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Alles zu. Die Einbußen für die Wirtschaft dürften enorm werden, schätzt Volkswirt Heinemann.

© Ottmar Winter PNN

Interview | Professor Maik Heinemann: „Uns wird klar, wie frei wir eigentlich leben“

Uni-Volkswirt Maik Heinemann über die Folgen des Shutdown, die Finanzhilfen, Krisengewinner und einen schnellen Neustart.

Postsdam - Herr Heinemann, wie lange hält unsere Wirtschaft den Shutdown noch durch?
Eine Antwort darauf ist natürlich spekulativ. Viele Haushalte wie auch Unternehmen betrifft nun die Frage, wie sie die Einkommenseinbußen beziehungsweise Einnahmeausfälle verkraften können. So eine Situation haben wir bislang noch nicht erlebt. Ich denke aber, dass es möglich ist, die Unternehmen davor zu bewahren, großflächig in die Knie zu gehen. Vorausgesetzt, dass die die vom Bundestag beschlossenen Liquiditätshilfen ausreichen.

Erwarten Sie das?

Von den Dimensionen her ist der Rettungsschirm zumindest ein Anfang. Zudem ließ Finanzminister Olaf Scholz durchblicken, dass nachgelegt wird, wenn es nicht reicht. Die Bundesregierung kann aktuell nur auf Sicht fahren. Sie muss erst schauen, ob die kurzfristig zur Verfügung gestellten Mittel abfließen – und auch abfließen können. Wenn das aufgebraucht ist, wird es nicht der Weisheit letzter Schluss gewesen sein. Aber wir hoffen ja auch alle, dass es in zwei, drei Wochen vielleicht wieder leicht bergauf gehen kann, dass die ersten geschlossenen Unternehmen wieder vorsichtig mit dem Betrieb beginnen können.

Es gibt aktuell auch Verlagerungen – die eine verlieren, die anderen gewinnen.
Das betrifft gewisse Branchen, die nun ganz neue Geschäftsfelder entdecken. Etwa Tischler und Schreiner, die in Geschäften und Läden nun Schutzmaßnahmen einbauen. Das hilft den einzelnen Betrieben aktuell. Aber das sind nur kleine Effekte, die sich am Ende im Bruttoinlandsprodukt kaum niederschlagen werden. Und die Einzelhändler befürchten nun natürlich zu Recht, dass die Abwanderung des Marktes ins Internet jetzt weiter an Fahrt aufnimmt.

Ist mit zusätzlichen Steuereinnahmen aus neuen Marktfeldern zu rechnen?

Das lässt sich schwer sagen. Die Discounter und der Handel haben sicher gewisse Zuwächse verbucht. Am Ende des Tages sinkt aber die Konsumnachfrage, wenn wir alle zuhause bleiben. Es sind einfach zu viele Bereiche, die nun leiden. Das wird sich in der Statistik deutlich bemerkbar machen. Die Konsumnachfrage bricht auch nicht nur mangels der Gelegenheit zum Geldausgeben ein, sondern weil stellenweise auch Einkommen ausbleiben. Das kommt beides zusammen.

Kann man einen Gewinn sehen, den man aus der Krise ziehen kann?

Zum jetzigen Zeitpunkt ist dazu nichts erkennbar. Manche Branchen leiden weniger, mache Geschäftsfelder entstehen nun erst durch die Krise – aber von Krisengewinn kann man nicht sprechen. Auch, dass der Gesundheitsbereich wirtschaftlich gewinnt, ist eher eine zynische Feststellung.

Immerhin hatte sich der Dax phasenweise immer mal wieder erholt.

Die Ausschläge hier sind über einen Tag gesehen erheblich, das ist schon sehr ungewöhnlich. Keiner weiß wirklich, wie die Lage einzuschätzen ist. Auch, dass der Dax dann erst im März abrutschte, zeigt, dass es mit der Rationalität der Aktienmärkte nicht allzu weit her ist. Denn im Grunde hätte man schon an der Entwicklung in China seit Jahresbeginn sehen können, dass der Weltwirtschaft gewaltiges Ungemach droht. Normalerweise nehmen Aktienmärkte so etwas vorweg. Diesmal aber nicht. Der Optimismus war nicht gerechtfertigt. Dann wurde die Bewegung nachgeholt und der Absturz von Anfang März war gewaltig.

Der Verlauf des deutschen Börsenindex Dax bis zum Corona-Crash.
Der Verlauf des deutschen Börsenindex Dax bis zum Corona-Crash.

© R. Mühlenbruch, Redaktion: I. Kugel/dpa

Was ist der Unterschied zu bisherigen Börsencrashs – war 2008 war eine fundamentalere Zäsur?
Die damalige Finanzkrise war eine große Vertrauenskrise, der Wert von Vermögensanlagen war nicht mehr richtig einzuschätzen. Das Vertrauen in die Vermögenswerte, die man hält, war zerstört. Das führte dazu, dass die Konsumausgaben zurückgingen, man schränkte sich ein. Damit brach die Nachfrage großflächig ein. Heute haben wir es mit einer Krise zu tun, die im realen Sektor stattfindet: die Bänder stehen still. Das ist der wesentliche Unterschied zur Finanzkrise. In beiden Fällen ist jedoch die wirtschaftliche Substanz, abgesehen von den Unternehmen, die die Krise nicht überleben, nicht zerstört worden. Schließlich hat kein Krieg oder eine Naturkatastrophe die Produktionsanlagen zerstört. Die Anlagen sind noch da. Wenn dann wieder konsumiert werden kann, kann die Wirtschaft auch relativ schnell wieder anlaufen. Das war auch damals zu merken, ein Jahr nach dem Tiefpunkt 2009 hatten wir in Deutschland Wachstumsraten von rund vier Prozent. Die Erholung verlief relativ schnell – und das bleibt auch diesmal zu hoffen.

Der Motor dürfte also nach einer Lockerung der Maßnahmen schnell wieder anspringen?
Davon gehe ich aus. Was die Industrieproduktion anbelangt, sind das alles Bereiche, in denen der Konsum nachgeholt werden kann. Ein defekter Kühlschrank, der jetzt nicht gekauft wird, wird dann möglicherweise im dritten oder vierten Quartal gekauft. Hier werden wir Nachholeffekte sehen. Gastronomen und Kulturschaffende wird das aber nicht trösten, denn dieser Konsum wird nicht in diesem Ausmaß nachgeholt werden können. Hier werden Ausfälle bleiben. Der ganze Dienstleistungsbereich, der stark getroffen ist, wie auch die Tourismusbranche, werden große Defizite bekommen.

Stichwort gelockerte Schuldenbremse: Wie lange wird uns diese Krise noch nachhängen?
Das wird dauern. Der Schuldenstand war in den vergangenen Jahren ja ordentlich zurückgegangen, fast auf das Niveau der EU-Vorgaben. Das ist nun vorbei. Aber ich beurteile das ähnlich wie der Finanzminister. Der schöne Spruch „Spare in der Zeit, dann hast Du in der Not“ bewahrheitet sich hier. Gut, dass wir die Reserven haben, um sie nun einzusetzen. Schade nur, dass wir sie nicht für Investitionen nutzen können. Das ist ein negativer Nebeneffekt der Krise. Es ist zu befürchten, dass viele Projekte beispielsweise zur Digitalisierung oder im Bereich Klimaschutz erst einmal zu kurz kommen werden.

Manch einer erwartet nun auch, dass sich angesichts dieser Krise zeige, welches Wirtschaftsmodell – freie Marktwirtschaft oder gelenkte Staatswirtschaft – das resilientere ist.
Soweit würde ich nicht gehen. Selbst wenn es so wäre, dass man mit rigorosen Maßnahmen und Einschränkungen von Freiheitsrechten einen positiven Effekt auf die Ausbreitung des Virus erzielen könnte – was noch nicht erwiesen ist –, bleibt die Frage, ob wir tatsächlich bereit wären, für einen möglichen ökonomischen Gewinn unsere Freiheit aufzugeben. Das halte ich für nicht vorstellbar. Gerade jetzt merken wir doch, dass unsere bürgerlichen Freiheiten ein sehr wertvolles Gut sind.

Ist das ein Lerneffekt aus der Krise?

Das denke ich schon. Uns wird klar, wie frei wir eigentlich leben und welchen hohen Stellenwert das für uns hat. Wir haben das bislang zumeist einfach hingenommen, dass man jeden Tag in die Öffentlichkeit gehen kann und sich treffen kann, mit wem man will. Uns wird klar, dass wir nicht in dem Maße überwacht werden können oder wollen wie beispielsweise in China. Das merken wir nun ganz deutlich.

Maik Heinemann (56) ist Professor und Dekan an der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Uni Potsdam.
Maik Heinemann (56) ist Professor und Dekan an der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Uni Potsdam.

© privat

Wie groß ist die Gefahr, dass die Weltwirtschaft durch die Coronakrise komplett kollabiert?
Es wird global große Einbußen geben. Die globale Produktion von Gütern sinkt. Europa ist der größte Binnenmarkt der Welt. Wenn hier die Industrieproduktion wochenlang ausfällt, dann hat das gewaltige Einbußen zur Folge. Das gleiche gilt für die USA und China. Ein gewaltiger Einbruch, der aber im Rückblick auch nur eine Episode sein wird. Die Weltwirtschaft wird sich wieder erholen, weil die Betriebe, die überleben werden, nahtlos weiter machen können.

Kein aber?
Es kann sein, dass wir das Modell der Globalisierung noch einmal überdenken. Wenn man sich die Verwundbarkeit von Lieferketten anschaut, wird klar, dass es nicht unbedingt empfehlenswert ist, alle Eier in einen Korb zu legen. Beim Ausfall eines großen Lieferanten steht man dann dumm da. Und natürlich merken wir in Europa nun, dass wir uns Gedanken darüber machen müssen was man unter Integration versteht.

Inwiefern?
Was wir aktuell in Sachen Grenzschließungen und Beschränkungen des Warenverkehrs sehen, ist nicht das, was man sich von Europa vorgestellt hat. Hier kann es sicherlich noch einmal zu einem Überdenken der Beziehungen kommen.

Wie schätzen Sie das aktuelle Krisenmanagement der Bundesregierung ein?
Grob betrachtet kann man zwei Strategien diskutieren: Einmal den Shutdown mit einem Neustart am Ende, zum anderen die Strategie, die Infektionswelle bei laufendem Betrieb durchgehen zu lassen – beides mit entsprechenden wirtschaftlichen Einbußen. Ich würde sagen, dass wir mit der ersten Strategie – insbesondere auch unter dem Aspekt des Gesundheitsschutzes – gegenwärtig alles richtig machen.

Maik Heinemann (56) ist Professor für Wachstum, Integration und nachhaltige Entwicklung und derzeit Dekan der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Uni Potsdam.

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