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Der Fotograf Daniel Biskup. Seine Werke sind für vier Wochen in der Französischen Kirche in Potsdam zu sehen.

© Jörg Carstensen/dpa

Interview | Fotograf Daniel Biskup: "Für die Wessis war der Mauerfall nur ein großes Ereignis im Fernsehen"

Das "Auge der Revolution" - so wird Fotograf Daniel Biskup anerkennend genannt. 60 seiner Bilder aus der Wendezeit werden nun in der Französischen Kirche in Potsdam gezeigt. 

Von Carsten Holm

Herr Biskup, am 1. Oktober wird auf Initiative des Vereins "Erinnerungsorte Potsdamer Grenze" in der Französischen Kirche in Potsdam eine Ausstellung unter dem Titel „Test the West” mit Ihren Fotos der Einheit eröffnet. Werben Sie jetzt für Zigaretten?

Nein, natürlich nicht.  Aber es gibt ein Foto dazu, das für mich die Wendezeit verkörpert. 1990 habe ich in Leipzig einen in Zittau produzierten Robur-Kleinlaster fotografiert, den die VEB Handelsgesellschaft Leipzig benutzte. Er fuhr noch. Auf dem Auto klebte eine große „West”-Reklame.

Die sah man in Ostdeutschland nach der Wende oft.

Ja, überall in den damals noch grauen Straßenzügen gab es diese leuchtende Werbung. Den Robur-Laster habe ich ein Jahr später in Leipzig wiedergefunden. Das Schild „VEB Handelsgesellschaft” war überklebt, das Fahrzeug war stillgelegt, abgemeldet und moderte vor sich hin. Für mich war es ein Sinnbild jener Zeit.

West auf Ost: Der mit Werbung "Test the West" beklebte Ost-LKW Robur ist Motto der Ausstellung von Daniel Biskup mit Wendefotos.
West auf Ost: Der mit Werbung "Test the West" beklebte Ost-LKW Robur ist Motto der Ausstellung von Daniel Biskup mit Wendefotos.

© Daniel Biskup

Sie haben die West- und die Ostdeutschen 30 Jahre lang aus der Ost-Perspektive beim beschwerlichen Zusammenwachsen beobachtet. Wann fingen Sie damit an?

Ich war 1989 noch Student. Ich saß am 9. November in einem Seminar in der Augsburger Uni, als ich von der Grenzöffnung erfuhr. Ich bin sofort nach Berlin gefahren und stand um 3 Uhr am Brandenburger Tor. Ich habe zwei Tage und zwei Nächte durchfotografiert.

Sie haben schon ein Jahr zuvor in der Sowjetunion den Beginn eines der größten Umbrüche in der Weltgeschichte miterlebt und fotografiert.

Ich hatte die Entwicklung ja verfolgt. Als Michail Gorbatschow 1988 Staatspräsident der Sowjetunion wurde, wollte ich mit eigenen Augen sehen, was da passiert. 

Die Bilder aus der Wendezeit - hier russische Soldaten in Berlin - werden in der Französischen Kirche gezeigt.
Die Bilder aus der Wendezeit - hier russische Soldaten in Berlin - werden in der Französischen Kirche gezeigt.

© Daniel Biskup

Sie sind einfach nach Moskau geflogen. Als 26-jähriger Student aus Augsburg.

Es war unglaublich. Ich sah die ersten regierungskritischen Wandzeitungen, die ersten kleinen Einzelhandelsgeschäfte. Da wurden Glaskästen mit Blumen als Dekoration aufgestellt. Und dann Militärbusse mitten in Moskau, in deren Windschutzscheiben sich sowjetische und amerikanische Flaggen kreuzten. Kurz zuvor unvorstellbar!

Sie hatten zu Osteuropa immer eine besondere Affinität. Mehr als 50-mal haben Sie Russland besucht, im Jahr 2000 als erster deutscher Fotograf den Präsidenten Wladimir Putin porträtiert. Sie haben auch den Zerfall Jugoslawiens und den Bürgerkrieg begleitet. Wo hat all das seine Wurzeln?

Ich glaube in der Geschichte unserer Familie. Meine Mutter stammte aus Danzig, mein Vater aus Schlesien, aus Gebieten also, die bis 1945 Teil des Deutschen Reichs waren und heute zu Polen gehören. Wir haben in den 1970-er Jahren zusammen Reisen nach Polen, Ungarn und Bulgarien unternommen.

1991 fotografiert Daniel Biskup diesen Mann auf dem Rad - der nach einer Wohnung sucht - vor dem Schloss Sanssouci.
1991 fotografiert Daniel Biskup diesen Mann auf dem Rad - der nach einer Wohnung sucht - vor dem Schloss Sanssouci.

© Daniel Biskup

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Sie haben dann Ihr Geschichts- und Politikstudium nach der Vorprüfung aufgegeben.

Ich war immer ein politischer Mensch. Aber mir wurde klar, dass mein Talent mehr in der Fotografie liegt. Ich hatte den großen Traum, Ideen zu entwickeln und sie zu visualisieren. Und ich hatte einflussreiche Förderer wie Kai Diekmann, den früheren „Welt am Sonntag”- und „Bild”-Chefredakteur, und Giovanni di Lorenzo, heute „Zeit”-Chefredakteur.

Im Herbst 1989, kurz vor der Maueröffnung, haben Sie an der deutsch-tschechischen Grenze Flüchtlinge aus der DDR fotografiert. Und Sie haben dort ein ostdeutsches Pärchen kennengelernt und gleich nach Augsburg eingeladen.

Ein Pärchen mit Lederjacken. Die beiden haben ein Jahr im Reihenhaus meiner Freundin im Gästezimmer bei uns gewohnt. Wir haben viel über die bevorstehende Wiedervereinigung diskutiert. Und ich habe begriffen, dass viele Linke in der DDR sie nicht wollten, sondern einen wirklich demokratischen Sozialismus anstrebten.

Die Schicksale der Menschen habe er in den Bildern festhalten wollen, sagt Fotograf Daniel Biskup.
Die Schicksale der Menschen habe er in den Bildern festhalten wollen, sagt Fotograf Daniel Biskup.

© Daniel Biskup

Die 60 Bilder, die in Potsdam ausgestellt werden, stammen aus Ihren Fotobänden „Budapest-Berlin” und „Wendejahre”. Sie zeigen den gewaltigen Transformationsprozess jener Zeit. Respektvoll werden Sie das „Auge der Revolution” genannt.

Das stimmt insofern, als dass ich das Alltagsleben mit dem Auge eines Historikers fotografiert habe.

Eines der vielen beeindruckenden Fotos zeigt einen Radler am Schloss Sanssouci. Er hat ein Pappschild am Rad angebracht: „Suche Wohnung”.

Ich habe in erster Linie nicht die Protagonisten der Politik, sondern das Schicksal der Menschen von Erfurt bis Usedom und von Magdeburg bis Zittau festhalten wollen.

Das Aufeinandertreffen von Ost und West ist in den 60 Bildern in der Französischen Kirche zu sehen. 
Das Aufeinandertreffen von Ost und West ist in den 60 Bildern in der Französischen Kirche zu sehen. 

© Daniel Biskup

Wie haben Sie die Ostdeutschen damals erlebt?

Ich habe gleich nach dem Mauerfall mehrere Jahre bei einem Rentner-Ehepaar in Ostberlin zur Untermiete gewohnt. Mir wurde klar, wie sehr die DDR-Bürger unter den vielen Demütigungen der Westdeutschen litten. Die haben alles auf den Müll geworfen: die Waren aus der DDR, die Trabis, auch die Menschen. Deren Berufsabschlüsse waren plötzlich nichts mehr wert, in Massen verloren sie ihre Arbeit.

Viele der 17 Millionen Ostdeutschen stürzten in eine tiefe Depression.

So habe ich es erlebt. Manche waren durchaus euphorisiert, aber viele resignierten schnell. Sie wussten nicht mehr, was richtig und was falsch ist, und das ist bis heute spürbar. Ja, die DDR war ein Willkürstaat, die Stasi hat Furchtbares getan. Aber das war nur die eine Seite. Es gab materiell, vom Vermögen her, keine großen Unterschiede in der Gesellschaft. Es gab eine Sicherheit im Miteinander.

Und die Opposition verstummte plötzlich.

Diese mutigen Menschen, die sich im Oktober 1989 auf den Straßen verprügeln lassen mussten, hatten andere Ziele: einen demokratischen Sozialismus. Die Fenster aufmachen. Durchlüften. Reformen. Und nun blieben sie schwer enttäuscht zu Hause.

Die Fotos zeigen die Transformation, in der sich die Gesellschaft und der einzelne Mensch befunden hatte. 
Die Fotos zeigen die Transformation, in der sich die Gesellschaft und der einzelne Mensch befunden hatte. 

© Daniel Biskup

Von den Wessis fühlten sie sich trotz der immensen Transferleistungen in ihrer Not alleingelassen.

Ganz sicher. Für die Wessis waren der Mauerfall und die Wende nur ein großes Ereignis im Fernsehen. Manche fuhren zur plötzlich offenen Grenze, um Trabis zu berühren. Aber sie haben nie begriffen, wie viel Glück sie nach dem Zweiten Weltkrieg hatten.

Sie meinen, nach der Nazizeit im Westen aufzuwachen.

Genau das. Sie wurden von den Amerikanern zu einem Bollwerk der Demokratie aufgebaut, ihre Fabriken wurden nicht, wie es die Russen in der DDR taten, demontiert. Sie konnten Vermögen anhäufen und vergessen, was sie vorher angerichtet hatten. Es gab keine Volksabstimmung darüber, ob sie zu den Russen oder zu den Amerikanern wollten. Und sie haben nicht gewürdigt, dass die Ostdeutschen sich ihre Freiheit selbst erkämpft haben.

Sie haben Politiker wie Wladimir Putin, Helmut Kohl, Angela Merkel, Barack Obama, Emmanuel Macron und Helmut Schmidt porträtiert, Menschen, die die meisten nur aus dem Fernsehen kennen.

Diese Begegnungen waren das größte Geschenk für mich. Die Fotos zeigen ja immer nur einen kleinen Ausschnitt.

Spannend ist die Frage: Wie verhalten sich Politiker, wenn die Kamera ausgeschaltet ist? Schmidt galt als arrogant, Kohl als unnahbar. Wie haben Sie die beiden erlebt?

Schmidt war immer sehr interessiert, von meinen Eindrücken zu erfahren. Ich war bei ihm, als ich 2015 die Revolution in der Ukraine fotografiert hatte. „Wie ist es dort denn nun wirklich?“, fragte er, und ich erzählte.


Wie war es mit Kohl? Sie haben ihn ja 20 Jahre lang ständig begleitet.

Seine Stärke lag sicher nicht im Umgang mit Medien, aber mit einfachen Menschen und auch mit Staatenlenkern wie Gorbatschow. Er konnte Nähe herstellen. Er hat erkannt, dass ich mich als Fotograf der Zeitgeschichte verstehe, und das hat er geschätzt.

Sie waren für ein Projekt von Kai Diekmann tagelang mit Diekmann und Kohl unterwegs. Hat er gewusst, dass Sie Jungsozialist waren?

Ja.

Das hat Ihre Beziehung nicht getrübt?

Überhaupt nicht. Er hat nicht nur ein Vorwort für einen meiner Bildbände geschrieben, sondern auch einen schweren Tabubruch zwischen ihm als Politiker und mir als Fotograf zugelassen.

Erzählen Sie.

Es war am 12. September 2001 im Hotel Kempinski in Peking. Wir waren in seinem Zimmer beim Frühstück, als die Zeitung „China Daily” hereingebracht wurde, auf der Titelseite ein Foto der einstürzenden Twin Towers in New York. Es ist ein absolutes Tabu, in einem solchen privaten Hotelzimmer zu fotografieren. Kohl war klar, dass dies ein wirklich historischer Tag war, und er erlaubte ein Foto von ihm mit der Zeitung.

Fotograf Daniel Biskup begleitete auch Altkanzler Helmut Kohl mit seiner Kamera. 
Fotograf Daniel Biskup begleitete auch Altkanzler Helmut Kohl mit seiner Kamera. 

© Daniel Biskup

Wie haben Sie den Altkanzler im persönlichen Umgang erlebt?

Er hat sich nie in Pose gesetzt. Er war ebenso uneitel wie Angela Merkel. Auch, als ich ihn und Gorbatschow 2002 bei einer gemeinsamen Deutschlandreise begleitete. Wir suchten die Stelle im Garten des früheren Bonner Kanzleramts auf, wo beide sich in der sogenannten deutschen Frage nähergekommen waren und Geschichte schrieben. Ich war ja auch bei seinem Besuch des Grabes von Friedrich dem Großen in Sanssouci dabei. 

Sie können gut mit Menschen umgehen und haben keine Berührungsängste. Haben Sie mit Tricks gearbeitet, um den Großen näher zu kommen?

Nicht mit Tricks. Aber mit Prinzipien. Man muss ein ausgeprägtes Hintergrundwissen haben und sich selbst auf das Gegenüber einlassen können. Und, einer meiner Grundsätze: Niemals mit Assistenten arbeiten, niemals mit Blitzlicht oder Leuchten. Das alles stört die Begegnung.

Fotografieren Sie noch immer mit dem Auge eines Historikers?

Das verliert man nicht. Man muss in längeren Zeitperioden denken. Ich war am 12. März im Kanzleramt dabei, als Merkel die Bevölkerung während einer außerplanmäßigen Pressekonferenz aufforderte, auf soziale Kontakte zu verzichten. Seit diesem Moment fotografiere ich jeden Tag etwas zu Corona.

Helmut Kohl war 2014 am Schloss Sanssouci - fotografisch festgehalten von Daniel Biskup.
Helmut Kohl war 2014 am Schloss Sanssouci - fotografisch festgehalten von Daniel Biskup.

© Daniel Biskup

Posten Sie die Fotos?
Ich habe ein Tagebuch auf Instagram eingerichtet. Wenn ich einmal Enkel haben sollte, können die sich in 30 Jahren ein Bild machen von dem, was jetzt geschieht. Ich wollte nie nur Bilder für Zeitungen aufnehmen, die am nächsten Tag als Fischeinwickelpapier benutzt werden. Ich bemühe mich Fotos zu machen, die über den Tag hinaus leben.

Welchen Corona-Moment haben Sie gerade eingefangen?

Ich war auf dem Weg von Augsburg nach Warendorf bei Münster. Da stand bei Leipheim an einer Landstraße ein Grillhähnchen-Verkaufswagen, dessen Betreiber für die Kunden als Abstandswarner Piktogramme von Hühnern installiert hat. 

Fotograf Daniel Biskup erlebt zur Wendezeit viele Menschen, die erst euphorisiert waren, dann aber auch schnell resignierten. 
Fotograf Daniel Biskup erlebt zur Wendezeit viele Menschen, die erst euphorisiert waren, dann aber auch schnell resignierten. 

© Daniel Biskup

Zur Person:

Daniel Biskup ist einer der renommiertesten Dokumentar- und Porträtfotografen in Deutschland. In Bonn geboren, absolvierte der heute 57 jährige in Bad Godesberg eine dreijährige Ausbildung zum Postboten, gründete eine Gewerkschaftszeitung und fotografierte Friedensdemonstrationen sowie besetzte Häuser. Nach dem Abitur auf dem zweiten Bildungsweg studierte er an der Universität Augsburg Neuere Geschichte, Politik und Volkskunde. Nebenbei fotografierte er für die Augsburger Allgemeine, später dann Politiker wie Angela Merkel, Helmut Kohl, Helmut Schmidt, Emmanuel Macron, und Barack Obama. Er begleitete die Umbrüche im früheren Jugoslawien, in der Sowjetunion von der Perestroika bis Wladimir Putin, vor allem aber das Geschehen um die deutsche Einheit vom 9. November bis heute. Er lebt mit seiner Familie in Augsburg.

Fotoausstellung

"Test the West": Bilder von Daniel Biskup zur Deutschen Einheit und zum Transformationsprozess, vom 1. Oktober bis 1. November, Französische Kirche, Charlottenstraße 55-58, Potsdam. Die Ausstellung ist freitags, samstags und sonntags von 12 bis 16 Uhr geöffnet.

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