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Interview | Polizeichef Karsten Schiewe: "Die Beamten standen an jeder Ecke"

Der Leiter der Polizeidirektion West, Karsten Schiewe, über Demonstrationen gegen die Corona-Politik in Potsdam. 

Von Carsten Holm

Herr Schiewe, wer sich in Potsdam der Maskenpflicht verweigert, dem droht ein Bußgeld zwischen 50 und 250 Euro. Gegen den Regelverstoß von Hunderten, die ohne Maske und Abstand auf die Straße gehen, unternehme die Polizei nichts, heißt es. 

Ich kenne diese Vorwürfe, aber sie treffen nicht zu. Ich habe den Polizeieinsatz zur Versammlung am 20. März am Lustgarten geleitet, wir haben die Teilnehmer auf die Corona-Vorschriften hingewiesen, und wir haben zwischen den Parkflächen und dem Versammlungsort Aufsteller mit den Bestimmungen installiert. Wir hatten uns mit den Anmeldern darauf geeinigt, dass unsere fünf Kommunikationsteams mit je vier Beamten während der Versammlung durch die Reihen der Teilnehmer laufen und jeden oder jede, der oder die keine Maske trägt oder zu wenig Abstand hält, ansprechen. 

Wie viele haben Sie angesprochen? 

Bei der Versammlung am 20. März mehr als 300 Personen. 

Fotos zeigen viele Maskenlose. Kann die Polizei ihnen nicht einfach einen Platzverweis erteilen? 

Die Meinungsfreiheit und die Versammlungsfreiheit sind hohe Rechtsgüter, entsprechend hoch sind die Hürden. Die Polizei muss die sogenannten Maskenverweigerer mehrfach ansprechen und nachweisen, dass der oder die Betroffene das Tragen der Maske vehement verweigert hat. Erst dann können Teilnehmer einzeln ausgeschlossen werden. Außerdem wollen wir Versammlungen ermöglichen und nicht verhindern. Diesen klaren Auftrag hat die Polizei. 

Wie viele haben Sie ausgeschlossen? 

Niemanden. Diese Fälle lagen nicht vor. 

Wie viele haben ein Attest vorgezeigt, das sie von der Maskenpflicht befreit? 

Am 20. März 158. 

Es gibt Ärzte, die Atteste nach Wunsch ausstellen. Haben Sie das kontrolliert? 

Wenn es dafür keine Anhaltspunkte gibt, dürfen wir nicht ermitteln. Wir dürfen dann weder die Atteste kopieren, noch Daten aufnehmen. Diese Anhaltspunkte gab es in keinem Fall. 

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Am 10. Juli 2020 feierten mehr als 200 Menschen vor dem Verwaltungsgericht den Verschwörungstheoretiker Bodo Schrang. Ohne Maske. Warum lösen Sie solche Demonstrationen nicht auf? 

Wenn ich die Entscheidung treffe, eine Versammlung zwangsweise aufzulösen, berührt das komplizierte Rechtsfragen, nicht nur die der Verhältnismäßigkeit. Erst einmal muss ich beantworten, ob die Voraussetzungen vorliegen, um den Verstoß gegen Ordnungswidrigkeiten, und um mehr geht es bei den Maskenverweigerern ja nicht, mit Zwangsmaßnahmen zu ahnden. Und dann gilt es, Risiken abzuwägen. 

Welche? 

Eine zwangsweise Auflösung schafft neue Gefährdungssituationen. Nicht nur für unsere Beamten, die den Versammlungsteilnehmern sehr nahe kommen müssen, sondern auch für andere Teilnehmer, aber auch für Unbeteiligte. 

Ein Polizist sagte den PNN: Niemand wolle Bilder von blutenden Corona-Leugnern. Halten Sie solche Überlegungen ab? 

Nein. Wenn die Verstöße gegen Bestimmungen erheblich sind, würde ich das anordnen. Aber es stimmt schon, manche Bürger würden applaudieren: Die Polizei zieht durch. Aber natürlich wäre die gewaltsame Auflösung einer Versammlung Wasser auf die Mühlen genau derjenigen, die propagieren, dass Staatsbürger in Uniform die Merkel-Diktatur durchsetzen würden. Ein Einsatz mit körperlicher Gewalt muss die Lage nicht verbessern, sondern kann sie auch verschlimmern. Wichtig ist, dass man hier mit kühlem Verstand und nicht mit heißem Kopf agiert. 

Nach PNN- Informationen kam es bei der zweiten Demo am 20. März fast zu einer Auflösung. 

Das ist richtig. Es war etwa eine Dreiviertelstunde nach dem Beginn der Versammlung. 500 Teilnehmer waren angemeldet, mehr sind nach den Bestimmungen der Eindämmungsverordnung grundsätzlich nicht erlaubt. Aber wir hatten mit deutlich mehr Personen gerechnet und im Bereich des Lustgartens vorsorglich räumlich voneinander getrennt vier Versammlungsräume vorgesehen. 

Sie hätten bis zu 2000 Demonstranten hingenommen? 

Ja. Sie hätten diese Versammlungen aber unmittelbar vor Ort anmelden müssen, was sofort möglich gewesen wäre. Wir hatten das mit den Veranstaltern während eines Vor-Ort-Termins genau abgesprochen und die einzelnen Räume schon mit Flatterbändern abgegrenzt. 

Warum wurde die Lage schwierig? 

Die erste Fläche, die wir der angemeldeten Versammlung zugewiesen hatten, war schnell vollgelaufen. Wir schätzten aber, dass die Zahl auf bis zu 800 Teilnehmer anwuchs, also 300 mehr als erlaubt. Nach dem sehr schnellen Öffnen der Fläche für eine zweite Versammlung nahe der Spielbank gingen zwar viele Versammlungsteilnehmer dann dorthin, genauso viele blieben aber einfach zwischen den beiden Flächen stehen. Das war kritisch, denn damit wurden natürlich die notwendigen Abstände beider Versammlungsräume quasi aufgehoben. 

Was haben Sie getan?

Ich habe den Versammlungsleiter unverzüglich aufgefordert, die Menschen sehr schnell dazu zu bewegen, sich in die jeweiligen Versammlungsräume zu begeben. Andernfalls müsse ich Maßnahmen, gegebenenfalls auch die Auflösung der Versammlung, anordnen. Alles klärte sich dann recht zügig, auch dank der klaren Ansprachen der Polizeikräfte. 

Hätten Sie die Demos des sogenannten Multikulturellen Friedensforums andernfalls aufgelöst, auch mit Gewalt? 

Wenn man eine solche Maßnahme androht und dann nicht vollzieht, wird man völlig unglaubwürdig. Also: Ja, ich hätte die Auflösung angeordnet, wenn alle anderen Maßnahmen fehlgelaufen wären. 

Hatten Sie genügend Kräfte, um die Demonstration so zu beenden? 

Wir planen die polizeilichen Einsätze professionell unter Einbeziehung aller denkbaren Möglichkeiten. Dazu gehört auch eine Auflösung. Manchmal kommt es zwar anders, als man prognostiziert hat, hier waren aber Prognose und Wirklichkeit ganz nah beieinander. 

500 Polizisten waren im Einsatz. Stehen für den Fall einer Auflösung weitere 500 irgendwo bereit? 

Nein. Unsere Beamten standen in der Potsdamer Innenstadt praktisch an jeder Ecke. Dort brauche ich sie auch und nicht irgendwo im Wald versteckt, von wo ich sie im Bedarfsfall herbeiholen kann. 

Hätte es bei einer zwangsweisen Räumung nicht zu einer Eskalation mit Verletzten kommen können? 

Nach unserer Prognose nicht. Bei der ersten Demonstration der Kritiker der Corona-Politik am 13. März, die ja eigentlich schon vorher von den Veranstaltern abgesagt worden war, gab es eine erhebliche Zahl von Teilnehmern, die nach unseren Bewertungen nicht der bürgerlichen Mitte, sondern dem rechten Rand zuzuordnen sind. 

Eine Woche später waren Normalos in der Überzahl? 

Ja. Wir wussten von unseren Kollegen in Berlin, dass sich die Anti-Corona-Politik-Bewegung dort offenbar geteilt hatte. Die eher Extremistischen wollten in Berlin demonstrieren, die Gemäßigten in Potsdam. Wir hatten zwar als Indianer, Cowboys, Eskimos und Filmhelden verkleidete Versammlungsteilnehmer darunter, aber offenbar keine Gewalttäter. Ich glaube, dass die absolute Mehrzahl dieser Versammlungsteilnehmer unserer Aufforderung gefolgt wären, den Platz zu verlassen. 

Gegenüber der Versammlung der Leugner und Skeptiker demonstrierten eher Linke. Gab es Schwierigkeiten mit den „Ausgeschwurbelt“-Anhängern? 

Nein. Ursprünglich war diese Versammlung von der Straßenbahnhaltestelle am Landtag bis zum Filmmuseum bestätigt worden, aber nicht vor dem Museum. Ich habe aber bereits im Vorfeld der Versammlungsbehörde grünes Licht gegeben, diese Versammlung bis zum Haupteingang des Museums vorzuziehen. Sie konnten damit auf einer breiten Fläche genau gegenüber der Gegner demonstrieren. Als sie sich vor Versammlungsbeginn darüber beschwerten, dass sie auf einer Seite eingegittert waren, haben wir die Gitter weggezogen. Das war auch die richtige Entscheidung, denn die Versammlung war absolut friedlich. 

Trifft es zu, dass es ein Beamter dieser Gruppe verboten hatte, Banner an Gitter zu hängen und Sie das dann genehmigten? 

Es gab dazu wohl tatsächlich einen verbalen Diskurs. Mein Gespräch mit dem Versammlungsleiter führte dann sehr schnell zum Ergebnis: Die Banner können an den Gittern hängen, wenn wir aber unsere Gitter wegziehen, müssen sie ihre Banner entfernen. Eigentlich logisch. 

Probleme hatte die Polizei mit Leuten, die radelnd gegen die Leugner demonstrierten. 

Ja, sie waren an diesem Tag die problematische Gruppe. Es waren normale Bürger dabei, die diese Form des Protests als kreativ empfanden, aber auch etliche aus der Szene der sogenannten Antifa. Sie sind auf der gesperrten Breiten Straße zwischen den beiden Demonstrationen mit Unmutsbekundungen gegen die Corona-Politik-Kritiker durchgefahren. Sie waren in Gruppen von teilweise bis zu 50 oder gar 80 Frauen und Männern unterwegs, und wenn wir sie hätten stoppen wollen, hätten wir die Gesundheit der Radfahrer und der Polizisten in Gefahr gebracht. Manche sind provokant, geradezu gewaltaffin gefahren. Ein Radfahrer stieß mit einer Beamtin zusammen und verletzte sie so, dass sie dienstunfähig war. 

Haben Sie nicht gewusst, dass die kommen würden? 

Doch. Wir wussten das aus der Internet-Aufklärung, als wir die entsprechenden Foren auch der Antifa beobachteten. Wir haben für die Radfahrer sogar einen eigenen Versammlungsraum bereitgehalten, eine mit Flatterbändern ausgewiesene Fläche neben dem Landtag. Sie hatten keine Versammlung angemeldet, aber wir haben ihnen mitgeteilt, dass wir auch Ad-hoc-Anmeldungen akzeptieren. 

Sind die Radler dem gefolgt? 

Leider nicht. Sie wollten weiter durch die Stadt fahren. Im übrigen war auch niemand bereit, eine Versammlung anzumelden. Als sie dann die Abreise der Corona-Politik-Kritiker blockieren wollten, sind wir eingeschritten. 

Es gab Presseberichte, nach denen drei den Antifaschisten Zugerechnete festgenommen wurden. Warum? 

Es gab diese berichteten Festnahmen nicht. Vor Ort wurden die Identitäten von drei Personen festgestellt, die zuvor versucht hatten, die notwendigen polizeilichen Maßnahmen zu behindern. Nach dem Festhalten zur Personalienfeststellung sind sie entlassen worden. 

Der Berliner Michael B. alias Captain Future narrte die Polizei. Er spazierte nach Ende der Demo mit seinen „Feierbiestern“ ohne Maske durch die Stadt, tat, als wolle er spontan eine Versammlung anmelden. 

Das ist schwer zu verhindern. Sie müssten ja jeder dieser Kleingruppen Polizeibeamte zur Seite stellen, um das Recht durchzusetzen. Das ist illusorisch. Wir hatten für diese Versammlungsteilnehmer extra Parkflächen neben den Versammlungsräumen bereitgestellt, um genau solche Züge durch die Innenstadt von vornherein zu vermeiden. Größere Menschengruppen haben wir in der Abreisephase auch mit Polizeikräften begleitet. Das war wichtig und richtig, denn wir haben einen nicht angemeldeten Demonstrationsversuch durch die Innenstadt sofort unterbunden, natürlich auch eine Strafanzeige aufgenommen.

Zur Person 

Karsten Schiewe ist seit 1. Oktober vergangenen Jahres Leiter der Polizeidirektion (PD) West mit Sitz in Brandenburg an der Havel. Der 54 Jahre alte Polizeidirektor ist Chef von rund 1500 Polizeibeamten in der Landeshauptstadt Potsdam sowie den Landkreisen Havelland, Potsdam-Mittelmark und Teltow-Fläming. Zu seinem Verantwortungsbereich gehören auch die Autobahnpolizei mit einem Streckennetz von 196 Kilometern und die Wasserschutzpolizei. Er begann seinen Dienst in der Polizei in Cottbus, studierte nach der Wende an der Berliner Humboldt-Universität Kriminalistik und absolvierte die Fachhochschule für öffentliche Verwaltung in Bernau. Vor seiner Ernennung zum Chef der PD West leitete er dort den Direktionsstab. Er ist Vater einer Tochter und lebt mit seiner Familie in Potsdam. Schiewe war Einsatzführer bei der Demonstration gegen die Corona-Politik am 20. März in Potsdam, zu der sich auch linke Gegendemonstranten versammelten. CH

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