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Strikt. FFP2-Masken sind in der Senioren-Residenz Heilig Geist Park schon länger Pflicht. Dafür gab es in der Einrichtungen auch bislang keine großen Ausbrüche.

© Andreas Klaer

Interview | Potsdamer Seniorenresidenz in der Coronakrise: "Besucher sind das größte Risiko"

Hendrik Bössenrodt, Geschäftsführer der Seniorenresidenz Heilig Geist Park in Potsdam, über die Infektionsgefahr in Seniorenheimen und Möglichkeiten, das Ansteckungsrisiko zu mindern.

Von Carsten Holm

Herr Bössenrodt, in den bundesweit knapp 12 000 Pflegeheimen gibt es laut Robert-Koch-Institut derzeit rund 900 Corona-Ausbrüche. Wann hatten Sie zuletzt einen?
 

Wir hatten gerade vier leichtere Fälle mit positiv getesteten Bewohnern, sie sind Ende voriger Woche aus der Quarantäne entlassen worden. Einen regelrechten Ausbruch mit vielen Infizierten hatten wir noch nie.

Bitte?

Wir hatten nur einzelne Fälle von positiv Getesteten, in zwei Monaten waren es zehn.

Ihre Bewohner sind zwischen 80 und 99 Jahre alt. Wie waren die Verläufe?

Mild. Keiner musste ins Krankenhaus. Hinzu kommt ein Fall aus dem März 2020. Wir haben ein Ehepaar ins Betreute Wohnen aufgenommen, das sich allerdings schon vorher infiziert hatte. Die beiden sind zusammen 190 Jahre alt, sie wurden positiv getestet, haben Corona aber ohne Symptome überstanden.

Im Betreuten Wohnen lassen sich Infizierte wahrscheinlich leichter isolieren als auf einer Ihrer vier Pflegeetagen mit jeweils 15 Bewohnern.

Sicher. Betreutes Wohnen ist mit einer Mietwohnung vergleichbar, eigenes Bad und Küche. Eine Ansteckungsgefahr solcher Bewohner lässt sich vergleichsweise einfach minimieren.

Seniorenheime scheinen wenig Schutz zu bieten. Dutzende Bewohner Potsdamer Heime sind an oder mit Corona gestorben. Wie viele Todesfälle gab es bisher bei Ihnen?

Im Januar ist ein 95 Jahre alter Mann verstorben. Aber er war ein klassischer Fall derer, die nicht an, sondern mit Corona sterben. Ein milder Verlauf, er hätte Covid-19 überlebt. Schon länger sprach er davon, dass er ein schönes Leben hatte, nun aber sterben wolle. Er wollte auch nicht mehr zu unserer Weihnachtsfeier kommen. Er kam dann doch, ich hatte ihn sehr darum gebeten. Dann starb er, wie er es sich erhofft hatte.

Wie schützt man ein Heim wie Ihres mit 120 Bewohnern und 60 Mitarbeitern?

Wir halten die Hygienevorschriften des Landes und unsere eigenen, die teilweise noch entschiedener sind, konsequent ein. FFP2-Masken waren bei uns schon zwei Wochen, bevor die Verordnung kam, Pflicht.

In welchen Punkten ist Ihr Hygienekonzept schärfer als das des Landes?

Man könnte beispielsweise die Verordnung so lesen, dass die Mitarbeitenden die Maske abnehmen dürfen, wenn sie nicht nah am Patienten arbeiten. Bei uns wird die FFP2-Maske permanent getragen. Wir haben bisher über 1500 Schnelltests durchgeführt, laut Testverordnung können das geschulte Pflegehelfer tun. Doch wir lassen die Tests ausschließlich von angelernten Fachkräften durchführen. Wir testen die Mitarbeiter rechnerisch 3,5 Mal die Woche, fast doppelt so viel wie die zwei Male, die vorgeschrieben sind. Der zentrale Punkt ist für mich der Umgang mit Besuchen. Ich will niemandem zu nahe treten, aber ich glaube, dass Besucher das größte Risiko für ein Infektionsgeschehen sind.

Deswegen lassen Sie Besucher nicht auf die Etagen, obwohl die Vorschriften das erlauben?

Genau. Wir setzen ein zentrales Besuchskonzept um und ermöglichen Besuche in den Zimmern nur im Ausnahmefall.

Was sind Ausnahmen?

Wenn ein Bewohner erkrankt ist und sein Zimmer zum Besuch nicht verlassen kann und natürlich bei der Sterbebegleitung. Für uns sind die vier Etagen im Pflegebereich der sogenannte weiße und sensibelste Bereich.

Warum führen Sie nicht einen Schnelltest durch, wenn ein Besucher mit seiner Mutter Zeit im Zimmer verbringen möchte?

Ich hätte selbst mit einem Schnelltest kein gutes Gefühl, die Tests sind ja nur eine Momentaufnahme. Außerdem: Wir könnten ja nicht kontrollieren, ob ein Besucher seine Maske im Zimmer des Bewohners zwischendurch abnimmt. Das ist ein vermeidbares Risiko.

Wo kann man sich bei Ihnen treffen?

Wir bieten eine viel sicherere Alternative, unser Restaurant im Erdgeschoss. Die Besucher müssen nicht einmal die Eingangstür der Residenz passieren, der Eintritt ins Restaurant erfolgt über die Terrassentür. Besucher müssen dort FFP2-Masken tragen, es gibt genügend Abstand und Plexiglasscheiben zwischen Bewohnern und Besuchern.

Dort verlangen Sie keinen Antigen-Schnelltest?

Nein. Die FFP2-Maske genügt im Moment. Und wenn sich die Mutationen ausbreiten sollten, haben wir immer noch eine Eskalationsstufe nach oben. Auf einer Online-Liste können sich Verwandte oder Freunde ein- bis zweimal wöchentlich für einen Besuch anmelden. Infizierte dürfen keinen Besuch empfangen.

Ist das alternativlos?

Das ist bitter, aber notwendig. Und es ist nach meiner Beobachtung für die Angehörigen schwerer zu ertragen als für die Bewohner. Bei uns kam es vor, dass eine Mutter, die unter Quarantäne gestellt war, in ihrem Zimmer in der ersten Etage am Fenster stand, als ihr Sohn zu Besuch kam. Sie winkten sich zu. Das ist traurig, aber für eine absehbare Zeit immerhin ein Kontakt.

Wie oft testen Sie die Bewohner?

Einmal wöchentlich.

Ist es nicht unheimlich, wenn das Virus immer wieder den Weg ins Haus findet?

Ja, das ist unheimlich, weil es fast immer nicht erklärbar ist. Nur bei unserem ersten Fall im Dezember war eindeutig, dass das Virus von einem Angehörigen übertragen worden war.

Sind Handwerker eine Gefahr? Oder, Sie kochen ja selbst, Lebensmittel-Lieferanten?

Das können wir ziemlich ausschließen. Handwerker bekommen von uns FFP2-Masken und werden, wenn sie ins Haus müssen, begleitet. Lebensmittelzulieferer liefern an einem separaten Eingang an.

Beruhigen die Hygienemaßnahmen auch die Mitarbeitenden selbst?

Ja. Denn infizierte Bewohner werden in Abstimmung mit dem Gesundheitsamt grundsätzlich sofort auf ihrer Etage isoliert.

Das dürfen Sie nicht allein entscheiden?

Nein. Alle Maßnahmen, mit denen wir die Freiheit unserer Bewohner einschränken, werden nur in Absprache mit dem Gesundheitsamt vollzogen.

Als in der ersten Januar-Woche Infektionen in bis zu zehn von 30 Potsdamer Seniorenheimen verzeichnet wurden, sagte Gesundheitsamtschefin Kristina Böhm, etwa die Hälfte der betroffenen Einrichtungen sei überfordert. Der Einsatz von Leasingkräften wegen Personalmangels gilt als risikohaft, weil sie keiner Testpflicht unterliegen. Arbeiten Sie im Notfall auch mit Leasing?

Nein, schon seit drei Jahren nicht mehr. Falls es personell knapp wird, greift in unserem Hygiene- ein eigenes Personalnotfallkonzept. In diesem Rahmen ist zum Beispiel eine Kollegin eingesprungen, die vor einem Jahr in Rente gegangen war.

Die Berliner Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (SPD) hat kürzlich gefordert, Heime für eine Woche komplett unter Quarantäne zu stellen, wenn auch nur ein Bewohner positiv getestet wird. Wie bewerten Sie das?

Das wäre bestimmt der sicherste Schutz, aber ich fände das völlig unverhältnismäßig. Man kann doch nicht in einem solchen Fall alle Bewohner von Etagen, die nicht betroffen sind, isolieren. 

Bei Ihnen wurden Mitte Januar alle Bewohner geimpft. Es gibt Debatten darüber, ob Geimpfte Privilegien erhalten sollten. Was sagen Sie?
Es muss darüber nachgedacht werden, ob in Pflegeheimen bestimmte Privilegien gewährt werden, wenn Impfschutz besteht.

Welche wünschen Sie sich?

Die Einschränkungen wurden ja immer massiver: Dreimal in der Woche Kino? Nicht mehr möglich, weil mehrere Haushalte zusammenkommen. Das gleiche gilt für Spielkartenrunden im Betreuten Wohnen. Das könnte man innerhalb einer Allgemeinverfügung problemlos ändern.

Und die Maskenpflicht auf den Etagen?

Ich denke, wenn alle den kompletten Impfschutz haben, bei uns also zehn Tage nach der zweiten Impfung Anfang Februar, könnten die Betreuungskräfte darauf verzichten. Es wäre so wichtig, dass die Bewohner die Mimik der Menschen, die sich um sie kümmern, wieder sehen könnten.

Fragen die Bewohner danach?

Ja. Wir hören oft die Frage: Was bringt uns die Impfung denn nun?

Verstehen an Demenz erkrankte Bewohner, warum sie eine Maske tragen sollten?

Kaum. Sie reißen sie deswegen auch oft herunter.

Wie betreuen Sie demente Bewohner, die sich infiziert haben?

Eine Herausforderung ist die Isolation von Demenzkranken, die eine sogenannte Hinlauftendenz haben. Sie haben irgendein Ziel, das ihnen in diesem Moment wichtig ist. Auf ihrer Etage können sie sonst immer frei herumlaufen, sie gilt ja als ein Haushalt. Die Türen der Zimmer sind nicht verschlossen. Und gerade Demenzkranke sind gern mal in jedem Zimmer. Das macht es natürlich schwierig, wenn es ein Infektionsgeschehen gibt.

Wohin lenken Sie das Hinlaufen dann?

Wir haben dafür eine Sitzwache auf der Etage. Sie versucht, diese Bewohner mit guten Argumenten bestenfalls in ihrem Zimmer zu halten. Sie verhindert auch, dass der Fahrstuhl von ihnen benutzt wird.

Darf ein Sohn seine Mutter abholen und im Rollstuhl durch den schönen Park an der Havel schieben?

Ja. Aber bevor sie sich auf den Weg machen, verlangen wir von dem Sohn einen Schnelltest. Wir wissen ja nicht, ob er unterwegs die Maske abnimmt, um seiner Mutter näher zu kommen.

Haben Sie als privates Heim mehr finanzielle Möglichkeiten im Kampf gegen Corona, etwa bei der Bevorratung mit Tests oder Masken?

Nein. Jedes Pflegeheim hat die gleichen Möglichkeiten.

Welche Vorräte haben Sie an Hygieneartikeln?

Sicher 30 000 Paar Handschuhe, 10 000 FFP2-Masken, 20 000 medizinische Alltagsmasken und 500 Schnelltests in Reserve. Anfang Februar kommt das Impfteam der Kassenärztlichen Vereinigung zur zweiten Impfung der Bewohner und Mitarbeitenden zu Ihnen. Es gibt überall Lieferengpässe beim Impfstoff.

Sind Sie sicher, dass Sie welchen bekommen?

Ich habe keinen Zweifel. Wir haben definitive Zusagen.

Wie ertragen Ihre Mitarbeiter die Situation?

Sie erzählen oft, dass es ihnen schwerfällt, den Bewohnern keine körperliche Nähe geben zu können. Mal in den Arm nehmen, die Maske runternehmen, um jemandem etwas ins Ohr zu sagen, damit er es besser verstehen kann. Aber das alles ist leider tabu. Andererseits: Wir befinden uns seit einem Dreivierteljahr in einem Ausnahmezustand. Trotzdem erlebe ich die Stimmung in unserem Team als sehr gut. Uns hat die Krise nicht geschwächt, wir sind noch näher zusammengerückt.

Das Gespräch führte Carsten Holm

Hendrik Bössenrodt ist Geschäftsführer und alleiniger Gesellschafter der privaten Residenz Heilig Geist Park an der Burgstraße. Der 49 Jahre alte Volljurist wurde in der Lutherstadt Wittenberg geboren, wuchs in Berlin auf und studierte dort an der Freien Universität. Sein Interesse für die Pflege wurde früh geprägt: ein Onkel betreibt mehrere Heime, seine Mutter ist Geschäftsführerin im Heilig Geist Park gegenüber der Freundschaftsinsel. Schon während seines Studiums machte Bössenrodt Nachtwachen in Pflegeheimen, 2005 wurde er Geschäftsführer der Residenz, die keine kirchliche Institution ist. Er lebt mit seiner Frau in einer Patchworkfamilie mit vier Kindern in Teltow- Seehof. Die Residenz gehört dem Corpus Sireo Health Care Immobilienfonds. CH

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