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Potsdams Oberbürgermeister Mike Schubert (SPD) mit OP-Maske im Rathausflur.

© Ottmar Winter

Interview | Mike Schubert (SPD): "Bei 100 ziehen wir die Notbremse"

Potsdams Oberbürgermeister über die Gefahr der dritten Welle, schärfere Corona-Regeln, eine Test-App für die Stadt und Kritik an der Pandemiebekämpfung des Landes.

Herr Schubert, mehr als ein Jahr nach Beginn der Pandemie ist die Corona-Krise noch immer nicht vorbei. Die Infektionszahlen in Potsdam steigen wieder. Geht die Stadt bald zurück in den Lockdown?

Wir alle haben in dieser Pandemie schon einige Täler durchschritten. In Potsdam haben wir im zweiten Lockdown begonnen zu versuchen, die Öffnungsschritte, die uns von Bund und Land auferlegt werden, abzusichern. Diesen Weg wollen wir weitergehen. Ein weiterer Lockdown soll möglichst verhindert werden. Aber ganz klar ist auch: Wenn wir in Potsdam die Sieben-Tage-Inzidenz von 100 überschreiten, werden wir die von Bund und Ländern verabredete Notbremse ziehen.  Jetzt geht es darum, mit vielen Testungen Infektionsketten zu erkennen und zu unterbrechen.

Mit welchen zusätzlichen Maßnahmen wollen Sie die dritte Welle in Potsdam klein halten?

Wir entwickeln unser Konzept „Öffnen, aber sicher“ weiter. Dabei verschärfen wir unser bekanntes Ampelsystem. Nur für Kitas und Schulen werden wir ein wenig anders verfahren. Solange die Dynamik bei den Neuinfektionen nicht zu groß wird und die Krankenhäuser nicht überlastet sind, wollen wir zunächst nur von Infektionsfällen betroffene Kitas und Schulen schließen, nicht gleich alle. Das wird solange gelten, wie die Gesamtlage beherrschbar bleibt. Sicher werden wir zudem kurzfristig die Maskenpflicht im öffentlichen Raum wieder ausweiten.

Die Landräte von Elbe-Elster und Oberspreewald-Lausitz, die jeweils Inzidenzwerte weit über 150 aufweisen, wollen die Corona-Maßnahmen nicht weiter verschärfen. Haben Sie dafür Verständnis?

Es steht mir nicht zu, die Kollegen und ihre Situationen vor Ort zu bewerten. Ich treffe für Potsdam die Entscheidung - und die würde ich anders treffen. Wir haben im vergangenen Jahr gezeigt, als wir zu Weihnachten eine Inzidenz von über 300 hatten, dass sich mit konsequenten Maßnahmen auf lokaler Ebene die Corona-Lage eindämmen lässt.

Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD).
Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD).

© Sören Stache/dpa

Dass Sie unzufrieden mit der Corona-Politik der Landesregierung sind, ist kein Geheimnis. Woran fehlt es aus Ihrer Sicht?

Im Grund stehen wir Oberbürgermeister und Landräte mit der Landesregierung in ständigem Austausch. Ich bin einfach ein großer Fan von Regelungen, die so klar sind, dass wir sie schnell umsetzen können. Die angeführte Debatte über eine Notbremse bei einer Inzidenz von 100 oder 200 führt bei allen zu Verunsicherung. Das müssen wir vermeiden.

Wünschen Sie sich eine größere Mitsprache der Kommunen beim Impfen?

Nein. Die Koordination für das Impfen und die Gesamtlage in Brandenburg liegt bei der Landesregierung. Aber wir sind als Stadt bereit und in der Lage mitzuhelfen, dass mehr Menschen geimpft werden können. Dafür würde ich mich auch vom Land in die Verantwortung nehmen lassen. Ein erster Schritt war die Impfwarteliste. Über das, was wir hier als Verwaltung gemeinsam mit dem Klinikum und Samedi in kürzester Zeit hinbekommen haben, freue ich mich. Wir haben ein gutes System, das es uns in Potsdam ermöglicht, in den Krankenhäusern - zunächst dem Klinikum „Ernst von Bergmann“ – mit zu impfen. Andere Potsdamer Krankenhäuser würden sich dieser Impfstrategie anschließen. Wenn genügend Impfstoff da ist, werden wir unseren Beitrag zur Impfkampagne leisten. Und es wird Zeit, dass auch Potsdamer Hausärzte in den Modellversuch der Kassenärztlichen Vereinigung Brandenburg eingebunden werden.

Potsdam ist in der Pandemiebekämpfung weit vorn: Es gibt längst kostenlose Corona-Tests für alle Potsdamer, Spucktests für das Kitapersonal, Untersuchungen der Corona-Proben auf Mutationen. Das lässt keinen anderen Schluss zu, als dass das Land mit seiner Corona-Politik viel zu langsam ist.

Bei all unseren Schritten geht es darum, das Erreichte abzusichern und dafür zu sorgen, dass das Virus sich nicht schneller verbreitet. Wir haben in Potsdam nie bei Öffnungen allein oder schneller als andere reagiert. Im Gegenteil: Als Anfang des Jahres die Kitas landesweit wieder geöffnet wurden, haben wir aufgrund der Infektionslage in Potsdam entschieden, dass wir das noch nicht machen können. Als letztes Jahr vor Halloween nur der Lockdown light kam, wollten wir schneller schließen. Wir waren meistens etwas restriktiver oder auch vorsichtiger. Aus Sorge, das Virus könnte sich sonst so schnell ausbreiten wie andernorts. Und so ist es jetzt auch mit der Teststrategie.

Ein Potsdamer Kitaerzieher betreut Kinder in der Corona-Zeit.
Ein Potsdamer Kitaerzieher betreut Kinder in der Corona-Zeit.

© Ottmar Winter

Trotz aller Potsdamer Anstrengungen steigen auch hier die Corona-Zahlen. Wie soll es jetzt weitergehen?

Wenn wir die dritte Welle bekommen, werden wir sie allein über Testungen nicht verhindern können. Wir müssen ins Impfen kommen. Da kommt der Stopp der Impfungen mit Astrazeneca zur Unzeit. Wenn ich sehe, wo momentan geöffnet wird, ist klar, dass wir keine lokale Lage nur für Potsdam haben. Da geht es auch um Pendlerbeziehungen der Stadt.

Ist die Luca-App für Potsdam ein Thema?

Ja. Ich wünsche mir aber eine Lösung, die Kontaktverfolgung und Testergebnisse miteinander verbindet. Viele Menschen sind bereit, sich testen zu lassen, und fragen sich dann, was sie mit ihrem negativen Testergebnis machen sollen: Wie trage ich mein Testat mit mir herum? Es wäre gut, eine Lösung zu haben, die Testen, Kontaktverfolgung und zum Beispiel Eintrittskarte verbindet. Wir sind dazu auch in finalen Gesprächen.

Nun kommt Luca ja quasi vom Hasso-Plattner-Institut. Sind Sie im Gespräch?

Ja, wir reden mit dem Hasso-Plattner-Institut und haben auch mit den Anbietern von Luca über unsere weitergehenden Vorstellungen der Einbindung von Testergebnissen gesprochen. Mir ist diese Ergänzung um die Testfunktion sehr wichtig - im besten Falle könnten wir so Veranstaltungen, Einkauf und Restaurant für Menschen öffnen, die einen aktuell negativen Test haben, ohne dass die Potsdamer Wirtschaft in Zetteln und Listen erstickt.

Wollen Sie, dass Potsdam hier Modellkommune wird?

Mit der Potsdamer Wirtschaft haben wir dazu bereits gesprochen. Und wir sind in konkreten Gesprächen mit Anbietern. Ich habe bei der Kulturministerin angefragt, ob sie uns bei einem solchen Modell für die Kultur unterstützen würde und beim Gesundheitsministerium, ob wir dafür eine Möglichkeit in der Eindämmungsverordnung des Landes erhalten. Ohne, dass wir in Brandenburg mal eines der Systeme testen, wird es keine sicheren Öffnungen auf der Grundlage von Erfahrungen geben.

Das Gesundheitsamt der Stadt Potsdam auf dem Gelände des Klinikums "Ernst von Bergmann".
Das Gesundheitsamt der Stadt Potsdam auf dem Gelände des Klinikums "Ernst von Bergmann".

© Ottmar Winter

Die Gesundheitsämter gelten als eine Achillesferse bei der Pandemiebekämpfung. Doch trotz Personalaufstockung und Bundeswehrhilfe scheint die Potsdamer Behörde weiter überfordert - und zu wenig digitalisiert. Warum ist Potsdam nicht mittlerweile besser aufgestellt?

Zunächst einmal: Es gibt neben den Krankenhäusern keinen einzigen Bereich der Gesellschaft, in dem seit einem Jahr unter einer so großen Belastung gearbeitet wird wie in den Gesundheitsämtern. Die Kolleginnen und Kollegen dort verdienen zuerst ein großes Dankeschön.

Das bestreitet auch niemand.

Wir haben im letzten Jahr im Gesundheitsamt digital nachgerüstet, haben beispielweise eine eigene Software zur Nachverfolgung eingeführt, als an bundesweite Lösungen noch nicht zu denken war. Aber wir hatten im gesamten öffentlichen Gesundheitssystem in Deutschland über Jahre keine Verknüpfung zwischen den Systemen auf Bundesebene und den Kommunen. Das nun in einer Pandemie nachzuholen ist parallel kaum möglich, aber wir arbeiten dennoch mit Hochdruck daran. Systeme wie die Kontaktpersonen-Software Sormas sind inzwischen eingeführt.

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Potsdam hatte statt Sormas zunächst ein eigenes System benutzt und erst im Februar umgeschwenkt, als es nicht mehr anders ging.

Das war auch richtig so. Denn zunächst gab es kein vorgegebenes technisches System. Deswegen haben wir mit unseren IT-Architekten ein eigenes System geschaffen und alle Daten eingepflegt. Ein halbes Jahr später mussten wir das System erneut umstellen, alle schulen, alles neu aufsetzen - mitten in der Pandemie. Natürlich musste man sich im Dezember, als Potsdam Inzidenzen von über 200 hatte, fragen, ob das jetzt sein muss.

Aber auch da gilt doch die Frage, die öfter gestellt wird: Was ist eigentlich im Sommer passiert?

Damals wurde das eigene System gerade eingeführt. Aber natürlich kann man die Frage nach den Sommermonaten stellen. Wir sind Ende Juni raus aus der Pandemie und waren Mitte Oktober bei einem Inzidenzwert von 100. Doch in der Zeit dazwischen haben die Kolleginnen und Kollegen, die davor in einer Sieben-Tage-Woche arbeiten mussten, angefangen, andere wichtige Aufgaben anzugehen und umzusetzen. Da hat niemand auf der faulen Haut gelegen. Dazu kommt: Solche IT-Systeme lassen sich nicht in zwei, drei Monaten aufsetzen.

Haben Sie im Gesundheitsamt aktuell wieder Unterstützung durch die Bundeswehr?

Die hatten wir die ganze Zeit. Und wir haben zudem Stellen ausgeschrieben und besetzt. Wir sind aktuell zudem dabei, uns auf die wieder steigenden Infektionszahlen auszurichten. Wir beraten, wann wir wieder Mitarbeiter aus anderen Verwaltungsbereichen ins Gesundheitsamt zur Kontaktnachverfolgung schicken können und müssen. Die zweite Welle hatte uns gezeigt, dass offene Schulen zu größeren Zahlen an Kontaktpersonen führen, die man nachverfolgen muss – etwa wenn eine ganze Klasse in die Quarantäne geht. Dann müssen wieder mehr Menschen angerufen werden. Am Ende, bei aller technischen Unterstützung durch Apps oder Software zur Kontaktnachverfolgung, muss ein Mensch einen anderen anrufen und ihn fragen, wie es ihm geht, mit ihm Absprachen treffen und zuhören. Das wird kein technisches System ersetzen können.

Potsdamer Schülerinnen verlassen das Schulgelände, um nach Hause zu gehen.
Potsdamer Schülerinnen verlassen das Schulgelände, um nach Hause zu gehen.

© Ottmar Winter

Was halten Sie von der Forderung Ihres Parteifreunds Karl Lauterbach, jetzt alle Schulen sofort wieder zu zumachen, solange es keine ordentliche Teststrategie gibt?

Karl Lauterbach ist Professor für Gesundheitsökonomie und Klinische Epidemiologie. Es weiß, wovon er redet. Ich wäre allerdings dafür, lieber den zweiten Teil seiner Aussage, also das Testen zügig nach zu schärfen und auch hier mit digitaler Nachverfolgung zu verbinden. Die Verantwortung liegt beim Bildungsministerium. Wir werden unterstützen wo wir können und weiter unsere Spucktests in den Schulen hinterlegen.

Beim Rückblick auf ein Jahr Corona in Potsdam fällt auf, dass auch hier das Virus lange unterschätzt wurde. Wann haben Sie angefangen, Corona ernst zu nehmen?

In meiner ersten Stabssitzung. Ich sehe es nicht so, dass das Virus unterschätzt wurde.

Wann war diese Sitzung?

Anfang März 2020. Und schon vorher war der Stab eingerichtet, er arbeitete seit Februar. Corona wurde so wenig unterschätzt wie anderswo auch. Es ist eine Situation, in der noch niemand in Deutschland war. Wir haben Erfahrungen sammeln müssen - in einer Lage, die keiner so bisher erlebt hat.

Während damals viele Wissenschaftler sagten, es sei nur eine Frage der Zeit, bis das Virus hier nach Deutschland komme, hat ihre Gesundheitsamtschefin mehrfach gesagt, es sei nichts zu befürchten - und auch, dass man nicht mit einer zweiten Welle rechnen müsse.

Auch viele Virologen haben ihre Bewertungen im Zuge der Pandemie immer wieder anpassen müssen. Es wäre vermessen zu sagen, dass eine Gesundheitsamtschefin, die einen großartigen Job macht und ohne deren Einsatz und fachliche Beratung die Pandemie-Situation in Potsdam viel schwieriger wäre, allein diese Viruslage einschätzen kann. Das zeigt doch allein der Kanon der verschiedenen wissenschaftlichen Meinungen – von Streeck bis Brinkmann. Selbst RKI-Präsident Lothar H. Wieler hielt im Sommer eine zweite Welle für vermeidbar. Wir versuchen, unseren Weg konsequent zu gehen. Dabei passieren auch Fehler, ganz klar, damit muss man umgehen, diese revidieren und weitermachen. In dieser Lage ist keiner perfekt.

Potsdams Gesundheitsamtschefin Amtsärztin Kristina Böhm.
Potsdams Gesundheitsamtschefin Amtsärztin Kristina Böhm.

© Sebastian Gabsch

Ihnen wurde mehrfach vorgeworfen, es in der ersten Welle mit den Maßnahmen übertrieben zu haben - zum Beispiel mit der Sperrung von Spielplätzen, Parks und Grünflächen. Waren das Fehleinschätzungen?

Die Diskussion über Maßnahmen hat man immer wieder. Auch bei der Schließung der Kitas im Dezember hatten wir solche und andere Meinungen. Wir entscheiden auf der Grundlage der Informationen, die uns vorliegen. Ich glaube, dass es uns im Frühjahr 2020 gelungen ist, mit den damaligen durchaus scharfen Maßnahmen das Infektionsgeschehen in Potsdam jenseits des Ausbruchs im Bergmann-Klinikums einzudämmen.

Was ist das Wichtigste, das Sie in der Corona-Zeit politisch gelernt haben?

Das werde ich nach der Corona-Zeit bewerten können.

Wann wird das normale Leben in Potsdam zurückkehren?

Wenn wir mit dem Impfen schneller werden.

Wann wird das sein?

Da ich für die Impfstoffbestellung nicht zuständig bin, kann ich das nicht beantworten. Es ist so: Alles, was wir mit Eindämmungsmaßnahmen und Testungen machen, soll nur sicherstellen, dass sich möglichst wenig Leute infizieren, bis wir möglichst viele Menschen geimpft haben.

Corona hat in allen Lebensbereichen wunde Punkte offengelegt. Was muss sich in Potsdam nach Corona verändern?

Einen zentralen Punkt diskutieren wir schon: Die Neuausrichtung des Klinikums "Ernst von Bergmann" nach dem Ausbruch im letzten Jahr. Und wir werden auch bei der Katastrophenvorsorge nachsteuern müssen. Das hat bundesweit in den vergangenen 30 Jahren nur eine untergeordnete Rolle gespielt. Auch in Potsdam sind beispielsweise Notlager aufgelöst worden. Um diese Systeme werden wir uns deutlich mehr kümmern müssen. Und beim Thema Digitalisierung müssen wir das Tempo auch nach der Pandemie hochhalten.

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