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Interview | Thomas Dippe: „Ich habe die Notbremse gezogen”

Der Unternehmerverbands-Sprecher Thomas Dippe verlor wegen Corona 90.000 Euro. Nach 30 Jahren schließt er jetzt sein Babelsberger Reisebüro.

Von Carsten Holm

Herr Dippe, Sie lösen gerade Ihr Reisebüro auf. Es ging nicht mehr?

Ich habe alles gegeben. Ich war einer der Initiatoren der Demos „Rettet die Reisebüros!” auf dem Neuen Markt. Aber interessiert hat sich in Wahrheit kaum jemand dafür.

Wann erkannten Sie, dass Ihr Reisebüro nicht zu retten sein würde?

Ende Mai. Da wurde mir klar, dass es den Verkauf von Reisen so nicht mehr geben würde. Wir haben viele Krisen überstanden: Terrorattacken, Pleiten, Tsunamis, Vulkanausbrüche mit Beeinträchtigungen des Flugverkehrs. Aber Corona ist anders. Es kommt einem Berufsverbot gleich. Seit März.

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Im Sommer zogen die Umsätze an.

Ja. Mallorca wurde gebucht, auch Ägypten. Ich hatte etwas Hoffnung. Dann begann alles von vorn. Als man anfing, Deutschland in Risikogebiete zu zerhacken, war mir klar: Wir können das alles vergessen.

Sie haben viel privates Geld verloren.

Ich hab' mein letztes Hemd gegeben. Corona hat mich meine gesamte Altersversorgung gekostet, die Lebensversicherung und eine Fonds-Versicherung.

Und jetzt mussten Sie Ihr Haus verkaufen?

Ja, nur so ließen sich die Kreditansprüche der Banken bedienen, nur so konnte ich eine Insolvenz verhindern.

Ihre 85 Jahre alte Mutter wohnt bei Ihnen. Wie geht es für
Sie beide weiter?

Meine Mutter hat vor mir gestanden und gesagt: Thomas, es ist dein Haus. Aber darf ich mitkommen, wenn du umziehst? Mir kommen die Tränen, wenn ich daran denke.

Wie viel haben Sie an Staatszuschüssen bekommen?

Knapp 19.000 Euro. Ein Tropfen auf den heißen Stein. Verloren habe ich rund 90.000 Euro. Unsere Politiker haben auf die kleinen und mittelständischen Unternehmen so gut wie keine Rücksicht genommen.

Wie wird man damit fertig?

Ich habe die Notbremse gezogen. Mein Unternehmen wäre am 3. September 30 Jahre alt geworden. Wir wollten groß feiern. Wir hatten ja schon 2019 wegen der Pleite von Thomas Cook 30.000 Euro verloren, weil wir Provisionen zurückzahlen mussten, für die wir gearbeitet hatten.

Wann haben Sie Ihre letzte Reise verkauft?

Im September. Ein Ehepaar wollte in Deutschland Urlaub machen. Das wurde wegen des Beherbungsverbots storniert.

Sie haben vor elf Jahren eine Unternehmensberatung gegründet. Was ist daraus geworden?

Ich wollte im Mai ein neues Projekt vorstellen. Ich hatte meine Firma dafür umgebaut, wir wollten für kleine und mittelständische Unternehmen in Brandenburg zum Beispiel anbieten, Hotels, Gaststätten und Reisebüros zu vernetzen und Service dafür zu leisten. Wir hätten die Firmen komplett betreuen können, den Betrieb etwa auf papierlos umzustellen, Social-Media-Aktivitäten aufzubauen, Werbeaktionen, elektronische Kundenbetreuung und viel mehr. Alles ist fertig, die Programme hatte ich selbst geschrieben.

Da könnte also Ihre Zukunft liegen?

Ja. Warum soll man nicht mit 59 nochmal neu anfangen?

Können Sie noch schlafen?

Jetzt wieder. Ich wache nicht mehr jeden Morgen mit Angst auf.

Sie sagten im April, es gebe in Potsdam 54 Reisebüros mit 150 Mitarbeitern. Wie viele sind nach ihrer Kenntnis in Not?

Alle.

Mit wie vielen Schließungen rechnen Sie noch?

Viele schließen, um aus den Mietverträgen herauszukommen. Und dann vom Homeoffice aus irgendwie weiterzumachen.

Es wird also auch in Potsdam ein großes Reisebürosterben geben?

Das hat längst begonnen. Ich habe die große Befürchtung, dass viele Kollegen nur noch durch eine Insolvenz aus der Notlage herauskommen.

Sie haben dann noch im Sommer nach geschäftlichen Alternativen gesucht.

Ich habe mit meinem Mitarbeiter für ein Potsdamer Anwaltsbüro als Full-time-Job sechs Wochen lang ein Call-Center betrieben.

Sie sind auch selbst gern gereist. Was haben Sie gesehen?

Die ganze Welt. Ich war in 54 Ländern.

Die Highlights?

Bali. Und Nepal. Am Morgen um 6 Uhr aus dem Fenster zu schauen, hinauf zu den glühenden Himalaja-Riesen, das war unvergesslich!

Werden Sie die Reisen vermissen?

Sehr.

Zur Person: Thomas Dippe, 59, führte 30 Jahre lang das Reisebüro Dippe in Babelsberg. Er ist tourismuspolitischer Sprecher des Unternehmensverbands Brandenburg-Berlin.

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