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Arbeitstreffen. Eine Liste mit 469 Namen sowjetischer Häftlinge übergab Gedenkstättenleiterin Ines Reich (r.) an Memorial-Chefin Elena Zhemkova (M.) und den Historiker Nikita Petrov (l.). Memorial will helfen, die Schicksale der Häftlinge zu erforschen.

© Andreas Klaer

Landeshauptstadt: „Kein Mensch darf vergessen werden“

Die Gedenkstätte Leistikowstraße kooperiert mit der russischen Menschenrechtsorganisation Memorial

Es war eine langwierige Detektivarbeit – und doch nur der erste Schritt: Gefangenenlisten mit rund 10 000 Namen durchforsteten Ines Reich, die Leiterin der Gedenkstätte KGB-Gefängnis Leistikowstraße, und die Historikerin Natalja Jeske im russischen Staatsarchiv in Moskau nach Hinweisen auf Häftlinge aus dem Gefängnis der sowjetischen Militärspionage in Potsdam. Bei 469 Namen gab es einen Treffer: Von Potsdam oder der Leistikowstraße ist dabei aber nichts zu lesen, Reich und Jeske konnten die Spur an die Havel stattdessen anhand der verwendeten Stempel oder der Unterschriften der Potsdamer Gefängnis- und Vernehmungschefs nachverfolgen. Bei den Unterlagen handelt es sich um Überstellungslisten aus dem Speziallager Torgau aus den Jahren 1945 bis 1948 – für die Häftlinge damals eine Zwischenstation auf dem Weg in die Sowjetunion.

Die erarbeitete Namensliste hat Ines Reich am gestrigen Dienstag an Gäste aus Moskau übergeben: Elena B. Zhemkova, die Geschäftsführerin der internationalen Organisation Memorial Moskau e.V., und den Memorial-Historiker Nikita Petrov. Zhemkova und Reich unterzeichneten zugleich eine Kooperationsvereinbarung: Memorial soll demnach helfen, die Schicksale der erstmals namentlich bekannten sowjetischen Häftlinge aus der Anfangszeit des Gefängnisses zu recherchieren. Die Ergebnisse könnten später in einer Sonderausstellung gezeigt werden, sagte Reich. „Kein Mensch darf in Vergessenheit geraten und verloren gehen“, sagte Zhemkova.

Die Memorial-Chefin nutzte den Termin für kritische Worte in Richtung der russischen Regierung. Wie berichtet steht Memorial ein Gerichtsprozess in Moskau bevor, Ziel ist das Verbot der Menschenrechtsorganisation (siehe Kasten). Die Auseinandersetzung mit geschehenem Unrecht, wie es sich Memorial zur Aufgabe gemacht hat, sei aber wichtig, betonte Zhemkova: „Wenn wir möchten, dass sich Verbrechen nicht wiederholen, müssen wir darüber reden und auch den Ursachen nachgehen.“

In Russland werde das nicht gern gesehen: „Es ist zwar nicht verboten, die Toten zu beweinen, aber es ist unerwünscht, über Verbrechen zu reden.“ Selbst an den wenigen Orten, wo an die Opfer von Stalins Terrorregime erinnert wird, wie im Gulag-Museum Perm-36, mische sich die Regierung ein „und möchte diktieren, wie das Museum auszusehen hat“, fügte Historiker Nikita Petrov hinzu. Petrov hatte bereits für die 2012 eröffnete Dauerausstellung in der Leistikowstraße – an der es bekanntlich Kritik von Opfervertretern gibt – die Schicksale von drei Häftlingen recherchiert.

Zhemkova lobte ausdrücklich das langjährige Engagement von Ehrenamtlern, die das ehemalige Gefängnis nach Abzug der Sowjettruppen als Gedenkort erhalten haben – und die öffentliche Unterstützung von Stadt und Land für die heutige Gedenkstätte. „In Russland kann man von solchen Zuständen leider nur träumen.“ Die Memorial-Chefin hofft durch die Kooperation mit Potsdam auch auf „positive Impulse für die Arbeit in Russland“. So gebe es etwa viele Orte des Terrors in Russland, wo die Schicksale deutscher Bürger recherchiert werden könnten. Denkbar sei auch eine weitere Recherche nach Potsdamer Häftlingen auf den Transportlisten vom Lager Sachsenhausen – doch dafür müssten zunächst Listen über rund 60 000 Gefangene durchforstet werden, sagte Ines Reich.

Leicht wird auch die jetzt vereinbarte Recherche-Arbeit nicht. Denn von den Häftlingen ist wenig mehr als der vollständige Name und das Geburtsjahr bekannt – teilweise gebe es noch Vermerke zum Tribunal und dem verhängten Strafmaß. Die Memorial-Historiker wollen ihre in den vergangenen 25 Jahren erstellten Datenbanken nach Hinweisen auf die Gefangenen aus Potsdam durchsuchen, wie Zhemkova ankündigte. Rund drei Millionen Namen von Verfolgten des Sowjetregimes hat Memorial eigenen Angaben zufolge bereits in Datenbanken zugänglich gemacht. In einem zweiten Schritt soll auch in Archiven weiter nach den Potsdamer Namen gesucht werden.

Je nachdem, wie ergiebig diese Suchen sind, könnten die Ergebnisse dann in einer Sonderausstellung gezeigt werden. Die Namen sollen in jedem Fall in das elektronische Haftbuch des Hauses in der Leistikowstraße fließen, sagte Ines Reich. Darin wären dann mehr als 1000 namentlich bekannte Häftlinge verzeichnet. Das sei „ein Riesenentwicklungsschritt“ im Vergleich zu 2009, als die Gedenkstätte unter das Dach der Brandenburgischen Gedenkstättenstiftung kam, wie Reich erinnerte: Damals waren lediglich 60 Namen von deutschen Häftlingen und zehn Namen von sowjetischen Häftlingen bekannt.

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