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Landeshauptstadt: Kein Grund zum Meckern

Wie Tausende Brandenburger ihren neuen Landtag erkundeten

Alle wollten rein – und alle kamen rein. Zur Eröffnung des neuen Brandenburger Landtags am Wochenende war mit einem großen Besucheransturm gerechnet worden. Vor allem am Samstag wollten viele Bürger das neue, das größte Haus am Platz endlich von innen sehen. Und obwohl die kostenlosen Eintrittskarten zwischenzeitig wie heiße Ware gehandelt wurden, musste niemand draußen bleiben. Zusätzliche Karten waren ab dem Samstagnachmittag ohne viel Warten zu bekommen. Und mit dem Bürgerbesuch wurde aus dem Potsdamer Schloss endgültig der Brandenburger Landtag.

DRAUSSEN VOR DEM TORE

Zwei Damen aus Brück stellten sich um 9.30 Uhr als erste an, bald bildete sich eine Besucherschlange quer über den Alten Markt. „Wir wollen mal sehen, was aus unseren Steuergeldern geworden ist“, sagte Margrid Brilka. Den Gästen kroch die frische Kälte des sonnigen Tags in die Knochen, während feierliche Worte vor dem Fortunaportal fielen. „Ein wundererbarer Tag für Brandenburg, das ein Haus bekommt, das diesem Land Land würdig ist“, sagte Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD). Die Hände auf dem Rücken gab sich auch Finanzminister Helmuth Markov (Die Linke) feierlich und schwärmte über die Genialität des neuen Gebäudes. Es sei eine tolle Leistung, das Haus in drei Jahren gebaut zu haben, sagt er und wollte dem Architekten Peter Kulka am liebsten den Nobelpreis verleihen. Fast andächtige Stille herrschte, als dieser dann sprach. Ein Schloss zu bauen, das es nicht mehr gab, mit vergessenen Handwerkskünsten und einem knappen Budget, davor sei ihm Bange gewesen. „Aber wir haben es gewagt“, sagte Kulka und ergänzte: „Es darf gemeckert werden, aber seien Sie gnädig!“

BEGEISTERTE GÄSTE

Meckern wollten am Eröffnungswochenende die wenigsten. Hausherr Landtagspräsident Gunter Fritsch (SPD) öffnete um 10.24 Uhr das Tor, als erstes marschierten Delegationen der Landkreise und kreisfreien Städte zu Marschmusik und dem Tequila-Song, gespielt vom Landespolizeiorchester, in den Innenhof. Von den 11 000 Besuchern allein am Samstag waren die meisten begeistert. Eine wunderbare Kombination aus Alt und Neu, außen prächtig historisch, innen modern und schlicht, fast bescheiden, so die einhellige Meinung. Viele wunderten sich über die einfach ausgestatteten, kleinen Büros der Abgeordneten. „Mein Arbeitszimmer war größer“, sagte ein Ruheständler aus Beelitz. Viele kamen von weit her, aus ganz Brandenburg, und viele in größeren Gruppen, mit Vereinsfreunden, Stammtischrunden, Familienverbänden. Auch Schüler des Kurses Politische Bildung vom Potsdamer Humboldtgymnasium waren unter den ersten Gästen, und Mädchen und Jungen vom Strausberger Kinder- und Jugendparlament. Die lösten im Flur der SPD-Fraktion gleich ein Preisrätsel. Auch die anderen Fraktionen boten Unterhaltungsprogramm, bei den Linken konnten Nistkästen aus Holz gebastelt, bei der FDP Wünsche auf eine Pinnwand geschrieben werden. Luftballons, Gummibärchen, Kugelschreiber und Broschüren wanderten in große Tüten – wenn man schon mal hier war. „Wir gehen heute noch schön essen und einkaufen“, sagte ein Paar aus Beelitz, das spontan nach Potsdam gefahren war, weil sie im Fernsehen gehört hatten, dass es noch Karten geben sollte.

POLITISCHE PROMINENZ

Doch das Wichtigste war den Gästen die Besichtigung des Landtags samt politischer Prominenz, darunter neben den aktuellen Nutzern viele ehemalige Abgeordnete und Minister wie Ex-Agrarminister Edwin Zimmermann (SPD), der nachdenklich sagte: „Wir hätten das viel früher machen sollen.“ Gleich zwei ehemalige Ministerpräsidenten, Manfred Stolpe und Matthias Platzeck mit Ehefrau Jeannette und mischten sich unter die Gäste. Vor dem Büro von Platzeck als auch seines Nachfolgers Woidke bildeten sich schnell Schlangen. Viele wollten ein Autogramm auf die Eintrittskarte oder ein Foto. Regierungsprecher Thomas Braune half beim Knipsen des Ministerpräsideten. Die Büros der wichtigen Personen, Fraktionsräume und natürlich der Plenarsaal waren die Haupt-Magneten. Manch einer hätte sich gern in einen Abgeordneten-Sessel gesetzt, die waren aber abgesperrt.

NEUE BARRIEREFREIHEIT

Wo beginnt der Rundgang, wo ist der Plenarsaal, wo sind Toiletten – das waren die Fragen, die die Damen am Infotresen und etwa 200 angeheuerte und geschulte Servicekräfte freundlich beantworteten. Sie habe schon zwei Landtags-Umzüge mitgemacht, sagte eine Verwaltungsmitarbeiterin. Von Anfang an arbeite sie im Landtag. Für ihren Einsatz an der geöffneten Tür im Foyer hatte sie ihre warme Skihose mitgebracht. Die Besucher, ob zu Fuß, mit Rollator, Rollstuhl oder Kinderwagen, kamen gut voran. Im alten Landtagsgebäude hatte es keinen Fahrstuhl gegeben, der neue hat gleich mehrere. Die Flure sind breit und schwellenlos.

FOTOMOTIV HITLERBILD

Für Verunsicherung sorgte bei einigen Besuchern die gegenwärtige Kunstausstellung auf den Fluren. „Vorbilder – Nachbilder – Gegenbilder“ heißt die Sammlung von 112 Porträts des Malers Lutz Friedel. Gleich gegenüber des Plenarsaals hängt für ein Jahr „Selbst als Helge Schneider als Hitler“, am Wochenende ein beliebtes Fotomotiv. Nicht jeder findet das passend. Dass Friedel auch Göbbels und Hitler gemalt und zwischen Künstlern, verdienten Politikern und Opfern platziert hat, sei „ein Unding“, hieß es beispielsweise. Man könne nicht Kommunisten und Fachisten nebeneinander hängen, sondern müsste wenigstens „nach gut und Böse sortieren“, befand ehemaliger LPG-Vorsitzender. Neben dem umstrittenen Hitler-Bild war ein Video mit der Erklärung Friedels zu sehen, Broschüren dazu wurden verteilt. „Das gehört zu unserer Geschichte, und ob wir es negieren oder nicht – wir und unsere Kinder müssen damit leben“, sagte ein Besucher. Die meisten indess waren unentschlossen: „Das ist nicht Hitler sondern eindeutig Helge Scheider“, sagte ein Dame. Aber: „Helge Schneider macht den Hitler auch nicht besser.“

KLEINE ZWISCHENFÄLLE

Auch wenn der Landtag zum ersten Mal am kommenden Dienstag tagt, wird dort bereits lange gearbeitet. Am Eröffnungswochenende legten die Reinigungskräfte eine Sonderschicht ein, für den feierlichen Anlass in rote Uniformen gekleidet. Fünf Mann der Potsdamer Berufsfeuerwehr, darunter zwei Rettungssanitäter, waren auf alles vorbereitet – von der Entbindung bis zum Knöchelbruch oder einer eventuellen Evakuierung. Und tatsächlich gingen in der dritten Etage die Rauchmelder los, weil in zwei Teeküchen die Mikrowellen brannten. „Ein übler Scherz“, vermutete man. Die Brände konnten schnell gelöscht werden, doch noch lange hing ein leichter Brandgeruch in der Luft, kurzzeitig sei die dritte Etage gesperrt gewesen, sagte ein Feuerwehrmann. Das große Aufräumen nach den mehr als 22 000 Besuchern beginnt erst in dieser Woche, eine Malerfirma ist beauftragt, die weißen Wände aufzufrischen, wo es nötig ist, sagte ein BAM-Mitarbeiter.

SICHTEN UND SICHTACHSEN

Rund um den Knobelsdorff-Nachbau mit der Adresse Am Alten Markt 1 herrschte zeitweise Volksfeststimmung. Auf einer riesigen Leinwand wurde Videomaterial aus der Bauzeit gezeigt. Cateringzelte boten Verpflegung, in einem großen, warmen Zelt sammelte der Verein Mitteschön Stimmen für die Rückkehr der originalen Attika-Figuren aus Berlin auf den Schloss-Bau. Am Nachmittag signierte dort Finanzminister Helmuth Markov das neue Buch zum Schloss. Die BAM zeigte eine Ausstellung und am Stand vom Fläminger Genussland gab es regionale Produkte, Öle, Gewürze, Konfitüren. Mit seiner großartigen Aussicht warb am Wochenende das Hotel Mercure gleich gegenüber. In der 17. Etage gab es bei Kaffee, Kuchen und Sekt einen tollen Blick weit ins Umland. Viele Gäste suchten dort für ein paar Minuten Ruhe, fotografierten in alle Himmelsrichtungen – und natürlich das Schloss von oben. Ein junges Paar aus Babelsberg überbrückte dort die Zeit bis zur Besichtigung. Zuvor waren sie im Potsdam Museum gewesen. „Da war wenig los, wir hatten das Museum fast für uns allein“, sagte Alexa Küther. Am Sonntag bot Jörg Kirschstein, Hohenzollernexperte aus Potsdam, zwei Führungen rund um das Schloss an. „Beide sind ausverkauft“, sagte Kirschstein, dessen Buch über die Historie des Schlosses im März erscheint. Das neue alte Schloss bot indes auch völlig neue Sichtachsen über die altbekannte Stadtmitte. Von der Dachterrasse schauten Besucher zur Aussichtsplattform der Nikolaikirche – und umgekehrt.

WEISSER ADLER – ROTER ADLER

Im Landtag selbst wurde die moderne Architektur sehr wohlwollend zur Kenntnis genommen. „Das Treppenhaus schwebt förmlich im Raum“, sagte ein Besucher begeistert. Statt des weißen Adlers im Plenarsaal hätten viele jedoch lieber das rote Brandenburger Original. Architekt Peter Kulka, der stets seinen weißen Adler auf weißem Grund verteidigt hatte, sagte am Samstag: „Wenn Sie ihn unbedingt rot streichen wollen, dann ist es mir auch egal.“ Der erste, der dann klatschte, war Manfred Stolpe. (mit thm)

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