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Demut und Ausdauer. Herbert Ullmann behauptet sich seit zwei Jahrzehnten im hart umkämpften Verlagsgeschäft.

© Manfred Thomas

Interview: „Man kann nicht nur 200-Euro-Bücher machen“

Der Potsdamer Verleger Herbert Ullmann über 20 Jahre im Verlagsgewerbe, den Nachteil von E-Books, Ausdauer und schlechten Geschmack

Herr Ullmann, vor 20 Jahren haben Sie mit Tandem ihren ersten eigenen Verlag gegründet. Was gab den Ausschlag, selbst in dieses Geschäft einzusteigen?

Ich habe in den Jahren zuvor immer schon in leitenden Positionen in Verlagen gearbeitet. Aber es kam der Punkt, da wollte ich es selbst versuchen. Selbstständig habe ich mich ja erst in meinem vierzigsten Lebensjahr gemacht. Wenn man so will, relativ spät. Aber ich habe es nicht bereut.

Was war Ihre Geschäftsidee?

In einem Dachgeschoss in St. Augustin hatten ich und ein früherer Mitarbeiter das Ziel, qualitätsvolle und zugleich bezahlbare Bücher und auch Konsumersoftware zu entwickeln. Wir waren immer auf der Suche, Inhalte zu finden oder zu generieren, die es in der Form nicht gab. Dabei mussten wir in hohen Auflagen produzieren, um die Vorkosten so umzulegen, dass der Endkundenpreis nicht abschreckt. Das waren dann 1995 Computerbücher für Kinder.

Das erste große Produkt, das Sie auf den Markt gebracht haben?

Ja, aber das war eine Geschichte mit Hindernissen. Der kanadische Verlag Thompson Publishing, ein Milliardenkonzern, hatte damals Computerbücher in Farbe herausgebracht. Mit diesem Verlag verhandelten wir, und der wollte uns die Lizenz für einen großen Filialdiscounter in Deutschland zur Verfügung stellen. Wir haben das per Handschlag gemacht, wir waren also auch noch ein bisschen naiv. Dann hat dieser Konzern auf einmal einen Rückzieher gemacht. Aber mit unserem Hauptkunden hatten wir schon eine Abmachung. Deshalb mussten wir die Bücher selbst entwickeln. „Mit Windows tolle Sachen machen“, „PC-Einstieg leicht und schnell“ und „Windows schnell verstehen“ waren die Titel. Die Bücher hatten 216 Seiten, waren farbig, plus eine CD-ROM. Das war der erste große Erfolg mit einer hohen Auflage, den wir hatten.

Warum ausgerechnet Kinderbücher am Anfang?

Ich komme ja im Grunde aus der Redaktion, aus der Entwicklung heraus und habe einige Jahre lang einen Kinderbuchverlag geleitet. Ich habe aber auch immer neugierig auf die Amerikaner geschaut, die sehr früh mit Software anfingen und dabei immer an den Verbraucher gedacht haben. Und Computerthemen haben mich schon immer interessiert. Wir haben auch ein wenig Glück gehabt, dass wir Mitte der 90er-Jahre in diesen Hype hineinkamen, wo es bei großen Discountern durchaus sehr attraktive Computer- und PC-Angebote gab. Wir durften dann sozusagen das Benzin liefern und sind 1995 mit den Computerbüchern für Kinder ans Werk gegangen. Dann haben wir sehr schnell zum Teil Software selber entwickelt – Konsumersoftware, Anwendersoftware, Grafiksoftware –, aber auch weltweit Lizenzausgaben gekauft.

Auf dem Markt mit Computerliteratur waren Sie mit Tandem sehr erfolgreich. Was haben Sie anders gemacht?

Wir haben uns den nationalen, vor allem aber den internationalen Markt sehr genau angeschaut und schnell erkannt, dass die großen Softwareverlage zwei entscheidende Fehler gemacht haben. Erstens waren die Aufmachungen immer sehr schlecht, die Cover regelrechte Kundenabwehrraketen, optisch grauenhaft und die Anleitungen zu kompliziert geschrieben. Und zweitens waren die Preise einfach viel zu hoch. Wir haben uns gefragt, wie teuer ein Konsumersoftwareprodukt sein muss, dass es sich auch in wirklich hohen Stückzahlen verkaufen lässt. Wir haben dann gesagt, wenn beispielsweise ein Grafikprogramm nicht mehr 500, sondern nur 30 D-Mark kostet, kann man auch eine sehr hohe Auflage verkaufen. Das haben die Discounter auch goutiert und sind dann diesen Weg mit uns gegangen. Mit den Jahren haben wir das Programm von Tandem immer mehr erweitert.

Wie würden Sie heuten den Tandem-Verlag beschreiben?

Bei Tandem sind wir ein Verlag mit einem Familien- und umfangreichen Lernhilfeprogramm, daneben Software und auch Kinder- und Kochbücher. Tandem ist dabei, wenn man so will, kein klassischer Verlag im Sinne der Publikumsverlage, sondern eine Mischung aus Kreativagentur, Produktionsunternehmen und Dienstleistungsfirma. Denn Tandem produziert, konzipiert und recherchiert im Markt immer Medienprodukte. So gibt es bei uns auch Hörbücher, Sprachkurse und Kalender. Wir orientieren uns am Verbraucherverhalten und produzieren für den Kunden eine bestimmte Menge, die bei den Kunden im Filialbereich nur für einen bestimmten Zeitraum angeboten wird.

Vor zehn Jahren kam der Ullman Verlag dazu. Warum diese Erweiterung?

2003 haben wir aus einer Insolvenz heraus eine große Firma übernommen, die international reine Buchproduktionen gemacht hatte. Das war die größte Insolvenz im deutschsprachigen Buchbereich nach dem Zweiten Weltkrieg. Dort haben wir Markenrechte, Verlagsrechte und Buchbestände erworben. Das Buchprogramm umfasste bei der Übernahme über 1000 verschiedene Titel in 20 Sprachen zum Verkauf in über 50 Ländern. Und aus verschiedenen Standorten wurden dann Buchbestände mit über 20 000 Paletten gekauft. Auf einer Palette waren 400 Stück, das waren dann insgesamt acht Millionen Bücher. Weltweit mussten wir erst einmal den Abverkauf organisieren und das Unternehmen wieder auf Kurs bringen. Und ab 2007 haben wir dann das Programm weiterentwickelt und unter h.f.ullmann konzentriert und gestrafft. So entstand der Ullmann Verlag, der zunächst im Imprint geführt wurde und 2012 eine eigenständige Verlags GmbH geworden ist.

Der Ullmann Verlag hat in den vergangenen Jahren vor allem im Bereich Architektur und Kulturgeschichte mit sehr großen Büchern auf sich aufmerksam gemacht. Ist das ein Bereich, mit dem man auf dem traditionellen Buchmarkt noch bestehen kann?

Bei Ullmann versuchen wir inhaltlich ein Alleinstellungsmerkmal zu schaffen, was immer schwieriger wird, weil natürlich im Buchbereich bisweilen der schlechte Geschmack triumphiert, Denkmäler gestürzt oder ausgetauscht werden. Und es ist mitunter sehr schwierig, den traditionellen Buchkäufer zu binden. Mit exzeptionellen Werken wie „Gotik“, „Barock“, „Ars Sacra“ oder unserem „Potsdam“-Buch ist das gelungen.

Wird der Ullmann Verlag irgendwann auch E-Books veröffentlichen?

Ich betrachte das jetzt mal vom Markt und der kaufmännischen Seite und unterscheide zwischen den Schwarz-Weiß-Verlegern, also die Belletristik veröffentlichen, und den Farbverlegern. Die Welt der Farbverleger hat es seit vielen Jahren schwer, weil wir natürlich immer Bildrechte haben und das die Erstellung eines aufwendigen Bild-Sachbandes nicht gerade erleichtert. Bei der Umsetzung der Farbe für das E-Book ist das noch viel komplizierter. Das hat etwas mit Rechten und Bildern zu tun und vieles wird auch, selbst wenn es nur ganz kleine Ratgeber sind, durch das Internet gut bedient. Deshalb eignet sich im Bereich von Farbe nicht alles für das E-Book. Bei ganz großen Büchern ist der Lesegenuss auch ein ganz entscheidender Faktor. Ein Buch wie „Ars Sacra“ will sich doch keiner als E-Book anschauen. Da müssen im Buch selbst Ausklapptafeln von 1,50 Meter Länge sein.

Sie haben mittlerweile insgesamt vier Verlage. Ist dieses Modell ein gutes Geschäftsmodell?

Es sind ja immer Farb-Sachbücher, die wir in diesen eigenständigen und unabhängigen Verlagen produzieren. Vom Belletristikbereich verstehe ich wenig. Und wir schauen ganz genau hin. So kombinieren wir jetzt bei Vista Point auch Reiseführer mit Apps. Wir haben in den letzten vier Monaten 64 Apps entwickelt, das ist, mit Verlaub, eine sehr hohe Zahl für ein deutsches Unternehmen. Im Verlagsbereich kommt es auf Programm und Vertrieb und immer mehr auch auf Synergien an. Es muss demnächst noch mehr Kooperationen geben, weil ich davon ausgehe, dass die Buchhandlungen und die Umsätze sich in drei bis fünf Jahren noch einmal deutlich reduzieren. Wenn nicht sogar halbieren.

Aber trotzdem halten Sie an qualitativ hochwertigen Büchern fest?

Wir versuchen das. Manchmal brauchen wir natürlich auch ein Grundrauschen mit preiswerteren Büchern. Wir haben ja auch ein kleines Kochbuchprogramm, sehr erfolgreich. Das sind keine schlechten, das sind einfache Bücher und die sind auch inhaltlich gut. Denn man kann nicht nur 200-Euro-Bücher machen.

Wie sehen Sie rückblickend Ihre 20 Verlegerjahre?

Es gehörte auch Glück dazu. Natürlich hat man Vorstellungen. Klar, spektakuläre, großformatige Bücher im kulturgeschichtlichen Bereich finde ich schon interessant. Aber man muss natürlich auch die Märkte betrachten. Ich glaube, dass der Touristikbereich weiterhin ein noch sehr stabiler Wachstumsmarkt ist. Die Deutschen reisen gerne und wir haben jetzt auch gleich die App bei den Reiseführern dazu entwickelt. Aber man muss zum Teil die realistischen Vertriebsmöglichkeiten einschätzen. Wenn man die Bücher nicht auch international und jedes in einer anderen Sprache vermarkten kann, wird es schwierig, nur für den deutschen Markt die Auflagen zu kalkulieren. In diesem Geschäft muss man viel Demut und Ausdauer haben und mit einer gewissen Bescheidenheit die Dinge angehen.

Das Gespräch führte Dirk Becker

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