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Die zweifache Eiskunstlauf-Olympiasiegerin Katarina Witt eröffnet in Potsdam ihr Sportstudio "Kurvenstar"

© Andreas Klaer

Katarina Witt im Interview: "Wir Ostdeutschen werden einfach wegignoriert"

Katarina Witt vermittelt zwischen Ost und West. Ein Gespräch über ostdeutsche Unsichtbarkeit, verrohte Debatten und Stasi-Akten - und über ihr neues Projekt in Potsdam.

Frau Witt, der Mauerfall liegt 30 Jahre zurück. Einer Studie zufolge fühlen sich 57 Prozent der Ostdeutschen als Bürger zweiter Klasse. Was ist schiefgelaufen?
Leider zu viel. Die Menschen wurden einfach nicht mitgenommen.

Was meinen Sie genau?
In der Euphorie der friedlichen Revolution wurde das Zepter sehr flott in die Hand genommen. Zu sagen, wir müssen jetzt ein gemeinsames Deutschland werden, war die richtige Schlussfolgerung. Doch für diesen Weg hat man sich einfach viel zu wenig Zeit genommen.

Warum?
Sicher wollten sich einige im Buch der Geschichte verewigen als diejenigen, die die Wiedervereinigung vorangetrieben und zu Ende gebracht haben. Das ist geschehen, ohne sorgfältig alle Seiten zu betrachten.

Geht es noch immer um Augenhöhe zwischen Ost und West, um Gleichberechtigung?
Ja. Ich habe es in der eigenen Familie selbst miterlebt. Als die Wende kam, waren meine Eltern in dem Alter, in dem ich heute bin. Dieser Generation, die damals zwischen 45 und 55 war, wo man in der Blüte des Lebens steht, ist vielfach gezeigt worden: Ihr seid es nicht wert, dass die Jobs erhalten bleiben. Ihr solltet dennoch froh sein, denn ihr habt ja nun Freiheit und Demokratie. Und seid gefälligst dankbar. Der Westen hat allein den Weg vorgegeben: Wir machen das jetzt, wie wir es für richtig halten. Heute gestehen viele ein, dass das ein Fehler war.

Und das wirkt so lange nach?
Ja, denn es traf eine Generation, die wirklich verankert war; unser Land, das waren ja fleißige Menschen, die in guten Berufen ihren Job gemacht haben. Sie hatten sich eingerichtet. Da kann man nicht einfach wie eine Dampfwalze kommen. Man hat sich oft auch nicht die Mühe gemacht zu schauen, warum die Menschen so sind, wie sie sind.

Das hinterließ Verletzungen?
Ja, und dann wurde den Ostdeutschen ja sogar unterstellt, sie seien faul. Wo hat man das hergenommen? Wir sind vielleicht keine geborenen Unternehmer, aber wir sind erfindungsreiche Macher. Wir haben gelernt, aus wenig oder aus nichts das Beste rauszuholen.

Wie sehen Sie die Stimmung in Ostdeutschland?
Schwierig, bei der letzten Bundestagswahl fing es ja schon an. Die Menschen sind einfach so wie es läuft nicht zufrieden.

Womit denn genau?
Eigentlich geht es uns ja gut. Wir sind ein demokratisches Land und leben in Freiheit, wir haben viel erreicht. Wenn man durch die Städte oder übers Land fährt, sieht man viel positive Veränderung. Doch wir Deutschen gucken ja leider immer zuerst nach dem Fehler, statt stolz zu sein, was geschaffen wurde. Und jetzt haben die Leute offenbar einfach mehr Mut, sie sagen ihre Meinung.

Sie werden in Ostdeutschland verehrt. Fühlen Sie sich als Ostdeutsche?
Ich trage das nicht vor mir her. Aber für mich als Frau ist es mittlerweile eher ein Gütesiegel, geborene Ostdeutsche zu sein. Man sollte versuchen, all das, was politisch nicht in Ordnung war, kurz einmal beiseite zu nehmen: Dann sieht man, dass wir ganz viel Wertvolles beigebracht bekommen haben. Ich will um Gottes Willen kein Westfrauen-Bashing machen, aber ich merke einfach, dass für mich viele Dinge ganz selbstverständlich sind, weil ich eben anders aufgewachsen, anders erzogen worden bin.

Was meinen Sie?
Wo manche West-Frau in meiner Generation noch damit kämpft, was ihre Elterngeneration sich erobern musste, merke ich, dass ich viel freier, viel unabhängiger, viel liberaler, viel toleranter sein kann. Das habe ich meiner DDR-Vergangenheit zu verdanken. Für mich waren Mann und Frau immer auf Augenhöhe, das war in meinem Elternhaus so, aber auch in der Schule und bei Freunden. Es war eine Selbstverständlichkeit.

Fühlen Sie sich den Ostdeutschen besonders verbunden?
Natürlich, ich bin ja 23 Jahre in diesem Land aufgewachsen und es hat mich wirklich geprägt. Kürzlich war ich wieder in Chemnitz, und da bin ich halt ,unsere Kati’. Im Freundeskreis, in der Familie, da sagen alle Katarina, so heiße ich ja auch. Aber für meine Fans bin ich Kati. Das ist in Ordnung für mich, das finde ich schön. Das heißt aber nicht, dass ich an einem alten Zopf hänge. Ich sehe mich persönlich viel mehr als Kosmopolit, ich bin ja in der ganzen Welt unterwegs und bin durch meinen Sport auch fast überall bekannt.

Oft sagen Ostdeutsche, ihre Geschichte werde nicht gesehen oder gehört.
Leider stimmt das! Nur ein aktuelles Beispiel: Ich war gerade Gast in einer Fernseh-Unterhaltungssendung, es ging um 80er-Jahre-Musik. Eine launige Sendung, doch es waren weder unsere DDR-Musik, noch unsere Filme, noch unsere Serien vertreten – und da habe ich etwas fassungslos gemerkt: Wir werden wirklich einfach wegignoriert und vergessen. Besonders die 80er-Jahre-Musik, wo wir mit Karat, Puhdys, Silly und City musikalische poetische Perlen hatten! Schon habe ich Gänsehaut. Warum hatten sie keinen Platz neben Heinz-Rudolf Kunze? Wir sind jetzt glücklicherweise ein gemeinsames Deutschland. Aber es ist doch etwas ignorant, dass offenbar nur die 17 Millionen Menschen in der ehemaligen DDR etwas Neues annehmen mussten, während es dem anderen Teil einfach egal zu sein scheint. Es wurde und wird ja auch gesagt: Ihr seid jetzt bei uns angekommen. Andererseits glaube ich, man sollte mit all dem nicht so hadern.

Sie wünschen sich mehr Normalität im gegenseitigen Umgang?
Ja. Ich finde es sehr wichtig, dass man drüber redet, dass man diskutiert, aber auch, dass man sich nicht die Köppe einrennt. Dass man sich nicht so festdiskutiert, dass jeder sich umdreht und sauer ist und eine verfahrene Situation entsteht. Denn es ist nichts verfahren. Man kann sich hinsetzen und sagen: Boah, was wir in den 30 Jahren geschafft haben! Und klar, es reicht nie aus. Das ist wie im Sport: Selbst wenn Du Olympiasiegerin bist, reicht es nicht aus. Denn im nächsten Jahr musst du dich wieder beweisen. Man kommt einfach nie an, ist nie fertig.

Wenige Ostdeutsche haben Führungspositionen inne. Sind Sie für eine Ostquote?
Quote hin oder her, ich bin erstmal für Chancengleichheit! Mir kann doch keiner erzählen, die Westdeutschen seien schlauer als die Ostdeutschen. Oder die Männer schlauer als die Frauen. Sicher, am Ende muss die Leistung entscheiden – aber man kann doch lernen. Ich lerne auch jeden Tag noch dazu. Fähige Menschen aus dem Osten gehören viel mehr in Führungspositionen. Denn dann reden wir wirklich von Chancengleichheit!

Der Rechtsextremismus im Osten wird stärker, bedroht den gesellschaftlichen Frieden und Zusammenhalt – das hat auch die Studie zum Stand der deutschen Wiedervereinigung im Auftrag der Bundesregierung belegt. Chemnitz ist Ihre Heimatstadt, die rechtsextremen Aufmärsche und Hetzjagden dort sind nun etwas mehr als ein Jahr her. Was ist damals in Ihnen vorgegangen?
Ich war zutiefst schockiert. Gegen alles, was rechts ist, gegen alle Auswüchse, die an die Zeit des Zeit des Faschismus erinnern, muss man strikt vorgehen. Intoleranz, Hass und Hetze gehören nie mehr in unsere Gesellschaft. Da müssen alle demokratischen und rechtsstaatlichen Mittel rigoros eingesetzt werden, um dies zu verhindern. Doch man darf auch nicht jede Unzufriedenheit mit Rechtspopulismus oder Rechtsextremismus gleichsetzen. Man muss differenzieren. Die Politik sollte offener und ehrlicher mit Problemen umgehen. Die Wahrheit ist aber zu 90 Prozent unbequem. Und da denken immer wieder zu viele Politiker von Wahlperiode zu Wahlperiode.

Die Wankelmütigkeit der Politik verunsichert die Menschen?
Ich glaube, so wie bei uns normalen Menschen im Leben die Aufgaben in den letzten Jahren komplexer, umfangreicher und mehr geworden sind, so ist auch die Politik komplizierter und herausfordernder. Aber bei allen wird der Geduldsfaden immer kürzer! Man hat das Gefühl, die Politik hat Themen verschlafen und hüpft dann aufgeregt auf populäre Befindlichkeiten. Und diese ist schnell wieder eine Neue. Inhaltlich wird vieles fast nur noch in Schwarz-Weiß dargestellt. Jegliche Graustufen sind weg und damit wird polarisiert. Auch medial. Da braucht man seine Klicks im Internet – es ist ein einziger Wettkampf um Schnelligkeit und den höchsten Nachrichtenwert. Gutes ist weniger wichtig geworden, denn das wollen angeblich die Leute nicht lesen. Es muss krawallig sein. Da hat sich eine Spirale nach oben geschraubt.

Was hilft dagegen?
Ich wünsche mir mehr Durchsetzungskraft. Als Angela Merkel zum Tag der Deutschen Einheit 2016 mit dem damaligen Bundespräsidenten Joachim Gauck in Dresden war und unflätig beschimpft wurde, haben alle nur zugeschaut, niemand ist eingeschritten. Inzwischen ändert sich das, wie jetzt bei Renate Künast…

… die bei Twitter wüst beleidigt worden ist, dies aber einem ersten Gerichtsurteil nach hinnehmen muss.
Was für ein moralisches und rechtliches Versagen war das erste Urteil denn bitteschön! Ich bin froh, dass Frau Künast weiter klagt und um ihr Recht kämpft. Durch das Internet sind viele hemmungslos geworden. Das finde ich beängstigend. Man merkt, wie schnell starke Worte benutzt werden und immer mehr zur verbalen Verrohung führen. Es gibt kaum mehr Grenzen.

Hat das alles das Wahlergebnis in Sachsen – 27,5 Prozent für die AfD – befördert?
Ich muss ehrlich sagen, dass ich in meiner Naivität – oder eben aus Optimismus – generell gut denke von den Menschen und glaube, dass da viele darunter sind, die einfach die Nase voll haben, einigermaßen verzweifelt und politiküberdrüssig sind und sich von keiner Partei so richtig erhört fühlen. Die AfD ist hoffentlich auch nicht das, was sie wollen.

Als die Mauer fiel, waren Sie 23. Sie kennen Osten und Westen, waren in der Welt unterwegs, haben jahrelang in den USA gelebt. Kommt Ihnen jetzt eine Vermittlerrolle zu?
Ich mische mich nur selten offensiv ein. Aber für viele Menschen in der damaligen DDR war ich ein Vorbild. Auf Instagram bekomme ich heute viele Nachrichten von Frauen und Männern in meinem Alter. Sie schreiben mir: Wir fanden es super, dass Du in der Welt unsere DDR ein bisschen bunter vermittelt hast mit deiner ganzen persönlichen Art, der Mode, den Kostümen. Sie schätzen, dass ich nicht eine von denjenigen war, die sich einfach gewendet haben und behauptete, dass alles nur Mist war!

Sie waren ja auch das schönste Gesicht des Sozialismus …
Das hat doch tatsächlich ein Ami behauptet (lacht). Es war nicht alles nur grau! Wir hatten auch grüne Wiesen, unsere Apfelbäume haben auch geblüht. Und wir haben menschliche Werte vermittelt bekommen. Heute versuche ich, zu differenzieren und um Verständnis zu bitten – der Mensch ist so, wie er ist, man kann sich die Leute zum Glück nicht hinbiegen, wie man sie haben will. Ich wünsche mir mehr Großzügigkeit untereinander: Dass man versucht, beim anderen das Positive zu sehen.

Sie waren in der SED, wurden bespitzelt, Ihre Akte umfasst 3000 Seiten in 27 Aktenordnern. Dennoch wurde Ihnen nach 1990 vorgeworfen, auch eine Profiteurin gewesen zu sein. Hat sich in Ihrem DDR-Bild etwas verändert?
Natürlich sehe ich 30 Jahre später Dinge auch differenzierter. Trotzdem überwiegt die Dankbarkeit. Der Sport war das Einzige, was in der DDR funktioniert hat wie der Kapitalismus. Nur der Beste setzt sich durch. Man muss sich durchkämpfen. Es gab keine Gleichmacherei wie sonst üblich. Natürlich habe ich profitiert, von der Förderung und Unterstützung. Dann hat wiederum der Staat von meinem Erfolg profitiert. Sicher, all das, was uns in der Schule gelehrt wurde, ist in meinem Kopf gewesen. Ich habe letztlich vieles für richtig geheißen und habe es für mich nutzen können.

Wann hatten Sie Ihre Stasiakte zuletzt in der Hand?
Als ich meine Biografie geschrieben habe, 1993. Danach habe ich den Deckel zugemacht. Das ist für mich wirklich Vergangenheit. Es hat mich emotional sehr getroffen, dass man mich komplett ausspioniert hat. Bis zu einem gewissen Grad habe ich es verstanden: Man hatte Angst, dass ich gehe oder dass man mich vielleicht klaut (lacht). Aber ich war getroffen, dass man mir misstraut hat. Für mich war immer klar: Ich komme nach Hause. Vorrangig wegen meiner Familie. Ich wollte zu meinen Eltern, meinem Bruder, meinem Freundeskreis, zu meiner Trainerin, meiner Schule. Und ich wollte niemanden vor den Kopf stoßen nach dem Motto: Jetzt bin ich Olympiasiegerin, jetzt will ich meine Freiheit und damit Geld verdienen, und ihr könnt zusehen, wo ihr bleibt. Ich wäre mir wie eine Verräterin vorgekommen. Das war mir mein persönliches Glück nicht wert.

Aber es hat Sie verletzt, dass Ihr Staat Ihnen eine Flucht zugetraut hat?
Ich glaube nicht einmal, dass sie mir das zugetraut haben. Vielleicht wollten sie auch ihre schützende Hand über mich halten. Ehrlich gesagt, ich will gar nicht intensiver darüber nachdenken. Ich habe mir da eine kleine schützende Mauer gebaut, weil es mich vielleicht doch zu sehr verletzt hätte. Selbst wenn es bei mir nicht so war, dass man über mich Akten angefertigt hat, um mich zu denunzieren wie so viele andere, die dadurch berufliche, schulische oder familiäre Nachteile hatten. Das alles war bei mir ja nicht der Fall. Ich habe die Kartons zugemacht und zu gelassen. Und gut ist.

Verbringen Sie viel Zeit in Potsdam?
Noch nicht so viel. Aber ich hoffe bald mehr, durch mein neues Projekt: Mein Sportstudio Kurvenstar by Katarina Witt, das ich Anfang November hier eröffne. Ich bin gern hier, lebe zum Teil in Berlin, zum Teil in Brandenburg. Und ich verbringe weiterhin Zeit in Amerika.

Zieht es Sie nach Ostdeutschland?
Ich habe nach mehr als zehn Jahren meinen Lebensmittelpunkt aus den USA nach Berlin verlegt – aus logistischen Gründen. Familie, Freunde, die meisten kommen aus Berlin und Brandenburg. So findet vieles an Orten meiner Vergangenheit statt. Ich finde es schön, wenn manches Mal dieser morbide Charme da ist und noch nicht ein perfektes, bis ins letzte Detail restauriertes Haus. Hier in Potsdam ist ja eher die Geschichte des 17. und 18. Jahrhunderts zu spüren. Doch es ist auch noch ein bisschen DDR-Geschichte da mit dem Hotel Mercure. Obwohl ich da denke, naja, hm, naja …

…. beim einstigen Interhotel Potsdam sind Sie unschlüssig?
… ja, da ertappe ich mich schon bei dem Gedanken: Könnte man nicht wenigstens an der Fassade etwas machen? Vielleicht irgendwie eine Säule, eine Potsdamer Sanssouci-Säule? (lacht) Ich liebe ja in Potsdam dieses Verspielte, das alte Potsdam. Aber selbst wenn ich es persönlich vielleicht lieber anders hätte: Ich kann gut verstehen, wenn Menschen sagen, in der Bar oben habe ich meine Zeit erlebt, meine 80er-Jahre-Musik, das Hotel soll bleiben. Ja, dann soll das Hotel bleiben. Dann ist das eben so. Wenn ich nach Chemnitz komme, freue ich mich, wie sich dort die Mitte verändert hat. Ich erkenne gar nichts mehr wieder. Ich bin darüber nicht traurig, auch wenn mir nicht alles gefällt. Wichtig ist doch, dass sich die Stadt entwickelt. Dabei passieren Fehler. Und Fehler kann man auch wieder beheben.

Mit weniger Verbissenheit kämen wir weiter?
Nehmen wir nur den Verkehr: Ich bin Autofahrerin, ich bin bereit, eine Spur abzugeben. Aber lasst mich trotzdem mein Auto fahren! Eine Spur für Autofahrer, eine für Fahrradfahrer, eine für Fußgänger. Lasst allen ihren Platz! Im Moment ist es ja ein Kuddelmuddel. Jetzt auch noch mit diesen Elektrorollern, es gibt eine riesengroße Aggression auf den Straßen. Ich habe es in Potsdam selbst schon erlebt: Ich fahre mit dem Auto am Holländischen Viertel vorbei und plötzlich haut mir ein Fahrradfahrer voll oben aufs Dach, und ich denke, gleich zerrt der mich noch aus dem Auto. Ich hatte ihm ein Stück von seiner Spur weggenommen, weil mir gar nichts anderes übrig blieb, bin aber trotzdem langsam gefahren.

Das sind diese Potsdamer Radspuren auf den Straßen, die die Fahrbahn einengen. Mehr Platz ist nicht da.
Und wir werden alle mit weniger Platz auskommen müssen. Aber jetzt diesen Hass loszutreten, dass alles autofrei sein muss, wieder so ein derzeitiger Populismus. Es ist unrealistisch. Menschen haben nun einmal auch die persönliche Freiheit, ein Auto zu fahren.

Warum unterstützen Sie den Wiederaufbau der Garnisonkirche in Potsdam, ein seit Jahren umstrittenes Projekt?
Weil ich es gut fände, wenn an die Vergangenheit erinnert wird, damit Fehler sich nicht wiederholen. Und ich mich am meisten auf die Aussichtsplattform freue. So habe ich es in einem Interview gesagt, dazu stehe ich auch. Aber es ist nicht so, dass ich da jeden Schritt verfolge. Ich habe etwas unterschätzt, wie das Projekt polarisiert. Schön wäre es, wenn man einen Kompromiss fände, mit dem beide Seiten leben könnten.

Sie sind demnächst wieder in der TV-Show Dancing on Ice zu sehen, sind Unternehmerin, engagieren sich in Ihrer Stiftung für Kinder mit körperlichen Behinderungen. Was treibt Sie an?
Nicht still zu stehen. Es gab in meinem Leben nie einen Stillstand, selbst als meine Amateurkarriere vorbei war oder ich 2008 die Schlittschuhe an den Nagel gehangen habe. Für mich gilt tatsächlich: Die Reise ist das Ziel.

Und nun noch das Sportstudio. Wie kam es dazu?
Ich habe ein Studio für mich gesucht, aber nichts gefunden, wo ich mich wohlfühlen und auch mit meinen 53 Jahren gern hingehen würde. Ich passe ja in keine laute Muckibude, in der neben mir nur Streichholzfrauen trainieren, an denen irgendwie gar nichts mehr dran ist. (lacht). Aber ein bisschen paradox ist es schon: Jetzt, 30 Jahre nach dem Mauerfall, mache ich zum allerersten Mal etwas, das mehr nach vorne gerichtet ist, weniger mit meiner früheren Sportkarriere zu tun hat. Es ist eine komplett neue Herausforderung. Nervös bin ich da schon und frage mich: Wird es angenommen? Aber klar, man kann nicht einfach einen Aufschlag machen und hat sofort tausend Mitglieder. Das geht natürlich nicht. Unser Konzept wird hoffentlich überzeugen.

Sie gelten als sehr diszipliniert. Können Sie auch loslassen?
Das kann ich, aber erst am Ziel. Das ist die Prägung des Leistungssports, dass Du es durchziehst bis zum bitteren Ende. Du gehst immer diese Extrameile! Du gibst zwischendrin nicht auf. So halte ich es mit allem, was ich anpacke. Das ist das, was uns als Athleten ausmacht, was mich ausgemacht hat. Deswegen bin ich zweifache Olympiasiegerin, vierfach Weltmeisterin und, und, und (lacht).

Sport hat auch mit dem Verhältnis zum eigenen Körper zu tun. Wie ist Ihres?
Da wünschte ich mir manchmal mehr Disziplin, bin aber gleichzeitig froh, ein bisschen losgelassen zu haben. Ich habe mittlerweile ein gesünderes Verhältnis zu meinem Körper. Früher wollte ich schlank sein, damit das Abendkleid aussieht. Ich habe mich jetzt damit arrangiert, dass ich nicht mehr ganz so schlank bin – und inzwischen werden die Klamotten eben dem Körper angepasst (lacht). Auch auf dem roten Teppich bin ich da cooler.

Sport machen Sie aber sicher trotzdem.
Sport ist wichtig. Ich rede nicht von Leistungssport, sondern von sportlicher Betätigung, die dem Körper guttut, die Muskeln stärkt, die wiederum unser Knochenkorsett erhalten. Ich finde, Sport muss in unserem Leben eine größere Rolle spielen – und ich meine damit auch Schulsport.

In der Regel steht Sport zweimal pro Woche auf dem Stundenplan. Zu wenig?
Und meistens fallen diese zuerst aus! Die Kinder sollten in der Schule jeden Tag eine Stunde Sport machen. Man sollte sie einfach auf den Sportplatz lassen. Spielt Volleyball, Fangen, Fußball, macht Seilspringen, irgendetwas!

Welche Techniken aus dem Leistungssport haben Sie sich erhalten?
Vor allem das Kickback. Das Bewusstsein, wie gut Sport tut. Wenn Du raus gehst, einfach eine Stunde um den See walken, dann merkst Du: Boah! Auch der Kopf ist freier. Natürlich weiß ich mehr um Zusammenhänge. Wenn mir der Rücken weh tut, ist mir klar: Es ist kein Rückenproblem, sondern ein Leistenproblem. Jeder wird älter und damit steifer. Wenn man sich an die Wand lehnen muss, um eine Strumpfhose anzuziehen, wird es höchste Zeit, auf ein Gerät zu steigen, damit man wieder auf einem Bein stehen kann (lacht). Ich sehe sofort, ob sich jemand hinsetzt, um sich die Schuhe zuzubinden. Das sind die Zeichen: Komm zu uns!

Mindestens für jüngere Generationen ist Sport heute oft mit Selbstdarstellung verbunden. Besonders auf Instagram, wo Ihnen 32.000 Nutzer folgen, präsentieren sich Menschen mit vermeintlich perfekten Körpern. Wie sehen Sie das?
Kritisch. Von diesem ganzen Perfektionismus und Körperkult halte ich nichts. Da ist vieles unrealistisch. Dadurch entsteht bei Kindern, bei Jugendlichen, ein unnatürlicher Druck. Super dünn sein, ein Sixpack haben – das ist eigentlich nicht normal. Umso wichtiger wäre es, dass Schule mit Sport dagegen steuert. Und sogenannte Makel gehören zum Leben, machen uns doch erst individuell, attraktiv und liebenswert.

Sie werden gern „Gute-Laune-Kati“ genannt. Auf Instagram ist der von Ihnen meist genutzte Hashtag #lovemylife. Ist das Glücklichsein für Sie wirklich so einfach?
Nee, überhaupt nicht. Ich bin nur – ja, das klingt jetzt etwas bescheuert – tief dankbar und demütig für all das, was ich jetzt in meinem Leben habe. Die Trainingszeit als Eisläuferin, die war brutal. Das eine ist das Ergebnis, der Sieg. Doch es war hart, dort hinzukommen! Heute habe auch ich meine täglichen Herausforderungen. Aber dann denke ich: Das ist Pillepalle im Vergleich zu dem, was andere zu jonglieren haben, mit Beruf, Familie, dem Über-die-Runden-kommen. Durch meine wirtschaftliche Unabhängigkeit muss ich vieles nicht machen, sondern kann und darf. Und ich sehe, was in meinem Leben ist, statt ständig danach zu suchen, was ich vermisse.

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