mehr erinnern, wer es war – fertigte er eine komplette Schreibtischausstattung, die er zum Hotel Cecilienhof lieferte. Und wenn in einem Potsdamer Tagungshotel Politiker zu Gast waren, kamen Anrufe, ob er nicht mal eben schnell dies uns das zusammenstellen könnte. So ein Service war ihnen selbstverständlich. Verschwiegenheit auch. Namen prominenter Kunden nennt Müller nie. Ganze Berufsgruppen, Anwälte, Notare, Unternehmer, schätzten das „Tintenfass“, wo es dokumentenechte Tinte gab und immer Zeit war für Beratung – und eine Schreibprobe. Damit man in Ruhe fühlen konnte, ob der Stift zu einem passte.

Er reinigte die Füller für das Goldene Buch

„Ich verkaufe eigentlich eine Philosophie“, sagt Müller. „Schreiben von Hand ist doch ein ganz anderes Erlebnis.“ Er beriet Sammler genauso geduldig wie Anfänger, die sich hier ihre erste schöne Schreibausstattung leisteten. In Erinnerung wird ihm auch die Stadtverwaltung bleiben. Regelmäßig musste er Füller reinigen, die für die Eintragung ins Goldene Buch der Stadt benutzt wurden. „Weil sie die falsche Tinte nahmen!“ Das Problem: Statt blauer sollte es schwarze sein, aber die beinhalte Rußpartikel, die mit der Zeit eintrocknen und sich ablagern. „Ein Füller ist wie ein Auto, den muss man benutzen, nicht liegen lassen.“

Die Papeterie, in der auch Kleinigkeiten zelebriert wurden, meterweise Geschenkband, einzelne Papierbögen, handgeschöpft oder Notenpapier sowie Karten für alle möglichen Anlässe, war ihr zentrales Geschäft, auf das sie sich in den letzten Jahren konzentrierten. Gerne hätten sie es an einen Nachfolger übergeben – aber es fand sich keiner. Über die Gründe können sie nur spekulieren. Vielleicht ist es zu viel Arbeit, vielleicht ist die Zeit heute eine andere. Noch wäre es nicht zu spät, wenn sich jemand für ihr „Tintenfass“ berufen fühlte, sagen sie – es würde sie sehr freuen. „Man braucht vor allem eine Affinität zu schönen Schreibgeräten – das Fachwissen kann man sich aneignen.“

Bis Ende Dezember ist das Geschäft noch geöffnet, Kunden können in den kommenden Wochen auch weiterhin Reparaturen beauftragen oder Bestellungen aufgeben. Im Oktober wird zudem noch einmal große Weihnachtsdeko aufgefahren – es soll kein trauriger Abschied werden.

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