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Eckart Conze ist Professor für Neuere Geschichte an der Philipps-Universität Marburg.

© Rolf K. Wegst/ Uni Marburg

Interview | Historiker Eckart Conze: "Die Garnisonkirche kann kein positiver Bezugspunkt sein"

Der Marburger Historiker Eckart Conze spricht im PNN-Interview über die Herausforderungen des Wiederaufbauprojekts Garnisonkirche und ein denkbares Ensemble mit dem Rechenzentrum.

Herr Conze, Sie sitzen im Wissenschaftlichen Beirat der Stiftung Garnisonkirche, obwohl Sie den Wiederaufbau durchaus kritisch begleiten. Warum beteiligen Sie sich dennoch?

Der Wiederaufbau braucht kritische Begleitung – und dafür  stehe nicht nur ich, sondern der Beirat insgesamt. Das ist die zentrale Funktion dieses Gremiums.

Wozu ist das denn nötig?

Der Wiederaufbau des Garnisonkirchturms ist ein Projekt von enormer erinnerungskultureller und damit politischer und gesellschaftlicher Bedeutung – was sich ja in seiner Umstrittenheit spiegelt. Und er braucht sowohl die kritische, die kontroverse öffentliche Auseinandersetzung als auch die Diskussion in den Gremien der Stiftung. Nicht erst der abgeschlossene Bau, sondern schon der Weg dahin ist Teil einer demokratischen Erinnerungs- und Geschichtskultur. Und die Debatte wird hoffentlich nach Vollendung des Turmbaus nicht aufhören.

Von Kritikern wird die Kirche stets mit Militarismus und Demokratiefeindlichkeit in Verbindung gebracht. Geht die Stiftung mit dieser Herausforderung bisher angemessen um oder sehen Sie Defizite?

Es gibt überhaupt keinen Zweifel, dass die Garnisonkirche in der preußischen und preußisch-deutschen Geschichte für die Verbindung von monarchischer Staatsmacht mit Kirche und Militär steht. Auch deswegen wurde sie schon früh zu einem Symbolort für Militarismus und, spätestens seit 1918, für Demokratiefeindlichkeit. Sie kann daher kein positiver Bezugspunkt sein, zu dem man sich bekennt. Mit dieser Geschichte angemessen und auch im Lichte gegenwärtiger Gefährdungen der Demokratie umzugehen, ist eine zentrale Herausforderung für das Projekt, der auf unterschiedlichen Ebenen – von der Architektur über die geplante Ausstellung bis hin zum Bildungsprogramm – begegnet werden muss. Sie darf kein Identifikationsort für alte und neue Rechte werden.

Warum sehen Sie denn diese Gefahr?

Weil die Geschichte der Kirche und nicht zuletzt ihre Nutzung im 20. Jahrhundert das nicht ausschließen. Und weil gerade die Frühgeschichte der Wiederaufbauinitiative zeigt, dass nicht alle ihre Unterstützer darin ein demokratisches Projekt sehen wollen. Das reicht von unkritischem Borussismus bis zu Revanchismus und neuem Nationalismus. Das bleibt eine Herausforderung.

Und noch einmal die Frage: Geht die Stiftung damit bisher angemessen um?

Die Problematik ist der Stiftung in allen ihren Gremien klar bewusst.  Das Projekt wäre gescheitert, wenn es von Feinden von Demokratie und Frieden benutzt werden könnte. Daran gibt es doch überhaupt keinen Zweifel. Und deswegen sind Kritik, Mahnungen und Warnungen so wichtig. Nicht die Kritiker oder Skeptiker sind das Problem des Vorhabens, sondern seine falschen Freunde.

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Wo sollte sich der Kampf gegen das Image des Ortes  in der praktischen Arbeit – auch des wissenschaftlichen Beirats – noch mehr niederschlagen?

Das schlägt sich seit langem nicht nur in der Arbeit des  Beirats, sondern beispielsweise auch in den Veranstaltungen der Nagelkreuzgemeinde nieder. Auch die vom Beirat begleitete Entwicklung des Ausstellungskonzepts sowie des künftigen Bildungsangebots trägt dieser Herausforderung Rechnung. Eine vom Wissenschaftlichen Beirat organisierte Tagung wird sich in diesem Jahr mit dem Thema „Kirchen als Erinnerungsorte“ beschäftigen, wohl wissend, dass die Garnisonkirche nicht irgendeine Kirche ist.

Die Stiftung hält ja öffentlich weiter am Wiederaufbau auch des Kirchenschiffs fest, obwohl der Verzicht auf den originalgetreuen Wiederaufbau eine Bedingung für die Darlehen von der Evangelischen Kirche war. Müsste sich der Bruch mit der Geschichte baulich manifestieren?

Die Errichtung eines Kirchenschiffs liegt, wenn überhaupt, in weiter Ferne. Bereits der Wiederaufbau des Turms bedeutet eine gewaltige, nicht nur finanzielle Anstrengung. Einen originalgetreuen Wiederaufbau des Schiffs kann ich mir überhaupt nicht vorstellen. Schon der Turmbau enthält ja Elemente des Bruchs, wenn auch in zurückhaltender Weise: in der modernen Innenarchitektur, im Gebäudesockel mit dem mehrsprachigen Bibelvers und seiner Friedensbotschaft sowie in der Integration von Spolien in den Bau, also beschädigten Originalteilen. Doch wenn man schon über das Kirchenschiff nachdenkt, dann scheint es mir klar, dass hier Bruch und Distanzierung gerade angesichts der weitgehend originalgetreuen Rekonstruktion des Turmäußeren einen noch stärkeren Imperativ darstellen müssten.

Immer wieder geht es  auch um das Rechenzentrum neben dem Turm. Potsdams Oberbürgermeister Mike Schubert (SPD) will das möglichst erhalten und vielleicht einen Libeskind-Bau dazwischen als verbindendes Element. Können Sie sich so etwas vorstellen?

Das ist ein interessanter Gedanke. Garnisonkirche und Rechenzentrum gegeneinander auszuspielen, halte ich für problematisch. Ich selbst kann der Idee eines Gesamtensembles viel abgewinnen, nicht zuletzt auch angesichts der dadurch sichtbar werdenden Überlagerung und Verbindung unterschiedlicher historischer Zeitschichten. Deswegen lohnt es sich, darüber nachzudenken, das nach der Sprengung der Kirchenruine errichtete Rechenzentrum in ein architektonisches und erinnerungskulturelles Gesamtkonzept einzufügen. Die historische Authentizität des Ortes würde das stärken.

Aber wäre so ein Ansinnen im Kuratorium auch mehrheitsfähig?

Warum denn nicht? Es geht doch nicht um einen originalgetreuen Wiederaufbau um jeden Preis, sondern um die Garnisonkirche als Gesamtkomplex, als Lern- und Erinnerungsort in ihrem spezifischen Ambiente, zu dem heute als Ergebnis historischer Entwicklungen auch das Rechenzentrum gehört. Die Komplexität des Ortes würde dadurch unterstrichen, die Idee des Lernorts könnte dadurch nur gewinnen.

Zwei Beiratsmitglieder sind ausgestiegen. Kritiker bemängeln, dass diesem Beirat die polnische, internationale und jüdische Perspektive fehle. Sehen Sie da Bedarf?

Das Ausscheiden von Susan Neiman und Jerzy Marganski, dem übrigens nach meiner Wahrnehmung keine Auseinandersetzungen im Beirat oder mit anderen Stiftungsgremien vorausgingen, ist in der Tat bedauerlich. Sie waren wichtige Stimmen. Ich bin aber sicher, dass die entstandene Lücke rasch geschlossen werden kann. Und weil es sich bei der Garnisonkirche um einen – historisch wie gegenwärtig – Symbolort von nicht nur nationaler, sondern auch internationaler Strahlkraft handelt, sollte sich das auch in der Zusammensetzung des Wissenschaftlichen Beirats widerspiegeln. Genau deswegen gehörten Frau Neiman und Herr Marganski dem Gremium ja an. Wichtig ist der im Beirat versammelte kritische Sachverstand, den das Projekt genauso braucht wie die kontinuierliche, durchaus kontroverse öffentliche Debatte. Sie hilft dem Vorhaben.

Die Fragen stellte Henri Kramer.

Zur Person: Eckart Conze ist Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Marburg. Seit 2018 ist er Mitglied im wissenschaftlichen Beirat der Garnisonkirchenstiftung. Er ist außerdem im wissenschaftlichen Beirat des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr in Potsdam tätig. Im vergangenen Jahr veröffentlichte er das Buch "Schatten des Kaiserreichs. Die Reichsgründung 1871 und ihr schwieriges Erbe".

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