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Infektiologe Tillmann Schumacher. 

© Holger Vonderlindd

Interview | Infektiologe Tillmann Schumacher: „Mehr Covid-Patienten, die um die 50 Jahre alt sind“

Infektiologe Tillmann Schumacher über die Lage im Potsdamer Klinikum und die schwere Arbeit von Ärzten und Pflegekräften.

Von Carsten Holm

Herr Schumacher, Sie sind Infektiologe und arbeiten auf der Covid-Station des Ernst-von-Bergmann-Klinikums (EvB). Wie ist derzeit die Lage bei Ihnen?
 

Im Covid-Normalversorgungsbereich behandeln wir jetzt 16 Patienten, im Intensivbereich sind es neun, von denen sieben invasiv beatmet werden müssen.

Das Wachstum der Neuinfektionen ist nach wie vor exponentiell. Das Robert Koch-Institut meldete am Freitag 21 506 neue Infektionen, wieder ein Rekordwert. Worauf muss sich das EvB einstellen?

Wir erleben das, was draußen passiert, in den Kliniken ja mit einer zeitlichen Verzögerung. Wer sich heute infiziert, wird in der nächsten Woche krank und in der übernächsten Woche, wenn er einen schwereren Verlauf hat, ein Krankenhaus aufsuchen. Aber wir sind mit unseren Erfahrungen im Frühjahr gut auf die zweite Welle vorbereitet.

Können Sie die Personalstärke für die Covid-Station ausbauen?

Das ist gar nicht anders möglich.

Gibt es schon eine Namensliste, wer dann zu Ihnen kommen wird?

Natürlich. Die konkreten Planungen liegen vor.

Unter Experten heißt es, das EvB verfüge nach dem Covid-Ausbruch im Frühjahr mit vielen verstorbenen Patienten heute über die beste Covid-Station in Brandenburg.

Ich will dem nicht widersprechen. Richtig ist, dass wir ein sehr hohes Schutz-, Hygiene- und Sicherheitskonzept fahren.

Das Haus E des Potsdamer Klinikums "Ernst von Bergmann", in dem die Covid-Station untergebracht ist. 
Das Haus E des Potsdamer Klinikums "Ernst von Bergmann", in dem die Covid-Station untergebracht ist. 

© Ottmar Winter

Im Frühjahr war auch von Ärzten zu hören, die Grippe sei schlimmer als Corona. Würde das heute noch jemand behaupten?

Wir haben uns alle nicht vorstellen können, was dieses Jahr für uns bereitgehalten hat.

Was haben Sie seit dem Frühjahr gelernt?

Eine Menge. Wie sich das Virus überträgt, dass die sogenannten Aerosole dazu beitragen, dass es weit mehr über die Luft übertragen wird, als wir es am Anfang vermutet haben. Auch, wie unterschiedlich die Verläufe bei unterschiedlichen Patienten je nach Alter und Begleiterkrankungen sein können, welche Medikamente helfen und wie wir Patienten am besten beatmen können. Dafür hat man besondere Techniken entwickelt.

Haben Sie Therapieverfahren und Behandlungsabläufe standardisieren können?

Ja. Wir haben bei Covid kein großes, aber immerhin ein Standardrepertoire. Remdesivir gehört dazu, die Gabe von Cortison, aber auch der Einsatz von blutgerinnungshemmenden Mitteln.

Können Sie inzwischen mehr Patienten retten als im Frühjahr?

Die Situation lässt sich nicht vergleichen. Wir haben jetzt mehr jüngere Patienten als im Frühjahr, die um 50 Jahre alt sind. 

Sind die Krankheitsverläufe weniger bedrohlich?

Individuell können sie genauso schlimm wie während der ersten Welle sein. Da gibt es nach unseren Beobachtungen keinen großen Unterschied.

Ein Mitarbeiter bereitet einen Beatmungsautomat auf der Covid-Station im Bergmann-Klinikum für die Behandlung vor.
Ein Mitarbeiter bereitet einen Beatmungsautomat auf der Covid-Station im Bergmann-Klinikum für die Behandlung vor.

© Andreas Klaer

Sie behandeln von morgens bis abends mit den Kollegen hochinfektiöse Patienten. Sie haben die gefährlichsten Jobs in Potsdam. Wie steht man das durch?

Das ist eine Herausforderung. Für mich und alle Mitarbeiter. Wir wissen, dass wir mit größter Vorsicht und Sorgfalt arbeiten müssen, jeden Tag. Wir wollen alle gesund bleiben und tragen auf der Station den ganzen Tag Schutzkleidung.

Das muss sehr anstrengend sein.

Es kommt darauf an, wie warm es ist und was getan werden muss. Wird ein Intensivpatient auf den Bauch zur Beatmung gedreht, ist das eine schwierige körperliche Arbeit. Da braucht man mehr Pausen, die natürlich auch gewährt werden. Ein Schwerpunkt ist, keine unerkannten Infektionen hereinkommen zu lassen. Deswegen haben wir ein ausgeklügeltes Konzept entwickelt, das für große Sicherheit sorgt. Anstrengend ist, dass alle Mitarbeiter den Vollschutz anlegen, wenn sie ein Patientenzimmer betreten und ihn danach wieder ablegen müssen. Gerade das erfordert eine große Sorgfalt. Eine falsche Handhabung der Schutzkleidung kann das Risiko beträchtlich erhöhen.

Ihre Mitarbeiter werden regelmäßig getestet.

Sicher. Je nachdem, in welchen Situationen sie arbeiten, wollen wir unerkannte Infektionen auch unter unseren Mitarbeitern und Infektionsketten im Haus ausschließen.

Gab es positive Tests unter den Mitarbeitern?

Auch in unserer großen Mitarbeiterschaft gibt es einzelne positiv getestete Mitarbeiter. Aber bisher keine gehäuften oder im Klinikum übertragenen Covid-19 -Infektionen.

Die Belastung der Mitarbeiter ist erheblich. Wie gehen Sie als Chef damit um?

Es ist wichtig, ein offenes Ohr zu haben in Momenten, in denen jemand von uns nicht mehr mag und nicht mehr kann.

Mitarbeiter kommen auf der Covid-Station also an die Grenze dessen oder drüber, was sie aushalten können.

Natürlich. Es gibt Erschöpfung oder auch Verzweiflung, wenn ein junger Patient nicht zu retten gewesen ist, wenn die Verschlechterung seines Zustandes sehr schnell passierte. Es gibt ja lebensbedrohliche Veränderungen innerhalb weniger Stunden.

Sorgen sich Ihre Kollegen auch um die eigene Gesundheit?

Ja, das kommt vor. Viele haben Familie und Kinder. Sie sind zum Beispiel in Sorge, ob sie eine Covid-Infektion aus der Klinik mit nach Hause in die Familie tragen bis hin zu den Großeltern.

Gab es in den vergangenen Monaten einen solchen Fall?

Nein.

Wenden sich diese Kollegen an Sie?

Selbstverständlich auch an mich. Aber wir haben zum Glück im Klinikum auch professionelle Hilfe, Psychologen, die in solchen Fällen intervenieren können. Wir halten diese Angebote bereit, weil wir ja wissen, dass auch die Mitarbeiter im Kampf gegen Covid einen Marathon zu bewältigen haben.

Wird die Hilfe in Anspruch genommen?

Ja. In mehreren Fällen schon.

Was ist die größte Herausforderung bei Ihrer Arbeit für Sie persönlich?

Dass ich die Zahl der Patienten, die auf uns zukommen werden, nicht abschätzen kann. Es ist wirklich eine Herausforderung, dabei die Nerven zu bewahren.

Wie ist es um das Ansehen von Ärzten und Pflegern einer Covid-Station bestellt? Werden Sie bewundert oder sind Sie manchen wegen ihrer täglichen Nähe zu einem tödlichen Virus vielleicht sogar unheimlich?

Nein, Bewunderung erlebe ich nicht. Aber auch keine Distanz, weil mich jemand für infektiös hält.

Sie sind verheiratet und haben drei Kinder. Ist es vorgekommen, dass sich Menschen Ihres Umfelds aus Sorge um eine Infektion von Ihnen zurückziehen?

Das haben wir tatsächlich im Frühjahr erlebt. Da sagten Freunde, sie wollten den Besuch bei uns doch lieber verschieben. Das hat sich im Sommer aber wieder normalisiert. Wir haben ja alle den Umgang mit Corona ein bisschen gelernt.

Zur Person: Tillmann Schumacher, (56) ist promovierter Facharzt für Innere Medizin und Infektiologie. Seit vier Jahren ist er Oberarzt der Infektiologie am Potsdamer „Ernst von Bergmann“-Klinikum.

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