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2016 wurde das Begegnungscafé in der Babelsberger Karl-Liebknecht-Straße 28 vom Ehepaar Martina und Günther Kruse ins Leben gerufen. 

© Ottmar Winter

Interview | Martina und Günther Kruse: „Auf Facebook weht ein anderer Wind“

Die Mitbegründer des Begegnungscafés Babelsberg, Martina und Günther Kruse, sprechen im Interview über dessen vierten Geburtstag, die Lage der Geflüchteten in Potsdam und Reaktionen im Netz.

Potsdam - Am Sonntag feiert das Begegnungscafé der Evangelischen Kirchen Babelsberg seinen vierten Geburtstag. Hätten Sie jemals gedacht, dass Sie das Begegnungscafé so lange machen würden?
 

Günther Kruse: Das haben wir anfangs nicht gedacht, auch viele andere meinten: Das läuft eine Weile und dann ist es zu Ende. Aber es gibt nach wie vor eine große Nachfrage bei vielen Geflüchteten, sich zurechtzufinden, Menschen kennenzulernen, Gemeinschaft mit Deutschen zu finden, oder sich untereinander auszutauschen, wie der andere das mit dem Handyvertrag oder der Nebenkostenabrechnung so macht.

Wie geht es den Geflüchteten in Potsdam derzeit? Was erzählen Ihre Gäste?

Martina Kruse: Sie sind alle unheimlich dankbar, dass sie nach Potsdam gekommen sind. Einige waren schon an anderen Orten, wo sie sich sehr verloren gefühlt haben. Sie betonen immer wieder, wie schön Potsdam ist und finden auch die Potsdamer sehr angenehm. Sie mögen die Kultur, das Angebot an Verkehrsmitteln und natürlich die Nähe zu Berlin. Und sie schätzen ihre eigenen Wohnmöglichkeiten: Wir haben derzeit niemanden mehr, der in einer Flüchtlingsunterkunft wohnt. Andererseits merken einige jetzt auch, dass sie in den Heimen oft mehr Kontakt zu ihrer Community hatten. Jetzt wünschen sie sich mehr Austausch mit Deutschen, doch wir bekommen oft mit, dass es nicht immer einfach ist, Kontakt zu den Nachbarn oder anderen Alt-Potsdamern aufzunehmen.

Finden Geflüchtete schnell Arbeit?

Martina Kruse: Da gibt es schon Probleme, es gibt viel mehr Menschen, die einen Job wollen, als die, die ihn bekommen. Und es gibt häufig ein Missverhältnis zwischen dem, was sich Geflüchtete wünschen, und dem, was die Arbeitgeber erwarten. Fast alle fordern als Sprachniveau B2, viele fallen aber schon bei der B1-Prüfung durch und müssen die nächste Prüfung dann selbst bezahlen. Damit kämpfen viele.

Günther Kruse: Die verpflichtenden Sprachkurse, die vom Staat angeboten werden, haben zeitlich ein sehr knappes Korsett. Das Tempo und die Anforderungen sind für viele zu hoch.

Kommen die Neu-Potsdamer mit der deutschen Bürokratie klar?

Martina Kruse: Behördenschreiben sind immer noch ein großes Problem, auch wir haben oft Schwierigkeiten, sie zu verstehen. Zum Glück gibt es bei unseren Helfern immer wieder Menschen, die mit den Geflüchteten zusammen zum Amt gehen und dann fragen, was das jeweilige Schreiben bedeutet.

Wie geht es den jungen Geflüchteten?

Martina Kruse: Jüngere Kinder integrieren sich sehr gut, für manche Jugendliche ist es schwieriger. Sobald die Kinder aus den Willkommensklassen raus sind und in normale Klassen kommen, funktioniert es meist besser.

Günther Kruse: Ein Problem ist, dass die Kinder meist schneller und besser Deutsch lernen als die Eltern. Dadurch kommen sie plötzlich in eine ganz andere Rolle, das ist für viele Familien nicht immer ganz einfach.

Berichten Ihre Gäste von rassistischen oder rechten Übergriffen?

Günther Kruse: Eher selten. Manchmal erzählen sie, dass sie in der Bahn komisch angemacht oder angeguckt werden, weil sie Ausländer sind, oder wenn sie eine neue Wohnung bezogen haben. Manche Nachbarn lassen deutlich raushängen, dass sie hier nicht willkommen sind. Im Begegnungscafé selbst gab es in all den Jahren aber nie irgendwelche rassistischen Übergriffe oder Beleidigungen.

Martina Kruse: Wir hören auch Sachen aus der Schule, wo zum Beispiel ein Mädchen weinend nach Hause gekommen ist, weil andere Schüler zu ihr gesagt haben: „Was hast du für gute Sachen an? Woher habt ihr das Geld? Ihr seid doch Ausländer!“ Da gibt es immer wieder Neid, doch viele Geflüchtete haben ihre Sachen zum Beispiel von der Schatztruhe der Awo oder aus der Kleiderkammer unseres Begegnungscafés.

Gibt es auch tätliche Übergriffe?

Günther Kruse: Davon wird wenig berichtet, wir hatten in den letzten Jahren einmal eine Frau, die angespuckt wurde, oder einen Mann, der am Bahnhof grundlos ins Gesicht geschlagen wurde. Aber sowas wird manchmal auch gar nicht erzählt, denn niemand ist gerne Opfer.

Erleben auch Sie als Helfer Anfeindungen?

Günther Kruse: Nein. Wir erfahren sehr viel Unterstützung und Wertschätzung von Potsdamern. Viele klopfen uns auf die Schulter: „Was, jeden Sonntag macht ihr das Begegnungscafé, das ist einfach toll!“ Anders in bestimmten Foren im Internet, auf Facebook weht oft ein ganz anderer Wind. Da werden in der Anonymität schnell mal ausländerfeindliche Töne angestimmt, manchmal an der Grenze zum Rassismus. Der Kirchenkreis hat viel Geld für Flüchtlingsprojekte in die Hand genommen und wir haben um Unterstützung für das Seenotrettungsschiff „Poseidon“ geworben, das von einem kirchlichen Bündnis ersteigert wurde. Wir begrüßen auch die Initiative des Oberbürgermeisters, Potsdam zum „sicheren Hafen“ zu erklären . Auf Facebook gab es dazu auch geschmacklose Kommentare wie „ihr unterstützt Schlepper“ oder „die sollen nach Hause in ihre Heimat zurück“.

Was wünschen sich ihre Gäste für die Zukunft?

Günther Kruse: Sie wünschen sich vor allem viel mehr Kontakt zu Deutschen! Das wünschen wir uns auch von der Zivilgesellschaft: Es wäre toll, wenn sich die Potsdamer nach dem großen Hype der Willkommenskultur stärker einbringen und auf Geflüchtete zugehen würden.

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Das Begegnungscafé Babelsberg

2016 wurde das Begegnungscafé in der Karl-Liebknecht-Straße 28 vom Ehepaar Martina und Günther Kruse ins Leben gerufen. Jeden Sonntag steht es Geflüchteten und Altpotsdamern offen, um sich auszutauschen. Neben Vorträgen, Gesprächen und Workshops zu Themen wie „Die Rolle der Frau“, „Identität“ oder „Heimat“, wird auch gemeinsam gesungen, gefeiert oder gespielt. Das Café organisiert gemeinsame Ausflüge und bietet Raum für Patenschaften, Sprachkurse, Begleitung bei Arztgängen, Beratung bei Behördenschreiben oder Unterstützung bei Arbeits- und Wohnungssuche. 2016 wurde es mit dem Ehrenamtspreis der Stadt Potsdam ausgezeichnet. Rund 20 Helfer arbeiten ehrenamtlich im Café mit. Mehr als 13.000 Gäste haben das Café in den letzten vier Jahren besucht, die Initiative zählt seitdem mehr als 3500 ehrenamtliche Helferstunden.

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