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Sie ist weg. Die ehemalige Fachhochschule ist Geschichte. Besonders an den letzten Abrisstagen im August verfolgten viele Zaungäste das Geschehen.

© Martin Müller

Jahresrückblick 2018 für Potsdam: Was sich 2018 in Potsdam verändert hat

Die Ära Jakobs ist zu Ende gegangen, der Umbau der Potsdamer Mitte schreitet voran – und die Schattenseiten des Wachstums sind sichtbarer.

Potsdam - „Besuchen Sie Potsdam, solange es noch steht!“, riet die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung im Juli. Der Text beleuchtete den Streit um das bauliche DDR-Erbe in der brandenburgischen Landeshauptstadt. Aber nicht nur wenn es um prägende DDR-Bauten wie die ehemalige Fachhochschule am Alten Markt, erbaut als Institut für Lehrerbildung, oder die alte Schwimmhalle am Brauhausberg geht, war 2018 ein Jahr des Abschieds und der Veränderung, ist Potsdams Stadtbild heute ein deutlich anderes als vor zwölf Monaten. Auch auf personeller Ebene gab es in Potsdam an vielen Stellen einen Generationenwechsel. Gleichzeitig sind die negativen Nebenwirkungen des anhaltenden Wachstums der Stadt spürbarer geworden – und die Diskussion darüber, welches Potsdam sich die Potsdamer wünschen, lauter.

Wechsel an der Stadtspitze

Im November ist die Ära von Jann Jakobs (SPD) als Oberbürgermeister nach 16 Jahren zu Ende gegangen. Zum Nachfolger gewählt wurde sein Parteifreund Mike Schubert. Der 45-Jährige ist in dieser Stadt groß geworden, kennt sowohl Verwaltung als auch Politikbetrieb seit langem. Von den fünf Konkurrenten im OB-Wahlkampf schaffte es Martina Trauth, die Gleichstellungsbeauftragte der Stadt, die als Parteilose für Die Linke kandidierte, in die Stichwahl gegen Schubert. 

Schon in seiner Antrittsrede Ende November hat Schubert Schwerpunkte gesetzt und Töne angeschlagen, die man so vorher nicht aus dem Rathaus gehört hat: „Eine neue Idee von Potsdam“ wolle er entwerfen, gemeinsam mit den Bürgern einen Konsens zum Wachstum in der Stadt finden, „um den sozialen Zusammenhalt in Potsdam zu garantieren“. Damit hat er sich viel vorgenommen für die nächsten acht Jahre. Auch und insbesondere in Sachen Stadtentwicklung sind von ihm neue Akzente zu erwarten. Eine wachsende Stadt bedeute in erster Linie Veränderung für diejenigen, die bereits in ihr leben, hat Schubert gesagt – und versprochen, die Potsdamer künftig an die erste Stelle zu setzen: „Es ist ihre Stadt und sie sollen entscheiden, wie sich ihre Heimatstadt verändert.“ Deutlich machte er auch: Die Tradition der Toleranz und des Engagements gegen Rechts, die sein Vorgänger Jakobs begründet hat, führt er fort.

Stadtbild im Wandel

Die Fachhochschule Potsdam ist zum Symbol geworden in der Debatte um die Entwicklung der Potsdamer Mitte und dem Umgang mit der DDR-Architektur. Seit dem Sommer steht sie nicht mehr. Über Monate hinweg konnten die Potsdamer verfolgen, wie ein riesiger Greifzangenbagger den Betonbau zerpflückte. Mittlerweile ist die Fläche planiert, 2019 soll zuerst Gras darüber wachsen – ehe mit dem Bau des neuen Wohn- und Geschäftsquartiers begonnen wird. Im Oktober fiel die endgültige Entscheidung über die Bauherren, neben Einzelinvestoren kommen die Potsdamer Genossenschaften „Karl Marx“ und PWG 1956 zum Zuge, den Angaben zufolge soll ein Großteil der insgesamt 100 geplanten Wohnungen zu Mieten unter dem Potsdamer Mietspiegelniveau vermietet werden. Auch die alte Schwimmhalle am Brauhausberg ist Geschichte. Das ehemalige Terrassenrestaurant Minsk konnte sich mit einer Gnadenfrist ins neue Jahr retten – auch, weil sich im April Fachleute aus der ganzen Bundesrepublik in einem offenen Brief für den Erhalt aussprachen. Für die Nutzung des Kreativhauses Rechenzentrum in der Breiten Straße wurde eine Lösung bis 2023 gefunden.

Schattenseite des Wachstums

Potsdam ist auch 2018 wieder gewachsen, rund 178 000 Einwohner hat die Stadt inzwischen. Die neue Einwohnerprognose der Stadtverwaltung sagt: Bis 2035 sind wir sogar 220 000. Welche besorgniserregenden Nebenwirkungen das anhaltende Wachstum hat, wurde in diesem Jahr deutlicher als bisher. Im Mai zeigte eine Studie des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung, dass Arm und Reich in Potsdam stärker räumlich getrennt sind als in den meisten anderen deutschen Städten. Gleichzeitig verschärft sich diese soziale Segregation relativ schnell. Potsdam fehlen Sozialwohnungen, wie der städtische Wohnungsmarktbericht feststellte. Und die Mieten steigen überdurchschnittlich stark, zeigte eine Studie des Hamburger Marktforschungsunternehmens F+B. Die Mietbelastungsquote ist laut einer Studie des Immobilienkonzerns TAG AG hoch – jeder dritte Potsdamer Haushalt muss für die Miete mehr ausgeben, als er sich leisten kann. Die Zahl der von Zwangsräumung bedrohten Potsdamer ist nach Auskunft des Rathauses gestiegen. Und auch Kinderarmut ist im prosperierenden Potsdam ein Thema: 3765 Kinder und Jugendliche leben in schwierigen finanziellen Verhältnissen. Es fehlt bezahlbarer Wohnraum für Studierende, und es fehlen nach wie vor Bandprobenräume.

Verlorene Heimat

Mit seinem Essay „Der Migrant“ hat der Potsdamer Peter Effenberg im Sommer in den PNN einen Nerv getroffen. Angesichts der Veränderungen der vergangenen Jahre fühle er sich heimatlos geworden – „wie ein Migrant, der sich in der eigenen Stadt verlaufen hat“. Mit den DDR-Bauten verschwinde nicht nur ein Teil der Geschichte der Stadt – auch eigene Lebensgeschichte. Zu keinem Beitrag erhielt die PNN-Redaktion in diesem Jahr mehr Zuschriften. Vielen Lesern hat Effenberg aus der Seele gesprochen, viele auch zum Widerspruch bewegt. Die Diskussion wird 2019, wenn sich friedliche Revolution und Mauerfall zum 30. Mal jähren, weitergehen. Wenn es Potsdams neuem Rathauschef gelingt, sie ernstzunehmen – umso besser.

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