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Kalter Krieg: In geheimer Mission in Potsdam

Soldaten der Potsdamer US-Militärmission beobachteten im Kalten Krieg die Rote Armee in der DDR. Stephen Hoyt war dabei und erzählt von Nächten im Wald und Verfolgungsjagden.

Potsdam - Da steht er nun auf der kleinen Bühne des Potsdam Museums am Alten Markt, und gleich zu Beginn will Stephen Hoyt in ziemlich perfektem Deutsch mit einer Legende aufräumen. Kreuz und quer war er während des Kalten Krieges für die amerikanische Militärmission durch die DDR gefahren, fast täglich hatte er Hochgeheimes fotografiert und notiert. „Aber so aufregend sich das auch anhören würde: ich bin kein Spion gewesen “, ruft er seinen gut 50 Zuhörern am Donnerstagabend zu, „ich habe doch nur Informationen über die Sowjetarmee gesammelt, in Uniform und mit Namensschild.“

Doch damit untertreibt der 72 Jahre alte Dozent der Universität von Maryland gewaltig. Eineinhalb Stunden erzählt er dann im Rahmen der Sonderausstellung „Unter dem Roten Stern. Hinterlassenschaften der sowjetischen Besatzungsmacht 1945 bis 1994“, wie er mit Kollegen die Rote Armee in den 1970er- und 1980er-Jahren in der gesamten DDR ausspionierte. „Tours“ nannten die amerikanischen Militärmissionare ihre Exkursionen im Armeejargon, und mitten im Kalten Krieg dokumentierten sie alles Hochgeheime, das ihnen zu Gesicht kam: Truppenbewegungen und Flugplätze der Sowjets, die Lage von Kasernen, die seitlich angebrachten Typenbezeichnungen der Panzer, die Nummernschilder.

Es war die Zeit nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Die vier Siegermächte hatten das Deutsche Reich in eine amerikanische, eine britische, eine französische und eine sowjetische Besatzungszone aufgeteilt, die Russen erhielten den Zuschlag für Sachsen, Thüringen, Sachsen-Anhalt, Mecklenburg und Vorpommern sowie Teile Brandenburgs und Berlins. Jede Besatzungsmacht musste den anderen erlauben, eine Militärmission einzurichten. Deren offen auftretende Soldaten durften sich außer in Sperrgebieten frei bewegen.

Hoyt lebte wie seine Kameraden in einer Mietwohnung in Berlin-Friedenau, seine 15-köpfige Einheit war in einer prächtigen weißen Villa in Potsdam Neu-Fahrland am Lehnitzsee stationiert. Dort stand auch das Auto eines zeitweiligen Kommandeurs. Er ließ seinem Hang zur Exzentrik freien Lauf – und trieb seine knallrote, großvolumige Chevrolet Corvette mit Militärkennzeichen über die holprigen Straßen des Ostens.

Höchstselten kehrten die Missionare während ihrer „Tours“ in Gaststätten ein, DDR-Bürger gingen ihnen aus dem Weg. „Sie ahnten, welche Frage ihnen die Stasi stellen würde, falls sie beim Kontakt beobachtet worden wären“, sagt Hoyt: „Was haben Sie dem Feind erzählt?“

Dass die Soldaten der Militärmission auch über das Leben der Rotarmisten präzise informiert waren, lag an ihren ungewöhnlichen Recherchemethoden. Sie übernachteten im Freien in den Wäldern oder in ihrem Auto, und wenn es dunkel war, stöberten sie auf wilden Müllkippen und in Deponien nahe der Kasernen nach Nützlichem. Sie fanden Einsatzpläne, Listen über die militärische Ausrüstung, sie lasen in weggeworfenen Unterlagen, dass den Soldaten täglich nur 1200 Gramm Nahrung zustanden und hatten genügend Russischkenntnisse, um Briefe zu verstehen. Einen projizierte Hoyt an die Leinwand: Der junge Fähnrich Goloborol klagt darin, wie beschwerlich sein Leben in der Kaserne sei, er habe „neulich ein Dorf-Bordell“ besucht, aber „irgendein Arsch hat alles erzählt“. Der arme Kerl wurde mit Holzstöcken verprügelt.

Ungefährlich waren die Überlandfahrten nicht. Ab und an versuchten Mitarbeiter der Staatssicherheit, ihnen zu folgen, aber wenn die Amerikaner sich mit ihrem Dienstwagen, einem großvolumigen Opel Diplomat mit dem Kennzeichen der Militärmission, auf die Autobahn flüchteten, hatte die Verfolgung bald ein Ende: „Bei Tempo 190 konnten die Wartburgs nicht mithalten“, sagt Hoyt grinsend.

Schießerei mit den Sowjets

Zwischen 1962 und 1990, als die Militärmissionen im Osten Deutschland unterwegs waren, seien deren Soldaten, so Hoyt, 49-mal angeschossen worden. 83,9 Prozent der 2135 Unfälle, in die Missionare verwickelt waren, hätten sowjetische Fahrer verursacht. „Vor allem waren es Sowjets, die Fahrzeuge der Mission rammten und uns sogar beschossen“, erzählte Hoyt. Zwei Soldaten kamen während seiner Einsatzzeit bei Unfällen ums Leben, die Hoyt für inszeniert hielt.

„Wir haben über die Rote Armee fast alles gewusst“, sagt Hoyt, „wir meldeten, dass deren Soldaten 1968 in die damalige CSSR zogen, um den Prager Frühling niederzuschlagen, wir meldeten auch, als es ostwärts ging, um nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl zu helfen.“ Die Mission fand heraus, dass sowjetische Atomsprengköpfe und Raketen in der DDR „immer getrennt“ gelagert wurden Manches war unbefriedigend für die Nachrichtensammler. „Nach unserem Feindbild waren die Rotarmisten zwei bis drei Meter große Kerle, die Westeuropa angreifen wollten“, sagt Hoyt, „wir wussten, dass sie nicht im Geringsten zu einem Angriff in der Lage waren. Das wollte in den USA aber niemand hören.“

Geheimdokumente auf dem Herrenklo

Nach der Wende kam das Ende der Missionen in Sicht. Seit 1989 waren bereits 700.000 Sowjetsoldaten aus der ehemaligen DDR abgezogen, 1994 verließ der letzte der 363 690 noch verbliebenen Troupiers das Land. Die Soldate n arbeiteten nun eng mit dem Bundesnachrichtendienst zusammen, und Hoyt zog mit einer Reisetasche durchs Land, die mit 100.000 Dollar gefüllt war. Er war ermächtigt aufzukaufen, was angeboten wurde: Waffen, Papiere, Einsatzpläne. In der Herrentoilette von Auerbachs Keller in Leipzig aber schlug er eine Offerte aus. Er habe „Pläne von Objekten“, sagte ein Mann. „Ich habe abgelehnt“, erzählt Hoyt, „ich glaubte, der will mich reinlegen“.

In den 1990er-Jahren arbeiteten die Amerikaner eng mit dem Bundesnachrichtendienst zusammen, sie beobachteten unter anderem, wenn russische Atomwaffen die frühere DDR verließen.

So viel er auch erlebt hat als Armeeangehöriger, als späterer Mitarbeiter des US-Geheimdienstes NSA und 1986 mit seiner Promotion über Marxismus im Werk des DDR-Schriftstellers Hermann Kant: Der fünffache Vater Hoyt hat noch viel vor. Er lebt jetzt mit seiner zweiten Frau, der 32 Jahre alten Russin Natalija und dem fünfjährigen Sohn in der rheinland-pfälzischen Stadt Landstuhl, im Dezember zieht die Familie nach North Carolina. Dort hat er ein Haus gekauft, er plant die Gründung einer Schule vom Kindergarten bis zur zwölften Klasse. Und ein neues Buch ist fast fertig. Der Titel: „City of Secrets – City of Lies“. Es ist ein Roman über Berlin.

Carsten Holm

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