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Social Sports. Kai Diekmann im Potsdamer Jungfernsee. 

© Andreas Klaer

Interview | Kai Diekmann: „Digitaler Applaus ist mein Doping“

Der Ex-„Bild“-Chef postet und twittert fast täglich über sein kaltes Badevergnügen und seine Joggingstrecken. Ein Gespräch mit dem56-jährigen Potsdamer übers Laufen, das eisige Wasser des Jungfernsees und digitale Selbstinszenierung.

Herr Diekmann, seit wann laufen Sie, warum haben Sie damit angefangen?
Richtig begonnen Spaß zu machen hat es erst nach der Schule. Rund um den Sportplatz zu laufen, diese 400-Meter-Bahn, fand ich grauenhaft. Genauso empfand ich es bei der Bundeswehr, da kannte ich morgens bald die Abkürzungen, um schnell wieder in der Kaserne zu sein. Als ich dann journalistisch Korrespondent in Bonn war, habe ich angefangen, mit einem Kollegen zu laufen. Und da habe ich gemerkt, dass es den Kopf frei macht. Zu meiner Zeit bei der „Bunten“ in München bin ich dann extrem viel gelaufen, sogar mit Gewichten an Armen und Beinen, um irgendeinen Effekt zu erzielen, weil ich wenig Zeit hatte. Es gab ein, zwei Phasen, als die Kinder geboren wurden, da war ich nicht so aktiv. Aber seit meiner Zeit in Hamburg, also vor 20 Jahren, ziehe ich es bis heute komplett durch, nach Möglichkeit jeden zweiten oder spätestens dritten Tag zehn Kilometer zu laufen.

Genügen Ihnen die zehn Kilometer?
Ja, weil mir mein Lieblings-Physiotherapeut Tobias „Billy“ Billert nicht mehr erlaubt und weil ich die zehn Kilometer unterschiedlich laufe. Mit meiner Frau laufe ich eher entspannt.  Wenn ich allein bin, kommt es vor, dass ich gegen mich selbst laufe. Auch wenn ich mir vornehme, nicht zu rasen, dann auf die Uhr sehe und denke: Geil, der erste Kilometer in 5:30 Minuten ist schon mal eine gute Sache, das wird heute die Bestzeit des Monats oder des Jahres. Dann beginne ich, gegen mich selbst zu laufen.

Egal, um welche Uhrzeit man durch Potsdam fährt, man sieht eigentlich immer jemanden der läuft. Wann laufen Sie?
Ich bin ein Morgenläufer. Es muss schon hell sein, also jetzt so 7.30 Uhr. Ziel sind immer zehn Kilometer.

Immer die gleiche Strecke?
Es ist fast immer eine andere. Es gibt natürlich Standardstrecken. Eine geht Richtung Wannsee, immer am Wasser entlang an der Pfaueninsel vorbei und zurück. Die ist wunderschön. Auch im Neuen Garten habe ich eine feste Strecke mit bestimmten Ritualien. Ich biege aber auch mal ab bis in die Russische Kolonie oder erkunde dort in der Gegend die ganzen Wohnstraßen. Auch in Babelsberg und durch den Babelsberger Park laufe ich gern. An einem schönen Morgen zu laufen mit Licht und Laub, oder im Sommer, wenn früh die Luft ganz weich ist, das lädt ungeheuer auf. Diese Sinnlichkeit schafft einen sehr gelungenen Start in den Tag.

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Gewohnte Strecken zu laufen hat etwas Vertrautes und Sicheres, weshalb viele Läufer immer wieder auf der gleichen Strecke unterwegs sind. Ihnen fällt es nicht schwer abzuweichen.
Überhaupt nicht. Weil der Sex der neuen Strecke ist, dass ich nicht weiß, wie weit sie ist.

Es dürfen ja nur 10 Kilometer sein!
Ja! Aber es ist psychologisch anders. Wenn ich eine neue Strecke laufe, kommt sie mir viel kürzer vor. Wenn ich nach Wannsee immer nur in eine Richtung laufe, fühlt es sich schon relativ weit an – fünf Kilometer hin und fünf Kilometer zurück. Aber laufe ich in Babelsberg durch Straßen, die ich nicht kenne, ist das wahnsinnig kurzweilig, weil ich durch das Neue abgelenkt werde.

Sie sind beruflich viel unterwegs. Laufen Sie überall und immer draußen?
Wenn es geht, immer raus. Laufband frustriert mich. Egal wo ich bin, gehe ich laufen. Das ist eine schöne Art und Weise, andere Orte kennenzulernen. Du reist mit Zeit, mit Gefühl, mit Nähe. In England bin ich sehr häufig und da habe ich immer die Laufsachen dabei. Da bin ich schon alles abgelaufen. Wenn ich in Israel bin, habe ich eine ganz tolle Laufstrecke. Es gibt dort eine alte Eisenbahnstrecke von Jerusalem nach Tel Aviv, die nicht mehr in Betrieb ist. Aus den alten Gleisen haben sie einen Fußweg gemacht. Das ist eine tolle Strecke, aber tückisch, weil es von Jerusalem erstmal den Berg runter geht, den man dann wieder hoch muss.

Ihr Glück, dass Sie nur zehn Kilometer laufen dürfen.
Ich weiß, das ist mein Glück.

Kai Diekmann badet im kalten Jungfernsee in Potsdam.
Kai Diekmann badet im kalten Jungfernsee in Potsdam.

© Andreas Klaer

Wie wirkt es sich bei Ihnen aufs Laufen aus, wenn das Gemüt schwer ist?
Laufen tut immer gut. Auch in Phasen, in denen mich Dinge beschäftigen oder bedrücken, laufe ich, konsequent. Richtig schlechte Laune kriege ich, wenn ich mehrere Tage hintereinander nicht laufen kann.

Ist Laufen also zwanghaft?
Ein Stück weit ja. Ich fühle mich nicht gut, wenn ich nicht laufen kann. Zwangspausen nach Verletzungen haben mich umgebracht. Auch das Essen und Trinken macht viel mehr Spaß, weil ich weiß, dass ich wieder laufen gehe. Weil ich das Gefühl habe, eine Balance zu schaffen.

Haben Sie für sich selbst schon herausgefunden, woran das liegt, dass es Tage gibt, an denen es besonders gut läuft?
Nein, habe ich noch nicht, aber ich finde das interessant. Natürlich weiß ich, dass es nach zwei Flaschen Rotwein am Abend zuvor nicht so gut läuft. Aber gerade dann laufe ich, um den Kopf freizukriegen. Das Laufen ist ein richtiger Reset-Button, wie eine Zäsur, nach der du ein ganz anderes Körpergefühl hast. Ich merke relativ schnell, ob es ein guter Lauf wird oder nicht. Wenn es morgens ein strahlend blauer, klarer Himmel ist mit aufgehender Sonne hinter der Glienicker Brücke – wow, dann hast du richtig Dampf. Neulich war ich in London und es hat nur so geschüttet. Aber wenn du es von vornherein weißt, dann triffst du die Entscheidung: Du wirst klitschnass. Und dann hat’s Spaß gemacht.

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Laufen ist ja etwas Monotones. Schritt für Schritt, Atemzug für Atemzug. Es ist dieser Rhythmus, der irgendwann nicht mehr anstrengt, der einen ins Denken bringt.
Ich finde es gar nicht monoton. Monoton finde ich es, wenn ich auf dem Band laufe.

Ich meine monoton gar nicht negativ. Diese einfache Schritt-für-Schritt-Folge hat ja etwas sehr Beruhigendes.
Ich hingegen mache dabei wie ein Verrückter Fotos.

Stört das Anhalten beim Laufen nicht?
Ich halte nicht zwingend an. Ich halte den Auslöser gedrückt und mache ganz viele Bilder und suche mir danach das beste raus. Die meisten Fotos auf meinem Facebook-Kanal sind beim Laufen entstanden.

Wie hat sich Ihr Laufen durch digitale Apps geändert?
Dass ich es noch mehr kontrolliere. Als ich in München bei der „Bunten“ war, hatten wir eine reale Laufgruppe. Wir sind gemeinsam gelaufen und hatten gemeinsame Gewohnheiten und Vorlieben entwickelt. Das Laufen führt ja auch zu einem gewissen Lifestyle. Es nimmt mir an bestimmten Stellen das schlechte Gewissen für meine Laster. Ich rauche nicht, aber ich trinke gern Wein. Aber durch das Laufen habe ich das Gefühl, es ist in Ordnung.

Und dafür braucht es eine App?
Sie hilft mir bei der Kontrolle. Sie hat auch eine psychologische Wirkung, wenn ich sehe, dass ich mich meinem eigenen Jahres-Laufziel annähere und die Balkendiagramme wachsen. Auch der Vergleich mit anderen, mit denen ich meine Laufergebnisse auf der App teile, motiviert mich. Und es ist eine schöne Möglichkeit sich zu erinnern, wenn man sich die gespeicherten Karten und Strecken anschaut. Dann entstehen sofort Bilder und Erinnerungen im Kopf.

Fürs Protokoll: Kai Diekmann taucht auch unter.
Fürs Protokoll: Kai Diekmann taucht auch unter.

© Andreas Klaer

Sie selbst entdecken derzeit auch etwas Neues für sich und gehen ins kalte Wasser – jeden zweiten Morgen vor Ihrer Haustür in den Jungfernsee. Warum machen Sie das?
Das hat etwas mit dem Ehrgeiz gegen sich selbst zu tun. Ich bin im September noch schwimmen gegangen, dann im Oktober und Anfang November habe ich mich gefragt, wie lange schaffe ich es noch. Heute Morgen taten die Füße aber schon richtig weh.

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Ihnen gefällt der Schmerz?
Zunächst ist es die Übung, einfach reinzugehen. Einfach rein, nicht nachdenken. Du musst einfach rein. Dann kommt ein Schockmoment. Und dann merkst du deinen Körper, wie er kocht, wie er sich anstrengt. Und wenn der überstanden ist, ist es einfach wunderbar.

Seine Potsdamer Neuesten Nachrichten nimmt Kai Diekmann überall hin mit ...
Seine Potsdamer Neuesten Nachrichten nimmt Kai Diekmann überall hin mit ...

© Andreas Klaer

Diese Übung, etwas zu machen, was Überwindung und Anstrengung kostet, übertragen Sie diese in andere Lebensbereiche? Ist das ein Grund, weshalb Sie es machen?
Eher unbewusst. Es ist vielmehr die Freude, etwas Neues entdeckt zu haben, ein bisschen gegen sich selbst zu spielen und die nicht beabsichtigte Erfahrung zu machen, dass es mir gut tut.

Warum inszenieren Sie diese eisige Übung jedes Mal für das digitale Publikum? Forciert das Ihr Durchhaltevermögen?
Der Applaus des Social-Media-Publikums ist mein Doping.

Und wie lange wollen Sie das noch machen?
Wie lange ich es noch schaffe, ist kalte Wasser zu gehen, weiß ich nicht. Das Laufen so lange es geht.

Peter Könnicke

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