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"Angst ist erstmal ein sinnvolles Gefühl, denn sie schützt uns vor vielen Dingen."

© Julian Stratenschulte/dpa

Interview | Ein Psychologe zur Coronakrise: "Bei Depressiven kann das die Abwärtsspirale noch verstärken"

Günter Esser, Direktor der Akademie für Psychotherapie der Uni Potsdam, über das Leben von Patienten in der Coronakrise.

Von Birte Förster

Herr Esser, Menschen mit Depressionen und Angststörungen haben schon im normalen Alltag zu kämpfen. Wie kommen diese nun mit der besonderen Coronakrise zurecht?
Depressive Menschen ziehen sich meist ohnehin schon zurück und machen das nun während der Coronakrise und der damit verbundenen Kontaktsperre verstärkt. Manche empfinden die aktuelle Situation somit sogar als Entlastung, da ihnen der Druck genommen wird, nach draußen zu gehen und mit anderen Menschen in Kontakt zu treten.

Hilft das den Betroffenen?
Die Situation kann ihre Symptomatik eher verstärken. Denn umso mehr man sich zurückzieht, desto inaktiver wird man und desto weniger positive Erlebnisse hat man. Das drückt auf die Stimmung und daher wird der Antrieb dann noch weniger. Bei Depressiven kann das die Abwärtsspirale noch verstärken.

Worauf sollten Betroffene achten?
Sie sollten versuchen, sich nicht in das Loch fallen zu lassen und nicht zu passiv zu werden. Wenn sie arbeiten können, sollten sie das tun. Ansonsten könnten diejenigen zum Beispiel auch Dinge erledigen, die liegengeblieben sind, oder mit Angehörigen Spiele spielen. Die Angehörigen könnten ihnen dabei helfen, aktiv zu bleiben.

Günter Esser, 69, ist Psychologe und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapheut. 
Günter Esser, 69, ist Psychologe und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapheut. 

© Universität Potsdam 

Wie ist die Situation bei Menschen mit einer Angststörung?Corona ist wie andere Katastrophen und Krisen, wie zum Beispiel Terroranschläge, dazu geeignet, Ängste hervorzurufen. Menschen mit einer Angststörung denken nun häufig, dass sie sich schützen können, wenn sie besonders aufpassen.

Wie genau schützen Betroffene sich?
Sie vermeiden gefährliche Situationen und reinigen alles, was von draußen kommt, etliche Male. Außerdem halten sie sehr großen Abstand zu anderen Menschen. Da kann man in einen Kreislauf kommen, dass man sich mit nichts anderem mehr beschäftigt und die Gedanken ständig darum kreisen, wie man sich vor dem Virus schützen kann.

Wie lässt sich das ständige Grübeln unterbrechen?
Es ist wichtig, dass man es zeitlich begrenzt. Eine Möglichkeit ist, eine Grübelstunde einzurichten, sodass man es sich nur in einem festgelegten Zeitraum erlaubt, zu grübeln. So bekommt man Kontrolle und ist den Gedanken nicht hilflos ausgeliefert. Ein Merkmal des pathologischen Grübelns ist, dass man von Thema zu Thema springt. Es ist hilfreich, die einzelnen Ängste und Sorgen zu Ende zu denken und sich klar zu machen, dass auch der ungünstigste Ausgang erträglich wäre.

Was machen derzeit mit Menschen, die an einem Waschzwang leiden? Normalerweise sollen die Betroffenen lernen, davon loszukommen.
Angst ist erstmal ein sinnvolles Gefühl, denn sie schützt uns vor vielen Dingen. Aber die Frage ist, wo fängt die pathologische Angst an? Wo fängt der Zwang an? Menschen, die zu zwanghaften Handlungen neigen, wiederholen diese oft. Es verselbständigt sich, da sie viel Zeit mit dem Reinigen verbringen, sodass das Leben davon stark eingeengt wird.

Was ist den Betroffenen zu raten?
Dass man das zu Ende denkt, was wahrscheinlich ist. Man stellt fest: Das Leben ist gefährlich. Natürlich kann ich mich mit Corona infizieren. Aber, wenn man nicht gerade zur Risikogruppe gehört, überlebt ein Großteil die Infizierung. Daran zu sterben, ist nicht das Wahrscheinlichste. Die Menschen können sich Sorgen machen, aber sie sollten nicht in Panik verfallen.

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