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Gregor Jekel, Fachbereichsleiter Wohnen der Stadtverwaltung Potsdam.

© Promo/ LHP, Frank Daenzer

Interview | Gregor Jekel, Bereichsleiter Wohnen in Potsdam: „Wir rechnen mit einem starken Anstieg“

Gregor Jekel, Bereichsleiter Wohnen der Stadtverwaltung, spricht im Interview über Wohngeld und Hilfe bei Mietschulden in der Coronakrise.

Von Peer Straube

Potsdam - Herr Jekel, die Coronakrise hat Potsdam wirtschaftlich mit voller Wucht getroffen. Machen sich die Potsdamer Sorgen, dass sie ihre Miete nicht mehr zahlen können?
Ich glaube, dass es jetzt tatsächlich eine viel größere Zahl von Menschen in Potsdam gibt, die sich genau solche Sorgen machen – weil sie sich fragen, ob ihr Job noch sicher ist oder weil sie Freiberufler sind und kein Einkommen mehr haben.

Erreichen Sie mehr Anfragen nach Unterstützung in Form von Wohngeld als vor der Coronakrise?

Auch, wenn sich das nicht in konkreten Zahlen ausdrücken lässt: Ja, der Bedarf an Beratung ist enorm gestiegen. Und auch die Zahl der Menschen, die jetzt einen Anspruch auf Wohngeld haben, hat sich erhöht.

Können Sie ein Beispiel nennen?
Ein typisches Beispiel ist der Fall eines Cafébetreibers, der sein Lokal wegen der Krise schließen musste. Es gibt viele Selbstständige wie ihn, die noch nie Sozialleistungen vom Staat in Anspruch genommen haben, dies jetzt aber tun müssen. Oft tun sie sich damit aber schwer und schämen sich. Ich kann nur an alle Betroffenen appellieren, keine falsche Scheu zu zeigen, sondern sich an uns zu wenden und unsere Hilfeangebote zu nutzen, so wie sie nötig sind.

Wie hoch kann die finanzielle Hilfe der Stadt denn ausfallen?
Das ist vom jeweiligen Einzelfall abhängig. Grundsätzlich gewähren wir einen Zuschuss zur Miete, zahlen aber nicht die volle Summe. Vollständig übernommen wird die Miete beispielsweise für Hartz-IV-Empfänger, dafür ist dann aber das Jobcenter zuständig. Beratung bieten aber beide Behörden an, wir stimmen uns mit dem Jobcenter auch ständig ab.

Wer gehört zu Ihrer Klientel?
Die mit Abstand größte Gruppe sind mit rund 50 Prozent die Rentner. Etwa zehn Prozent sind Studierende und Azubis. Angestellte mit geringem Einkommen machen ein knappes Viertel der Antragsteller aus, Selbstständige bisher nur etwa vier Prozent. Vor allem bei den beiden zuletzt genannten Gruppen wird die Zahl der Antragsteller stark ansteigen, weil sie vorübergehend gar kein Einkommen mehr haben oder vielleicht auf Kurzarbeit gesetzt wurden.

Wie viele Potsdamer bekommen Wohngeld?
Zum Stichtag 31. Dezember 2019 erhielten rund 1300 Haushalte diesen Zuschuss zur Miete. Wir rechnen für dieses Jahr natürlich mit einem starken Anstieg, schon alleine wegen der Wohngeldverbesserungen zum Jahresbeginn. Der ist schon jetzt spürbar. Wie hoch er letztlich ausfällt, lässt sich aktuell noch nicht ermessen. Die Erfahrungen der vergangenen Jahre zeigen aber, dass sich die Zahl der Antragsteller beispielsweise nach Wohngeld-Gesetzesnovellen regelmäßig um 60 bis 70 Prozent erhöht hat.

Reicht das Budget zur Bewältigung der Krise denn überhaupt aus?
Wohngeld ist ja eine Leistung, die vom Bund und vom Land Brandenburg bezahlt wird. Wir sind als Stadt nur die Behörde, die die Anträge bearbeitet und bescheidet, die Auszahlung läuft dann über das Rechenzentrum des Landes. Insofern liegen die finanziellen Lasten nicht bei uns als Kommune.

Wie lange dauert die Bearbeitung eines Antrags?
Üblicherweise etwa vier Wochen. Wegen der Cyberattacke auf das IT-System des Rathauses im Januar konnten wir aber Neuanträge über einen Zeitraum von zwei bis drei Wochen nicht bearbeiten, sodass es derzeit im Schnitt leider eher sechs bis sieben Wochen dauert. Wir priorisieren die Anträge allerdings. Wenn bei jemandem wirklich existentielle Not herrscht, schaffen wir das auch schneller.

Wie ist denn die Personalsituation in Ihrem Bereich?
In der Wohngeldbehörde arbeiten derzeit acht Mitarbeiter an den Anträgen, und zwar streng voneinander getrennt, um die Ansteckungsgefahr mit dem Coronavirus möglichst gering zu halten. Das ist eine systemrelevante Behörde, daher könnten wir im Notfall auch auf andere Verwaltungsmitarbeiter zurückgreifen. Die Menschen müssen schließlich ihr Geld bekommen.

Was raten Sie Betroffenen, die Unterstützung für ihre Mietzahlungen benötigen?
Zunächst einmal, sich an unsere Telefonhotline unter der Nummer (0331) 2893907 zu wenden, auch eine E-Mail an die Adresse wohngeld@rathaus.potsdam.de ist möglich. Da kann man sich beraten lassen und die nötige Unterstützung bekommen.

Welche Hilfe bietet Ihr Fachbereich darüber hinaus an?
Wir können – was viele nicht wissen – auch finanzielle Hilfe bei Miet- und Energieschulden leisten. Üblicherweise gewähren wir diese erst, wenn vom Vermieter eine Kündigung der Wohnung ausgesprochen wurde. Wir prüfen aber gerade, ob wir die Regelung in diesen Zeiten auf Betroffene ausweiten können, denen noch nicht gekündigt wurde – das würde das vom Gesetzgeber verbotene Zwangsräumungsverbot gut ergänzen.

Wie funktioniert diese Hilfe?
Die Stadt kann den Betroffenen ein zinsloses Darlehen gewähren, wenn keine andere Möglichkeit mehr besteht, die Wohnung zu erhalten, etwa durch eine Stundung durch den Vermieter, eigenes Einkommen oder Vermögen. Insgesamt setzen wir schon bisher pro Jahr ein hohes sechsstelliges Budget dafür ein. Pro Haushalt wird in der Regel ein niedriger vierstelliger Betrag ausbezahlt, dessen Rückerstattung meist über sehr kleine Raten erfolgt, gestreckt oft über drei bis vier Jahre, damit die Betroffenen sich das finanziell auch leisten können.

So ähnlich würde auch der von mehreren Seiten geforderte Wohnfonds zum Mieterschutz in der Coronakrise funktionieren.
Genau. Und dieses rechtliche Instrument gibt es im Sozialgesetzbuch XII bereits, es ist da nur ein bisschen enger gefasst. Aber die Möglichkeit zur Hilfe existiert bereits. Von Mietschulden betroffene Miethaushalte, deren Einkommen nachweislich weggebrochen ist, wie auch deren Vermieter können sich zur Beratung an die Arbeitsgruppe Soziale Wohnhilfen wenden. Sie ist telefonisch unter (0331)2892680 oder per E-Mail unter wohnungssicherung@rathaus.potsdam.de erreichbar.

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