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Im Kiewer Vorort Butscha werden nach dem Abzug der russischen Truppen Kriegsverbrechen an der Bevölkerung untersucht.

© Kai Diekmann

Kai Diekmann über seine Eindrücke aus Kiew und Moskau: „Unerträglich zu sehen, wie die Menschen leiden“

Der Potsdamer Medienunternehmer Kai Diekmann spricht im PNN-Interview über seine Reise mit dem österreichischen Bundeskanzler Karl Nehammer nach Kiew und Moskau.

Herr Diekmann, Sie waren vor wenigen Tagen in Kiew und Moskau, als einer der Begleiter des österreichischen Kanzlers. In Kiew gab es ein Treffen mit dem ukrainischen Präsidenten Selenskyj und dem Bürgermeister, Vitali Klitschko, in Moskau mit dem russischen Präsidenten Putin. Wie kam es, dass Sie mitreisten?

Unsere Kommunikationsagentur Storymachine ist für die Österreichische Volkspartei ÖVP tätig. Darüber habe ich den österreichischen Bundeskanzler Karl Nehammer kennengelernt. Im Zusammenhang mit der Planung für die Reisen nach Kiew und Moskau entstand die Idee, ihn bei der Vorbereitung zu unterstützen und ihn dann auch zu begleiten: Denn den russischen Präsidenten Putin habe ich bei einer ganzen Reihe von persönlichen Begegnungen kennenlernen können; mit dem Bürgermister von Kiew, Vitali Klitschko, bin ich seit vielen Jahren befreundet. Meine Tätigkeit fand allerdings pro bono und auf eigene Kosten statt.

Der Potsdamer Medienunternehmer Kai Diekmann.
Der Potsdamer Medienunternehmer Kai Diekmann.

© PNN/Ottmar Winter

Was war Ihre Aufgabe?
Konkret ging es darum, die persönlichen Treffen vorzubereiten, zum Beispiel um die Frage, wie die Gesprächsführung mit einem russischen Präsidenten aussieht, der perfekt deutsch spricht. Mit welchen Überraschungen muss man im Kreml rechnen? Ich selbst habe das bei meinen Interviews mit Putin immer wieder erlebt: Einmal lud er mich plötzlich zum Jet-Ski-Fahren im Schwarzen Meer ein, ein anderes Mal wollte er mit mir Eishockey spielen. Dann plötzlich zaubert er mitten im Gespräch Dokumente auf den Tisch, die seine Behauptungen beweisen sollen. Wie soll man in solchen Situationen reagieren? Eine Entscheidung stand von Anfang an fest: Wir wollten keine Bilder von der Begegnung.

Es gibt keine in der Öffentlichkeit oder es wurden wirklich keine gemacht?
Es wurden keine gemacht. Keine Fotografen dabei zu haben, ändert die Gesprächsatmosphäre. Es sollte ein reines Arbeitstreffen sein. Dass es nicht im Kreml, sondern in seiner Residenz stattfand, hatte mich zunächst misstrauisch gemacht. Eine Rolle gespielt hat es dann aber nicht.

Wie verlief das Gespräch mit Putin? Waren Sie dabei?
Nein. Wir waren in einem Nebenraum. Putin und der österreichische Bundeskanzler waren mit ihren Dolmetschern allein.

Wie war sein Eindruck von Putin?

Karl Nehammer kam sehr ernüchtert aus dem Gespräch zurück. Er sagte, Putin sei in der Kriegslogik gefangen und entschlossen, bis zum Letzten zu gehen. Auf der anderen Seite habe Putin auch die Verhandlungen in Istanbul erwähnt. Also die direkten Gespräche zwischen Russland und der Ukraine.

Nehammer wurde für seine Reise auch kritisiert, weil es nichts gebracht hätte.
Es wäre naiv, von einer solchen Reise Wunder zu erwarten. Allein die Tatsache, dass durch diese Begegnung Putin von Angesicht zu Angesicht mit den Kriegsverbrechen in Butscha konfrontiert wurde, hat einen Wert an sich. Es ist ein Unterschied, jemandem am Telefon etwas zu sagen, oder ihm dabei in die Augen zu schauen, wie Nehammer es tat, der ja gerade erst 48 Stunden zuvor persönlich die Massengräber und die schrecklichen Verwüstungen in Butscha gesehen hatte.

Konnten Sie in Moskau mit normalen Menschen, also nicht Regierungsmitglieder, sprechen?
Nur mit einigen wenigen Menschen, mit denen wir vor Ort zu tun hatten. Die berichteten uns, dass die Wirklichkeit, der Alltag, natürlich anders ist, als die russischen Medien es darstellen. Die Menschen erleben zum Beispiel, dass aufgrund der Sanktionen und der damit einhergehenden Verknappung gerade sehr Vieles sehr viel teurer und etliches unerschwinglich wird. Als wir durch Moskau fuhren, erschloss sich diese veränderte Situation einem nicht sofort: Da hatte ich zunächst den Eindruck, alles ist wie immer, Business as usual.

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Was wissen die Menschen in Russland vom Krieg?
Das ist schwierig zu beurteilen. Ihnen wird erzählt, dass es dem Westen darum geht, Russland zu vernichten.

Glauben die Menschen das?
Viele müssen es schon deshalb glauben, weil sie ja keine anderen Informationen haben. Es gibt in Russland keine unabhängigen Medien mehr, die die Wahrheit über den russischen Überfall auf die Ukraine abbilden. Während wir in Russland waren, habe ich weder Facebook noch Twitter aufrufen können.

Ziel der Reise war zunächst Kiew. Sie kennen Kiew von früher.
Die Stadt ist jetzt wie ausgestorben. Eine Viereinhalb-Millionen-Stadt – und die Straßen sind leer. Das ist erschreckend. Auch wenn in der Innenstadt keinen Zerstörungen durch Bomben zu sehen sind, ist der Kriegszustand unübersehbar: Panzersperren, Checkpoints, Sandsäcke, gepanzerte Fahrzeuge und bewaffnete Soldaten. Dabei ist Kiew eine wirklich schöne Stadt, eine Stadt für Touristen.

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Dann besuchten Sie Butscha, wo furchtbare Kriegsverbrechen entdeckt wurden und jetzt untersucht werden. Sie haben Massengräber mit ermordeten Zivilisten gesehen. Wir kennen all die Bilder, aber wie ist es, wenn man direkt da ist?
Butscha ist ein Vorort von Kiew, eine junge, moderne Stadt mit vielen Familien, wie Bornstedt für Potsdam ist. Mit normaler Infrastruktur, Geschäften, Burgerläden und so weiter. Das gibt’s alles auch hier bei uns. Wenn man dann diese unglaubliche brutale Zerstörung sieht, die der Krieg dort angerichtet hat – da wurde ja mitten in Wohnblocks reingeschossen, da ist alles kaputt, die Stadt ist leer – das berührt einen noch mal ganz anders. Und dann siehst du mittendrin eine Katze und fragst dich unweigerlich, was ist wohl aus den Menschen, zu denen sie gehörte, geworden?

Wie kann man sowas ertragen?
Es ist unerträglich zu sehen, wie die Menschen leiden in diesem Krieg.

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Wie ist es für Sie persönlich?

Das ist eine Frage, die sich angesichts des Leids der Betroffenen eigentlich nicht stellt, aber ich kann für mich sagen: Ich bin seit drei Jahrzehnten Journalist und habe viele Krisen- und Kriegsgebiete besucht, Kabul, Bagdad, Syrien. Äthiopien, Nicaragua, den Libanon. Was dort mitunter Schreckliches passiert, wirkt aus der Entfernung oft noch bedrohlicher und beängstigender, als wenn man dort ist. Dann sieht man das ganze Umfeld, die Wirklichkeit, die neben den Bildern weitergeht. Das macht es manchmal leichter, etwas zu ertragen, auch wenn es dadurch nicht besser wird. Aber es verliert ein stückweit seinen Schrecken. Seine Macht.

Hatten Sie Angst, hatte Ihre Familie Angst? Sie haben eine Frau und vier Kinder.
Meine Frau Katja und ich haben einen Teil meiner früheren Reisen gemeinsam unternommen, zuletzt waren wir vor drei Jahren in Afghanistan. Meine Frau weiß, dass ich vorsichtig bin. Zudem wird eine solche Reise wie jetzt nach Kiew sorgfältig geplant, dazu gehören selbstverständlich höchste und sehr umfassende Sicherheitsmaßnahmen, unter anderem Personenschutz von der Spezialeinheit Cobra. Wir fuhren in einem Sonderzug der ukrainischen Regierung, nachts von Polen nach Kiew, nachts auch wieder zurück. Jeweils zwölf Stunden. Zum Teil mussten wir verdunkeln. Es gab Notfallverpflegungspakete für jeden, auf der Rückfahrt haben wir im Zug Schwarzbrot aus der Dose gegessen. Es hat fast etwas Surreales, dass ein solcher Besuch inmitten eines Kriegsgebiets so durchorganisiert stattfinden kann. Die Raketenabwehr, die das Flugfeld in Polen beschützte, von dem wir unseren Rückflug nach Wien antraten, war gespenstisch. Nie, nie hätte ich gedacht, dass ich einen Krieg mitten in Europa erleben würde.

Wie geht es Ihnen jetzt, wenige Tage nach der Rückkehr nach Potsdam. Während wir telefonieren, höre ich bei Ihnen munteres Vogelgezwitscher.
Ich war heute früh laufen, mitten durch den Frühling, der hier in Potsdam so wunderschön ist. Da frage ich mich schon – darf ich mich noch daran erfreuen? Ich erlebe das alles gerade viel intensiver, weil ich weiß, dass das keineswegs selbstverständlich ist.

Das Gespräch führte Steffi Pyanoe

Kai Diekmann, 57, war von 2001 bis 2015 Chefredakteur und bis 2017 Herausgeber der „Bild“-Zeitung. Mit Partnern gründete er die Agentur Storymachine. Er lebt in Potsdam.

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