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Stimmen zählen. Wahlhelfer in der Voltaireschule.

© Andreas Klaer

Interview: „Als Demokrat kann man nicht zufrieden sein“

Potsdam hat gewählt - aber längst nicht alle Potsdamer waren wählen. Wieso ist die Wahlbeteiligung auf kommunaler Ebene so mäßig? Politologe Heinz Kleger über die Gründe.

Herr Kleger, bei der OB-Wahl am Sonntag sind 53 Prozent der Potsdamer wählen gegangen. Das sind zwar sieben Prozent mehr als 2010, ist aber kein Grund zum Jubeln, oder?

Ich hatte mehr erwartet. Die Nichtwähler haben einen größeren Anteil als jede einzelne Partei ausgemacht. Da kann man als Demokrat nicht zufrieden sein.

Haben Sie die Zahlen überrascht?

Ja. Gerade, nachdem so viele Potsdamer zu den Wahlveranstaltungen gegangen sind und es ein breites Spektrum an Kandidaten gab. Der Wahlkampf lief sehr gut und lange. Ich hätte gedacht, es könnten vielleicht 60 Prozent teilnehmen.

Der Potsdamer Politikwissenschaftler Heinz Kleger.
Der Potsdamer Politikwissenschaftler Heinz Kleger.

© Andreas Klaer

Stattdessen haben 66 211 Potsdamer gar nicht mitgestimmt. Wer sind diese „stummen“ Nichtwähler?

Das würde ich auch gerne wissen. Das ist eine interessante Forschungsaufgabe.

Bei den Bundestagswahlen 2017 lag die Beteiligung mit 79,1 Prozent deutlich höher. Warum nimmt das Interesse ausgerechnet ab, wenn es um die kommunale Ebene geht – also um Themen vor der Haustür?

Vielleicht weil die Bundestagswahlen polarisierter sind, die Debatten rhetorisch zugespitzter, aber auch der Konsens in Sachfragen nicht so groß. Im OB-Wahlkampf ist fair diskutiert worden, aber es gab über das gesamte Spektrum doch einen Konsens – dass die Themen Verkehr und bezahlbares Wohnen an erster Stelle stehen. Aber auch die sehr hohe Zufriedenheit in der Stadt könnte eine Rolle spielen – mehr als 90 Prozent.

Sie spielen auf die Umfrage der Stadt an.

Das sind Traumwerte, gerade wenn man an die Lage in den 1990er Jahren denkt, als Potsdam schrumpfte und als „Hauptstadt des Jammerossis“ galt.

Zufriedene Menschen gehen nicht wählen?

Das hat nichts mit Apathie zu tun. Sie haben eher das Gefühl: Ich muss mich nicht einmischen, ich bin eigentlich zufrieden damit, wie es läuft. Und wenn sie sich engagieren, dann eher im Kiez. Das ist überall in der Stadt zu beobachten: Es gibt neue Stadtteilinitiativen zum Beispiel in Babelsberg, im Kirchsteigfeld, im Bornstedter Feld. Die haben mit Parteien oder offiziellen Strukturen nichts zu tun.

Haben die Menschen das Vertrauen in die Kraft von Politik verloren?

Auf Bundesebene ist das sicher so, auf kommunaler Ebene sehe ich das nicht. Obwohl es auch hier einen Affekt gibt gegen die zu lange SPD-Regierung. 

Was muss passieren, damit sich wieder mehr Nichtwähler angesprochen fühlen?

Das ist eine gute Frage. Bei der Stichwahl wird es nicht gelingen. Ich vermute, da wird die Beteiligung noch einmal sinken.

Warum?

Noch einmal drei Wochen, das ermüdet. Ich vermute auch, viele Wähler der anderen Kandidaten werden nicht noch einmal wählen gehen, weil ihnen beide Kandidaten zu links, zu sozialdemokratisch sind.

Zur Person:

Heinz Kleger, Jahrgang 1952, ist seit 1994 Professor für Politische Theorie an der Universität Potsdam. Er arbeitete von 2005 bis 2007 am Projekt "Bürgerkommune und Bürgerhaushalt" mit der Stadtverwaltung und ist Initiator des Neuen Potsdamer Toleranzedikts.

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