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Der Turm wächst. Obwohl seit zwei Jahren gebaut wird, reißt die Kritik an dem Projekt nicht ab. Aufnahme vom 23. August 2019.

© Andreas Klaer

Interview zur Garnisonkirche: Kritik an Wiederaufbau-Stiftung aus den eigenen Reihen

Paul Nolte, der Vorsitzende des wissenschaftlichen Beirats der Garnisonkirche, über Fehler der Wiederaufbau-Stiftung, eine neue Trägerschaft, die Argumente der Kritiker und den Grund, warum der Bund auch die Vollendung des Turms bezahlen sollte.

Von Peer Straube

Herr Nolte, der wissenschaftliche Beirat der Garnisonkirche arbeitet seit fast einem Jahr. Öffentlich hat man von dem Gremium, das das umstrittene Projekt ja beratend begleiten soll, allerdings noch nichts gehört.
Ein Beirat ist ja keine Öffentlichkeitsagentur. Er tut in erster Linie das, wofür sein Name steht: Er berät – in unserem Fall die Garnisonkirchen-Stiftung, mit der ich als Vorsitzender des Gremiums in regem Austausch bin. Zunächst ging es erst einmal darum, die Arbeit des Beirats auf eine solide Grundlage, auch für künftige Öffentlichkeitswirksamkeit, zu stellen. Das haben wir geschafft.

Dennoch hatte mancher wohl mehr erwartet.
Es gibt jetzt auch konkrete Ergebnisse. Im Herbst starten wir mit einer Programmreihe in Potsdam. Die erste Veranstaltung soll sich mit der Frage der Rekonstruktion verloren gegangener Architektur beschäftigen. Dabei werfen wir auch einen Blick über den Tellerrand und diskutieren darüber, wie anderswo mit solchen Rekonstruktionen umgegangen wird, welche Erfahrungen es gab – und welche Spannungen.

Das Wort Spannungen dürfte für das Projekt Garnisonkirche wohl eher zu milde sein. Die Front der Gegner, so scheint es, wächst von Tag zu Tag. Dabei wäre jegliche Unterstützung gerade jetzt wohl hochwillkommen.
Sicher, aber ein Beirat ist kein Gremium von Aktivisten, wir pflegen andere Handlungsformen. Im Übrigen sehe ich ohnehin noch nicht, dass die Zahl der Kritiker wirklich wächst.

Und doch gingen erst vor wenigen Tagen mehr als 100 namhafte Künstler, Wissenschaftlicher und Architekten wie Peter Kulka oder Klaus Staeck mit einem Brief an die Öffentlichkeit, in dem der Wiederaufbau erneut scharf kritisiert wird.
Darunter sind tatsächlich Namen, die Gewicht haben. Umso bedauerlicher finde ich, dass einige der Kollegen, die ich auch persönlich kenne und schätze, sich dazu haben verführen lassen, diesen Brief zu unterschreiben.

Warum ist das eine Verführung?
Weil der offene Brief in vielerlei Hinsicht die Arbeit der Stiftung, des Beirats und auch die Gestalt, die das Projekt in den letzten Jahren angenommen hat, konsequent ignoriert.

Das müssen Sie näher erklären.
Bei der ganzen pazifistischen Arbeit, die Pfarrerin Cornelia Radeke-Engst schon heute in der Nagelkreuzkapelle leistet, muss doch niemandem bange sein, dass hier ein Wallfahrtsort für Rechte entsteht! Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, ein Sozialdemokrat, der nun wirklich nicht als rechtsradikaler Kriegstreiber oder blinder Preußenverehrer bekannt ist, hat die Schirmherrschaft über das Projekt übernommen. Die Evangelische Kirche, gewiss auch eher linksliberal als nationalkonservativ, hat sich nach langem Ringen und nach langen Auseinandersetzungen dafür entschieden, Kredite für den Wiederaufbau zu bewilligen. Da sage ich doch: Hallo, aufwachen, wir sind nicht mehr im Jahre 2004!

Wie erklären Sie sich, dass die Garnisonkirche die Gesellschaft derart spaltet, obwohl sie als Versöhnungszentrum doch das genaue Gegenteil bewirken soll?
Die Garnisonkirche ist zu einer Projektionsfläche für Konflikte geworden, die wir in der Gesellschaft austragen müssen. Darüber kann man diskutieren, aber man sollte dabei Form und Proportionen wahren. Manche Kritiker verweigern die direkte Kommunikation, andere schreiben gleich einen offenen Brief, was für mich eine Verletzung des Stils ist. Aber all das zeigt eben, wie wichtig die Debatte darüber ist, gerade auch über die preußische Geschichte. Das ist für mich übrigens auch eins der wichtigsten Argumente für das Projekt.

Preußenverklärung ist andererseits aber auch einer der zentralen Vorwürfe.
Zu Unrecht. Denn darum geht es: Die Garnisonkirche muss Preußen als einen wunden Punkt der Geschichte zeigen, ein Preußen, das weh tut – und zwar nicht nur den Bürgern vor Ort, sondern auch den Touristen. Bislang gibt es nirgendwo in Deutschland, auch nicht in Potsdam oder Berlin, einen sichtbaren, authentischen Ort, der auch an die schwierigen und dunklen Seiten, an die schlechten Traditionen der preußischen Geschichte erinnert. Alles Preußische erscheint in einem merkwürdig weichgezeichneten Licht. Man schlendert durch Sanssouci und denkt: Hach, wie schön! Dazu spielt dann die Flöte – aber das ist doch nicht Preußen!

Solche Äußerungen hat man von der Garnisonkirchen-Stiftung bislang vermisst. Überhaupt ist vieles noch unklar. Dabei hatte man seit der Grundsteinlegung 14 Jahre Zeit für ein konkretes Konzept.
Da ist lange Zeit tatsächlich nicht genug getan worden, das ist auch meine Einschätzung. Aber der Baubeginn stand ja lange Zeit in den Sternen. Beim Berliner Schloss, dem Humboldt-Forum, waren die Ausstellungen auch nicht fertig konzipiert, als man anfing, den ersten Stein zu setzen. Bei solchen Projekten kann das auch nicht anders sein. Trotzdem hat es einen Rückstand gegeben. Aber spätestens seit dem Baubeginn der Kirche ist man vorangekommen. Und wenn in dem offenen Brief ein „Lernort“ gefordert wird, wundere ich mich, wo die Unterzeichner zuletzt gewesen sind. „Lernort“ ist doch die zentrale Vokabel für das, was wir in der Garnisonkirche wollen.

Nur wird diese Vokabel, zumindest nicht nach außen erkennbar, kaum mit konkreten Inhalten gefüllt. Der viel beschworene Dreiklang „Geschichte erinnern, Verantwortung lernen, Versöhnung leben“ ist noch immer recht nebulös, nicht wirklich greifbar.
Sie haben vollkommen Recht, und deswegen macht der Beirat auch Druck auf die Garnisonkirchen-Stiftung. Dass das Konzept konkretisiert wird, empfinde ich als dringende Notwendigkeit. Der Bau schreitet ja immer weiter fort. Keinesfalls, und das haben wir auch der Stiftung gegenüber sehr deutlich gemacht, darf die Garnisonkirche nach ihrer Fertigstellung mit einer Verlegenheitsausstellung eröffnen, womöglich noch mit bislang schon in der Nagelkreuzkapelle gezeigten Fotos und Texttafeln, so ehrenwert sie sind.

Und die Ansprache hat gewirkt?
Ende September haben wir unsere nächste Beiratssitzung und da erwarte ich klare Aussagen, auch was die personelle Ausstattung angeht. Wir haben als Beirat angemahnt, dass die Zahl der Mitarbeiter, die sich mit dem Ausstellungskonzept beschäftigen, dringend erhöht werden muss. Die Stiftung hat das wohl lange Zeit unterschätzt.

Welche Hausaufgaben haben Sie der Stiftung noch aufgegeben?
Der bereits zitierte Dreiklang muss stärker mit Inhalten gefüllt werden. Da steckt ganz viel Potenzial drin. Was genau heißt eigentlich Versöhnung? Auch dazu werden wir eine Tagung abhalten. Es ist ja eine spannende Frage: Kann von uns als Deutschen, die wir ja die Täter waren, Versöhnung überhaupt ausgehen? Aber es geht auch um logistische Dinge. Wie viele Busse fahren vor, wo parken die? Wie viele Besucher werden erwartet, wie viele Toiletten braucht man? Diese Fragen sind ebenfalls noch nicht hinreichend beantwortet, weil die Stiftung bislang nicht die nötigen Kapazitäten dafür bereitstellt. Übrigens sind wir als Beirat auch selbst tätig geworden.

In welcher Weise?
Wir haben uns die Online-Ausstellung zur Garnisonkirche angesehen und Texte geschärft, auch kritischer gemacht. Mitunter war das noch ein bisschen nostalgisch oder heimatgeschichtlich angehaucht, etwa, wie wichtig die Kirche für das Potsdamer Stadtbild ist. Sicherlich ist sie das, aber das Projekt steht für etwas viel Größeres. Dass dieses Profil bislang nicht ausreichend geschärft wird, muss sich auch die Stiftung ankreiden lassen.

Wie meinen Sie das?
Zu lange wurde der Wiederaufbau als eine Angelegenheit begriffen, die sich auf das Potsdamer Stadtbild, allenfalls noch auf ein kirchliches Versöhnungszentrum beschränkt. Die Bedeutung dieses nationalen Projekts, als das der Bund es sieht und weswegen er es auch finanziell fördert, wurde von der Stiftung nicht erkannt – und die Möglichkeiten, die sich daraus für die Außenwerbung ergeben, nicht beim Schopfe ergriffen. Die Schirmherrschaft des Bundespräsidenten und die Chance, ein Preußenbild auch in seinen dunklen Facetten zu zeichnen, haben eine enorme Symbolkraft, die von der Stiftung bislang nicht ausreichend genutzt worden ist.

Womöglich trägt dazu auch die Zusammensetzung des Stiftungskuratoriums bei. Die Kritiker monieren, das Gebäude werde, wie in unseligen früheren Zeiten, vor allem von Vertretern des Staates, der Kirche und des Militärs dominiert. Tatsächlich sitzt im Kuratorium kein einziger Vertreter einer Friedens- oder Menschenrechtsorganisation. Daher wird ein Trägerwechsel gefordert. Sehen Sie das auch so?
Diesen Punkt nehme ich durchaus ernst. Mitunter neigen solche Kuratorien zu einer gewissen Trägheit, was die Zusammensetzung – und die Altersstrukturen – angeht. Und in der Tat stellt sich die Frage, ob die derzeitige Trägerschaft diesem Projekt von nationaler Bedeutung auch gerecht wird. Eine Stiftung ist keine schlechte Lösung, womöglich müsste sie aber breiter aufgestellt werden – unter Einbeziehung des Bundes und des Landes Brandenburg.

Auch Potsdams Oberbürgermeister ist im Kuratorium vertreten. Anders als sein Vorgänger Jann Jakobs ist Mike Schubert aber auf Distanz zur Garnisonkirche gegangen und lässt den Sitz ruhen, bis sich die Stadtverordneten mehrheitlich auf eine Position festgelegt haben. Zu Recht?
Ich finde das bedauerlich. Es wäre besser, wenn die Stadt Potsdam im Kuratorium ihre Mitverantwortung für das Projekt wahrnähme. Wenn Kritiker verlangen, dass neue Perspektiven Einzug ins Kuratorium halten, wäre doch gerade der Oberbürgermeister dort hochwillkommen.

Die Stadtverordneten sind bei der Garnisonkirche nach wie vor sehr gespalten. Die Kritiker, die ja vor allem aus dem linken politischen Spektrum kommen, sehen vor allem die braune Vergangenheit des Gebäudes.
Dabei ist das vollkommen falsch. Dieses Projekt wird aus der Mitte der demokratischen, ich möchte fast sagen linksliberal akzentuierten Zivilgesellschaft unterstützt. Und nehmen Sie nur die Inschrift auf dem Sockel: „Richte unsere Füße auf den Weg des Friedens“ steht da in fünf Sprachen, ein Zitat aus dem Lukas-Evangelium. So etwas muss man als Kritiker doch auch mal zur Kenntnis nehmen.

Ein weiterer Kritikpunkt betrifft die Finanzierung. Gerade hat der Bund seine Unterstützung von zwölf auf 18 Millionen Euro aufgestockt. Wie soll man vermitteln, dass ein Vorhaben, das eigentlich komplett aus Spenden finanziert werden sollte, inzwischen zum weit überwiegenden Teil mit öffentlichem Geld bezahlt wird?
Es ist nicht selten, dass Projekte zivilgesellschaftlich angestoßen werden, die Initiatoren aber am Ende damit überfordert sind. Es ist legitim, dass die öffentliche Hand einspringt, wenn das Vorhaben wichtig genug ist. Das ist ja geradezu ein Prinzip unserer demokratischen Gesellschaft. In diesem Fall besteht daran für mich kein Zweifel.

Und wenn sich nicht genug Spender für die Vollendung des Turms finden? Noch ist ja nur eine Rumpfvariante ohne Helm und Verzierungen ausfinanziert. Zur Fertigstellung fehlen mehr als zehn Millionen Euro.
Mit Spenden wird sich die Lücke kaum füllen lassen. Daher halte ich es nicht für ausgeschlossen, dass der Bund auch für den Rest aufkommt. Und das wäre auch gut angelegtes Geld, weil wir mit der Garnisonkirche einen Ort bekommen, an dem gezeigt wird, dass Preußen nicht nur aus Schlössern, Gärten und Kulturschätzen in Museen besteht.

Angesichts der geballten Kritik an dem Projekt: Haben Sie es schon bereut, sich für den wissenschaftlichen Beirat zur Verfügung gestellt zu haben?
Bereut habe ich es noch nicht, auch wenn es ein sehr herausforderndes Projekt ist – mit Diskussionslagen, die viel kantiger sind als bei anderen Vorhaben.

Glauben Sie ernsthaft noch daran, dass der Streit um die Garnisonkirche eines Tages komplett beigelegt werden kann?
Die Situation wird sich verändern, wenn der Turm fertig und die Ausstellung eröffnet ist. Ein Ende des Diskussionsprozesses wird das nicht bedeuten, die Auseinandersetzung mit der brandenburgisch-preußischen Geschichte wird für Potsdam und Berlin weitergehen.

Nach derzeitigem Stand soll der Kirchturm 2023 fertig sein. Stellen Sie sich Ihren ersten Rundgang vor: Was möchten Sie dort sehen?
Ich möchte eine Ausstellung sehen, die an die interessante und schwierige Geschichte dieses Ortes erinnert, einschließlich einer sehr kritischen Auseinandersetzung mit dem sogenannten Tag von Potsdam am 21. März 1933...

...als sich Hindenburg und Hitler vor der Kirche die Hand schüttelten.
Ja. Aber ich möchte auch eine Ausstellung sehen, die über dieses Gebäude hinausreicht und den Besuchern – nationalen und internationalen – die Symbolhaftigkeit der Garnisonkirche für das vermittelt, was Preußen für die deutsche Geschichte bedeutet hat.

Paul Nolte (56) ist Professor für Neuere Geschichte am Friedrich-Meinecke-Institut der FU Berlin. Seit 2018 ist er Vorsitzender des wissenschaftlichen Beirats der Garnisonkirche.

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