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Nadine Bochert-Apfelbacher.

© Manfred Thomas

Interview | Nadine Bochert-Apfelbacher: "Immer mal wieder komische Blicke"

Die Sozialpädagogin aus Potsdam leitet das Projekt "Bildung unterm Regenbogen". Zum Start der "LesBi*Schwule T*our" spricht sie über die Akzeptanz queerer Lebensweisen und ihr eigenes Coming out. 

Von Carsten Holm

Frau Bochert-Apfelbacher, am Samstag hat die Landesgleichstellungsbeauftragte Manuela Dörnenburg in Potsdam die „LesBi*Schwule T*our 2020" gestartet. Was ist das Ziel?

Die Tour gibt es schon seit 1998, sie ist ein Gemeinschaftsprojekt des Landesverbandes AndersARTiG und des Jugendnetzwerks Lambda Berlin-Brandenburg. Unter dem Motto „Brandenburg bleibt bunt” ziehen wir durchs Land und werben für die Akzeptanz und Toleranz queerer Lebensweisen. Die Tour wird gefördert vom Ministerium für Soziales, Gesundheit, Integration und Verbraucherschutz.

Aber hat sich in diesem Bereich nicht schon viel getan? Früher hatte beispielsweise ein heranwachsender Schwuler Angst sich zu outen, heute können schwule und lesbische Menschen Minister werden.

Es ist schwierig, das pauschal zu bewerten. Es hat sich sicher etwas verändert. Aber es ist noch viel zu tun. Mit unserem Projekt „Bildung unterm Regenbogen” arbeiten wir in Schulen daran. Wir klären auf zum Thema sexuelle und geschlechtliche Vielfalt und regen dazu an, Stereotype, die es noch immer gibt, zu hinterfragen.

Sie meinen so etwas wie: Schwule werden gern Frisöre.

Ja, die Annahme, beispielsweise Schwule und lesbische Menschen am Äußeren erkennen zu können, ist noch immer weit verbreitet. Die haben eine bestimmte Körperhaltung, heißt es dann, lesbische Frauen lieben Fußball, bisexuelle Menschen können sich nicht entscheiden. Schwule sind immer so nett. Oder: Die sind alle so schön bunt und schrill.

Alle in der PNN-Redaktion sind immer sehr nett, und ich kann mich mitunter auch nicht entscheiden.

Sehen Sie! Die Wahrheit ist doch: Menschen sind vielfältig, beispielsweise in Herkunft, Bildung und vor allem mit ihren Erfahrungen. Manche sind bunt, andere nicht. Die sexuelle Orientierung ist nur ein Aspekt der Identität.

Sie gehen mit ihrem Projekt, das das brandenburgische Bildungsministerium und die AOK Nordost finanzieren, in die Schulen. Was machen Sie dort?

Wir arbeiten nach dem Peer-to-Peer-Ansatz. Junge, ehrenamtliche, gut ausgebildete lesbische, schwule, trans- oder queere Menschen suchen das Gespräch mit Schülerinnen und Schülern. Zudem bieten wir Fortbildungen für Lehrkräfte und Sozialpädagogen an. Wir kommen ins Gespräch zum Thema sexuelle und geschlechtliche Vielfalt und geben Handlungsanregungen zum Umfang mit Diskriminierungen.

Start der "LesBi*Schwule T*our" in der Brandenburger Straße.
Start der "LesBi*Schwule T*our" in der Brandenburger Straße.

© Manfred Thomas

Zum Beispiel?

Es kommt immer wieder vor, dass Schülerinnen und Schüler als Schwuchtel bezeichnet werden. Aufgrund solcher Diskriminierungserfahrungen kommt es nicht selten vor, dass die Schule geschwänzt und gar abgebrochen wird. Dagegen müssen wir etwas tun. Lehrerinnen und Lehrer bekommen Anregungen, wie sie das Thema in den Unterricht einbringen können. Was wir leisten können, ist, Schülerinnen und Schüler im Rahmen von Demokratiebildung die Akzeptanz von Vielfalt an Schulen erfahrbar werden zu lassen und sie für ein solidarisches Miteinander zu sensibilisieren. Damit stärken wir nicht nur diejenigen, die mit ihrem Coming out hadern, sondern gleichermaßen alle Kinder und Jugendlichen.

Welche Rolle spielen die Schulbücher?

Das Thema der sexuellen und geschlechtlichen Vielfalt ist Teil des Rahmenlehrplans geworden. Glücklicherweise wird nicht mehr ausschließlich das Bild von einer Familie mit Vater, Mutter und Kind vermittelt, es werden auch vielfältige Lebensentwürfe abgebildet.

Wie viele Schüler und Lehrer erreichen Sie?

2019 waren es 1300 Schülerinnen und Schüler und rund 340 Lehr- und Fachkräfte.

Sie haben vor zwei Jahren Ihre langjährige Freundin geheiratet. Wenn Ihnen die Frage nicht zu persönlich ist: Wann hatten Sie Ihr Coming out?

Man spricht ja vom inneren und vom äußeren Coming out. Das innere war früh, mit 14. Das habe ich gut zwei Jahre für mich behalten, dann wollte ich die Maskerade nicht mehr aufrechterhalten.

Sind in einer Kleinstadt aufgewachsen, in Schönebeck an der Elbe bei Magdeburg. Das hat das Coming out sicher nicht einfacher gemacht.

Meine Eltern haben meinen Weg unterstützt, besonders auch meine ältere Schwester, die mit Mann und Kind noch immer dort lebt und meine Trauzeugin war. Aber lesbisch und schwul war man in den neunziger Jahren in einer Kleinstadt nicht so öffentlich. Eines Morgens wachte ich dann auf und dachte: Entweder lebe ich so, wie es die Norm vorgibt, dann geht es mir aber nicht gut. Oder aber ich oute mich und lebe damit meine lesbische Identität öffentlich.

Sie haben die Stadt Ihrer Kindheit früh verlassen.

Ja, mit 17. Ich bin nach Berlin gezogen, habe mein Abitur, dann eine Ausbildung zur Kauffrau im Groß-und Einzelhandel gemacht und anschließend an der katholischen Hochschule soziale Arbeit studiert. Für mich war früh klar, dass ich meine Arbeitskraft für queere Jugendliche einsetzen will.

Erleben Sie und Ihre Frau Diskriminierung?

Das ist nicht pauschal zu beantworten. Es kommt immer mal wieder vor, dass wir als Frauenpaar komisch angeguckt werden, wenn wir beispielsweise in der Brandenburger Straße oder an anderen Orten, auch in Berlin, Hand in Hand gehen. Als meine Frau mich vor ein paar Wochen beim Zelturlaub im Norden Brandenburgs auf einem Campingplatz umarmte, hatte ich sofort auf dem Radar: Ist das hier in Ordnung? Sind wir hier sicher?

Dieser Gedanke ist immer dabei?

Immer.

Zur Person

Nadine Bochert-Apfelbacher ist Diplom-Sozialpädagogin. Die 42-jährige Potsdamerin koordiniert das brandenburgische Schulprojekt „Bildung unterm Regenbogen” im Betriebsteil Potsdam des Regenbogenkombinats. Der Begegnungsort in der Dortustraße 71 bietet eine Vielzahl von Angeboten zu lesbischen, schwulen, bisexuellen, trans- und intersexuellen sowie queeren Themen. Queere Menschen verstehen sich als außerhalb der Norm der Mehrheit.

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