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Noch vergangene Woche war in der Hausarztpraxis von Astrid Tributh im Bornstedter Feld der Teufel los.

© Benjamin Lassiwe

Kampf gegen Corona: Potsdams Hausarztpraxen arbeiten am Limit

Die Omikron-Welle sorgt für viele Patienten und Personalausfälle. Schließungen sind bislang aber nicht bekannt. Für Unmut sorgt das Thema Novavax.

Potsdam - In der kalten Jahreszeit sind die Wartezimmer meist voller als sonst, doch die hochansteckende Omikron-Variante sorgt aktuell dafür, dass die Potsdamer Hausärzt:innen an die Grenzen der Belastbarkeit geraten: „Viele Praxen arbeiten am Limit oder sogar schon darüber hinaus“, sagt Christian Wehry, Pressesprecher der Kassenärztliche Vereinigung Brandenburg (KVBB). „Konkrete Zahlen können wir aber erst retrospektiv auf Basis der Abrechnung nennen.“ Praxisschließungen in Potsdam seien der KVBB nicht bekannt.

Die Potsdamer Hausärztin Antje Meinecke bestätigt das Bild: „Das Aufkommen an Patienten ist seit dem Januar sehr hoch bei uns.“ In der klassischen Erkältungszeit kommen viele Menschen mit den entsprechenden Symptomen in die Gemeinschaftspraxis: „Wir sind zwei Ärzte und machen hier pro Tag etwa 20 bis 30 Abstriche wegen Corona, davon sind 90 bis 95 Prozent positiv“, sagt Meinecke. Darunter seien sowohl Ungeimpfte als auch Geimpfte.

Appell an die Patient:innen

Um die Belastung für die Hausärzt:innen zu verringern, appelliert sie an die Patient:innen, vorher zu überlegen, wie dringend nötig ein Besuch in der Praxis sei: „Wir bitten darum, nur wegen wirklich wichtiger Dinge zu kommen oder anzurufen, unsere Telefone stehen nicht mehr still“, so Meinicke.

Hausarzt Ulrich Wüllenkemper aus Babelsberg klagt vor allem über die hohe Nachfrage nach PCR-Tests, die in seinen Augen eine unnötige Belastung für die Praxen darstelle: „Da aktuell circa 95 Prozent aller PCR-Tests nach einem positiven Antigen-Selbsttest auch positiv ausfallen, erschließt sich uns der Sinn dieser amtlich angeordneten Tests nicht.“ 

Angesichts des derzeitigen Durchseuchungsgrades könne man sich die PCR-Tests eigentlich sparen, so Wüllenkemper. „Diese Patienten stellen ein erhebliches Infektionsrisiko für uns Ärzte, unsere Mitarbeiter und trotz aller Hygienemaßnahmen auch für andere Patienten da, welches vermeidbar wäre, wenn diese Ihre Infektion einfach zu Hause auskurieren oder sich selbst in Quarantäne begeben würden.“

Hausarzt Ulrich Wüllenkemper.
Hausarzt Ulrich Wüllenkemper.

© Carsten Holm

Hinzu komme der bürokratische Aufwand: Täglich würden in der Praxis 20 bis 30 Personen positiv auf Corona getestet, diese müssten alle dem Gesundheitsamt gemeldet werden, so Wüllenkemper. Außerdem gebe es viele telefonischen Nachfragen zum Thema Tests und Quarantäneregeln. Zum Teil mussten schon einzelne Sprechzeiten ausfallen, weil Mitarbeiter:innen ihre Kinder zuhause in der Quarantäne betreuen mussten. „Im Grunde wissen wir abends nicht, ob am Folgetag alle Mitarbeiter vollständig zur Arbeit erscheinen werden“, sagt Wüllenkemper.

Etwas ruhiger sieht es in der Praxis von Astrid Tributh aus: „Letzte Woche war es extrem, diese Woche scheint es sich entspannt zu haben“, so die Hausärztin. „Aber wir wissen natürlich nicht, was morgen ist.“ Von ernsten Personalengpässen blieb sie bislang verschont. Tributh beobachte, dass mittlerweile viele Patient:innen tatsächlich nach einem positiven Schnelltest nicht mehr extra in die Sprechstunde gehen: „Viele begeben sich einfach selbst für sieben Tage in Quarantäne.“ Sie hegt die vorsichtige Hoffnung, dass der Berg überwunden sei: „Fast alle Kinder sind mittlerweile durch mit Corona, viele waren in den Winterferien in Quarantäne.“

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Ulrich Wüllenkemper findet, dass der Beitrag der Hausärzt:innen zu Bekämpfung der Pandemie bislang kaum gewürdigt werde: „Es ist sehr schade, dass die Arbeit unserer medizinischen Fachangestellten im Vergleich zu den Pflegerinnen und Pflegern im Krankenhaus seitens der Politik so wenig wertgeschätzt wird. Ohne diese viele Mehrarbeit in den Praxen wären Gesundheitsämter und Krankenhäuser längst untergegangen.“ Ähnlich äußert sich Antje Meinecke: „Seit zwei Jahren stehen wir an vorderster Front, aber es gibt keine Wertschätzung oder Prämien dafür.“

Thema Novavax sorgt für Unnmut bei den Hausärzt:innen

Auch die KVBB weist darauf hin, wie wichtig die niedergelassen Ärzt:innen seien: „Neben der Regelversorgung werden neun von zehn Covid-19-Patienten im ambulanten Bereich behandelt“, sagt Christian Wehry. „Außerdem sind die Praxen mit großem Abstand die stärkste Säule der Impfkampagne.“ Auf diese Kernaufgaben müssten sich die Praxen konzentrieren können, das Freitesten von Infizierten ohne Symptome gehöre hingegen nicht dazu.

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Aufgrund des hohen Beratungsbedarfs der Patient:innen hat die KVBB die von ihr eingerichteten Koordinierungsstellen, die unter der Hotline 116 117 erreichbar sind, personell aufgestockt. Die durchschnittliche Wartezeit betrage laut Wehry aktuell etwa eineinhalb Minuten. In den vergangenen Wochen wurden pro Woche zwischen 4000 und 6000 Anrufe registriert.

Auch das Thema Novavax sorgt bei den Hausärzt:innen für Unmut: Der neu zugelassene Totimpfstoff wird in Brandenburg ab dem 21. Februar ausgeliefert, zunächst allerdings nur an die Impfzentren. Dies kritisiert der Hausärzteverband Brandenburg: „Das ist erneut ein Schlag ins Gesicht für all die Arztpraxen, die mit hohem Aufwand Dreiviertel aller bisherigen Impfungen in Brandenburg gestemmt haben“, sagt die Verbandsvorsitzende Karin Harre. „Wir kennen unsere Patientinnen und Patienten und sind auch in der Lage, zielgerichtet zunächst die bisher ungeimpften Angestellten im Gesundheitswesen zu impfen, die nun zu einer Impfung bereit sind.“

Novavax-Lieferungen an Arztpraxen seien zwar geplant, diese kämen aber zu spät: „Wieder wird von der Politik eine Chance vertan, um die Impfquote zu verbessern und uns alle aus der Epidemie zu befreien“, so Harre.

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