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Landeshauptstadt: „Kein anderes Schloss wurde in diesem Maße fremdgenutzt“

Der Historiker und Autor Jörg Kirschstein über die Geschichte des Stadtschlosses nach dem Auszug der Hohenzollern 1918 bis zum Abriss 1959/60

Herr Kirschstein, das letzte Buch zur Geschichte des Potsdamer Stadtschlosses vom langjährigen Schlösserstiftungschef Hans-Joachim Giersberg ist gerade mal 15 Jahre alt. Wieso ein neues Stadtschlossbuch?

Während es Professor Giersberg eher um die Baugeschichte ging, geht es mir in erster Linie um die Nutzungsgeschichte. Da blieb für die Zeit nach Friedrich dem Großen im 18. Jahrhundert noch vieles im Dunkeln. Da konnte ich völlig neu ansetzen.

Sie laden den Leser ein auf einen Hausbesuch bei den Hohenzollern?

Ja, das ist die eine Seite. Die Frage zum Beispiel, wo Voltaire geschlafen hat, ob er überhaupt im Stadtschloss gewohnt hat, das fand ich interessant. Aber auch für die Zeit nach Friedrich dem Großen: Wie ist das Haus genutzt worden, wer hat da gewohnt, wo lagen die königlichen Appartements von Friedrich Wilhelm III. und von Königin Luise, wo fanden die Prinzentaufen statt und wie lief das genau ab? Das Stadtschloss wurde ja bis 1918 noch genutzt als Wohnschloss der Hohenzollern.

Als Herz des Baus galt die Wohnung Friedrichs des Großen.

Seine Wohnung lag in der Beletage, sechs Zimmer im östlichen Flügel zur Humboldtstraße und Langen Brücke hin. Sie galten als herausragende Kunstwerke des friderizianischen Rokoko. Interessanterweise blieben sie auch nach dem Tod Friedrichs unangetastet.

Warum?

Aus Pietät. Sie wurden zu einer Art Gedächtnisort, weil Friedrich schon damals der Star der Familie war. Seine Nachfolger wohnten in anderen Teilen des Schlosses. In Friedrichs Arbeits- und Schlafzimmer fanden aber zum Beispiel königliche Taufen statt.

Nach dem Zusammenbruch des Kaiserreichs wurde das Schloss 1918 verstaatlicht – und Parlamentssitz, wie heute.

Ja, das ist fast eine Wiederholung. Die Stadtverordnetenversammlung tagte damals dort.

Wie kam es dazu?

Die Stadtverwaltung und die Stadtverordneten hatten immer schon Platzprobleme, wollten ein neues Rathaus bauen, wollten das Alte Rathaus ausbauen, der Palast Barberini sollte ausgebaut werden. Es gab schon Pläne, aber der Erste Weltkrieg kam dazwischen. Da kam es gut gelegen, dass der Kaiser weg war. Erst sollte das Schloss noch für Kleinwohnungen genutzt werden, aber um das zu verhindern, wurde dann ein Verwaltungssitz daraus gemacht.

Musste das Schloss dafür umgebaut werden?

Man brauchte vor allem einen Sitzungssaal, der Marmorsaal war dafür nicht geeignet. Man hat dann den Kopfbau des östlichen Flügels, der zur Humboldtstraße und zum Alten Markt hin geht, entkernt. An dieser Stelle war früher das Schlosstheater, später Wohnräume. Alexander von Humboldt

... der berühmte Gelehrte und Weltreisende...

hat da in den 1840er-Jahren gewohnt, später Angestellte der Schlösserverwaltung und der Kastellan. Die wurden 1918 alle entmietet. Der Potsdamer Architekt Reinhold Mohr, der unter anderem den Musikpavillon am Luftschiffhafen gebaut hat, hat den Sitzungssaal entworfen. Er war mit 190 Quadratmetern nicht allzu groß, es gab eine Pressetribüne oben. Witzig ist auch die Geschichte der Stühle im Saal.

Die sehen historisch aus.

In den wenigen Akten, die dazu im Stadtarchiv erhalten sind, lässt sich die Geschichte nachverfolgen: 1919 war man unter Zeitdruck, die erste Sitzung stand ins Haus, auf eine neue Bestuhlung wollte man nicht warten. Da kam man auf die Idee, die vorhandenen Stühle aus dem Schloss zu nehmen. Die Stadtverwaltung fragte dann bei den Hohenzollern nach, ob man die abkaufen könnte – obwohl ja alles schon verstaatlicht war. Aber da war man noch dem alten Trott verhaftet. Es gab dann einen findigen Hofmarschall, der hat sich die Stühle noch mal gut bezahlen lassen.

Was kam sonst noch im Schloss unter?

Im Erdgeschoss im westlichen Flügel, mit dem Eingang vom Alten Markt her, war zum Beispiel das Arbeitsamt. In die ehemalige große Hofküche im selben Flügel zog die städtische Suppenküche ein.

Die Armen wurden von der ehemaligen königlichen Küche bekocht?

Ja, die Ausstattung war noch gut. Leider gibt es keine Fotos, wo man sieht, wie dort die Menschen stehen und essen.

Wie muss man sich den Betrieb vorstellen?

Da wurden pro Tag 2000 Essen kostenlos ausgeteilt. Das führte 1932 zu einem Konflikt: Denn direkt darüber lagen die Räume der Königin Luise und die sollten zu Pfingsten als Museum geöffnet werden. Ernst Gall, der Direktor der Schlösserverwaltung, wollte, dass die Armenküche verschwindet, weil es so unangenehm rieche. Dann gab's da Aufstände: Erst eine Demonstration, dann kamen die Leute in die Büros der Verwaltung und protestierten.

Wie ging die Sache aus?

Die Suppenküche blieb – aber man musste Geld zahlen, zehn Pfennig pro Essen. Dadurch hat sich die Zahl der Speisenden von 2000 auf 300 reduziert.

Welche Rolle spielte das Stadtschloss unter den Nationalsozialisten?

Er galt als Vorzeigebau, die Kreisleitung der NSDAP war dort untergebracht, der Oberbürgermeister und die ganzen Nazi-Ämter. Die Suppenküche und das Arbeitsamt mussten ausziehen. In die Räume des Arbeitsamtes zog der Verkehrsverein, der für den Tourismus zuständig war.

Auch NS-Reichsmarschall Hermann Göring besuchte das Stadtschloss.

Er kam am 9. März 1934 zur Amtseinführung des Nazi-Oberbürgermeisters Hans Friedrichs. Das war die erste Amtseinführung, an der Göring teilnahm, und er hat sich bewusst Potsdam ausgewählt, um die enge Verbundenheit mit der einstigen Residenzstadt zu unterstreichen, wo im Jahr zuvor am „Tag von Potsdam“ der neue Reichstag eröffnet worden war. An diesem Tag ist Göring auch zum Ehrenbürger ernannt worden.

Nach den Jahren des eher pragmatischen Umgangs mit dem Stadtschloss während der Weimarer Republik besann man sich unter den Nationalsozialisten wieder auf den berühmtesten Bewohner, Friedrich II. Wieso?

Friedrich war ein erfolgreicher Feldherr, das wurde unter den Nazis missbraucht. Es gab zum Beispiel Fotomontagen, die Friedrich, Hindenburg und Hitler gemeinsam zeigen. Hitler wollte sich bewusst in das Erbe Friedrichs setzen. Das Schloss als Winterresidenz Friedrichs des Großen, das hatte für die Nationalsozialisten einen besonderen Klang.

Beim Bombenangriff am 14. April 1945 wurde das Schloss getroffen und brannte aus – stand aber noch mehr als 15 Jahre als Ruine. Wieso zögerte die DDR-Führung mit dem Abriss-Urteil so lange?

Einen ersten Anlauf zum Abriss gab es schon in den ersten Nachkriegsjahren. Polizeipräsident Richard Staimer wollte das Schloss als Baumaterial für das Polizeistadion am Lustgarten nutzen. Er hat sogar heimlich ein Schienensystem gelegt mit Loren, um Ruinenteile abzutransportieren. Das wurde dann aber untersagt.

Gab es andere Pläne für das Schloss?

Ja. Bis 1956 gab es viele Pläne, es wieder aufzubauen: Da sollte eine Großgaststätte mit Tausenden Sitzplätzen hinein, ein Sommergarten im Schlosshof, kulturelle Einrichtungen. Es scheiterte immer am Geld. Unter Walter Ulbricht wurde dann ein Wohnungsbauprogramm erlassen – das Stadtschloss als imperialistischer Bau sollte zugunsten von Hochhäusern abgerissen werden.

Das Stadtschloss stand in Potsdam immer auch im Schatten von Sanssouci. Welche Rolle spielt es aus Ihrer Sicht unter den Hohenzollern-Schlössern?

Ich finde interessant, wie aus diesem königlichen Gebäude eine städtische Verwaltung geworden ist. Kein anderes Schloss der Hohenzollern ist in diesem Maße fremdgenutzt worden. Das Potsdamer Stadtschloss hat damit auch in besonderer Weise den Bruch der deutschen Geschichte widergespiegelt.

Das Gespräch führte Jana Haase

Jörg Kirschstein liest am heutigen Mittwoch 18 Uhr im Potsdam Museum aus dem Buch – aber die Veranstaltung ist ausverkauft. Einen zweiten Termin gibt es am 16. April um 18 Uhr ebenfalls im Potsdam Museum im Alten Rathaus. Eine Anmeldung unter Tel.: (0331) 289 68 68 empfiehlt sich.

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