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Landeshauptstadt: Inszenierter Volkszorn am „weißen Haus“

Die Militärmissionen der drei Westmächte in Potsdam – eine Spurensuche

Die Militärmissionen der drei Westmächte in Potsdam – eine Spurensuche Von Erhart Hohenstein An einem Julitag des Jahres 1958 versammelte sich eine Menschenmenge vor dem Haus Geschwister-Scholl-Straße 31 a. Das weiß verputzte Gebäude bildete damals den Eingang zum Gelände der britischen Militärmission. Die von der SED-Bezirksleitung gezielt vorbereitete Demonstration richtete sich gegen das Eingreifen amerikanischer und britischer Truppen in den Bürgerkrieg im Libanon. Tomaten, Eier, Tintenfässer flogen, dann auch Steine Auf die Fassade wurde eine Losung gemalt, deren Reste noch heute zu erkennen sind. Ein Auto wurde demoliert und der Wachoffizier Chris Hallett, der sich dem inszenierten „Volkszorn“ entgegenstellte, durch die Würfe verletzt. Der Major ließ sich danach am „weißen Haus“ vor dem verbeulten Wagen fotografieren. Die Aufnahme hat sich erhalten und wird in der Ausstellung „Mission erfüllt – die militärischen Verbindungsmissionen der Westmächte in Potsdam von 1946 bis 1990“ gezeigt, die im Berliner Alliiertenmuseum eröffnet wurde. Sie spiegelt die Tätigkeit der Missionen aus westalliierter Sicht auf interessante Weise wieder. Kaum recherchiert hat Kurator Bernd von Kostka dagegen, wie die Potsdamer mit den Missionen lebten. Das beginnt mit der unbefriedigend beantworteten Frage, warum die Westmächte 1946 als Sitz dafür nicht Berlin-Karlshorst, sondern die Stadt an der Havel auswählten. In der Regel wurden die Verbindungsmissionen beim Hauptquartier angesiedelt. Stadthistoriker Hartmut Knitter geht davon aus, dass sich das eigentliche Hauptquartier der Sowjets unmittelbar nach dem Krieg in Potsdam befand. Dafür sprechen die Einrichtung der Geheimdienstzentrale und des Sowjetischen Militärtribunals im Villenviertel am Neuen Garten, aber auch eines Standes- und eines Meldeamtes in der Hegelallee, wie es sie in anderen Garnisonen nicht gab. Umzug in die Seestraße In der Ausstellung und im Katalog dazu sind Villen am Lehnitzsee für die Amerikaner, in der Seestraße 35 - 37 (heute von Wolfgang Joop genutzt) für die Briten und in der Seestraße 41 (Botschaftsresidenz Ecuadors) für die Franzosen als Standorte genannt. Aber nur für die US-Mission trifft dies von Anfang an zu. Die Briten nutzten zuerst das Grundstück Geschwister-Scholl-Straße 31, dessen Hinterland sich weit in den Werderschen Weg hineinzieht. Die Franzosen saßen nicht weit entfernt davon in den Villen Geschwister-Scholl-Straße 47 - 49. Frühestes Jahr des Umzugs in die Seestraße ist 1958. Nach den Krawallen im selben Jahr forderten die Engländer Schadenersatz für die Beschädigungen (der von der DDR auch bezahlt wurde) und ein neues Quartier. Letzterem schlossen sich die Franzosen an. Allerdings glauben sich ehemalige Studenten der Pädagogischen Hochschule zu erinnern, dass sie noch bis Anfang der 60er Jahre (Kuba-Krise) für Demos in der Geschwister-Scholl-Straße rekrutiert wurden. Der Umzugstermin ließe sich weiter präzisieren, wenn die Chronik des „Hauses der Lehrer“ wieder aufgefunden würde. Dieses Kulturhaus musste nämlich der französischen Militärmission Platz machen und von der Seestraße 41 in die 45 umziehen. Die Franzosen, deren Regierung eine eigenständige Außenpolitik betrieb, waren von den organisierten Demonstrationen nicht betroffen, bei Protesten vor der amerikanischen Mission am Lehnitzssee wurden Beschädigungen oder Übergriffe auf das Personal strikt unterbunden. Dies erklärte PNN gegenüber Oberstleutnant Hans-Dieter Behrendt, der damals für die Passkontrolle an 13 Grenzübergangsstellen zu Westberlin verantwortlich war und einen guten Einblick in die gegen die Missionen gerichteten Aktivitäten hatte. (Behrendt hat nach der Wende ein Buch „Im Schatten der Agentenbrücke“ über die Glienicker Bücke veröffentlicht.) Spionage nach Regeln Damit erhebt sich die Frage, wie haben die sowjetischen Besatzungstruppen und die DDR-Behörden auf die Tätigkeit der westlichen Militärmissionen reagiert? Sie waren 1946 in Potsdam installiert worden, um die Kontakte zu den sowjetischen Verbündeten zu pflegen, Probleme in den Beziehungen zu klären, Kriegsgefangene in ihre Heimat zurückzuführen und in Ostdeutschland lebende Landsleute zu vertreten – betrieben aber ab 1949 zunehmend und dann fast ausschließlich Militärspionage. Der Oberbefehlshaber der in Deutschland stationierten sowjetischen Truppen, Marschall Koschewoj, erklärte dazu 1969, die Missionsmitarbeiter müssten nun mal „Beobachtungsaufgaben erfüllen, was sie auf taktische und taktvolle Weise und mit gutem Benehmen auch unter Einhaltung der Regeln“ tun könnten. Dem SED-Regime und seiner 1955 von den Sowjets mit der Überwachung betrauten Stasi, die ihr eigenes Volk hinter Mauer und Stacheldraht eingesperrt hatten, war die den Missionsmitgliedern zugestandene Bewegungsfreiheit unerträglich, die sie durchaus richtig als Einschränkung der staatlichen Souveränität werteten. Sie erklärten ein Fünftel des DDR-Territoriums zum Sperrgebiet, sperrten andere Gebiete zeitweilig, stellten Tausende Durchfahrtverbote für die Missionen auf, verfolgten jedes ihrer Fahrzeuge, blockierten und rammten sie durch Panzer und Lkw, nahmen die Insassen fest und übergaben sie an die ebenfalls in Potsdam untergebrachte Abteilung für Außenbeziehungen der GSSD („SERB“). Oft nahmen sie schwere Unfälle bewusst in Kauf, wie in der Ausstellung durch eine Zuarbeit der Birthler-Behörde für den Tod des französischen Oberstabsfeldwebels Phillippe Mariotti am 22. März 1984 nachgewiesen wird. Zuflucht Suchende abgewiesen Für die Standorte in Potsdam wurde eine fast lückenlose Überwachung der Aktivitäten gesichert. Der so genannte „Missionsschutz“ der Volkspolizei hatte vor den Eingängen Wachhäuschen aufgestellt. Mehrfach wurden Bürger daran gehindert, die Zäune zu überklettern und sich unter die Obhut der Missionen zu stellen. Das hätte auch nichts gebracht. Einige Fluchtwillige erreichten rudernd oder schwimmend über den Heiligen See die Hintereingänge, wurden aber abgewiesen. Die Missionsmitglieder, die, so klar muss man es sagen, keine humanitären Aufgaben zu erfüllen hatten, wollten ihre Hauptaufgabe, die militärische Aufklärung, nicht durch „Zwischenfälle“ erschweren. Selbst als ein aus der US-Armee desertierter, in Langerwisch lebender Soldat, der in seine Heimat zurückwollte, die amerikanische Mission erreichte, wurde er auf Forderung der Sowjets an das Volkspolizei-Kreisamt überstellt. Dort musste er einen förmlichen Ausreiseantrag einreichen. Bis darüber entschieden war, konnten die Dorfbewohner den nun wieder als GI uniformierten Mann weiter morgens beim Bäcker Schrippen kaufen sehen. Mehr tragisch als komisch war das Schicksal einer Gruppe von ortsunkundigen Flüchtlingen aus Sachsen, die über den See auf die über den Missionsgebäuden gehissten englischen und französischen Fahnen zuschwammen. Dort musste schon der Westen sein! Statt in der Freiheit endete ihre Flucht mit Festnahme und Gefängnisstrafen. Status und Aufgaben der Missionen bestimmten auch ihr Verhältnis zur Zivilbevölkerung, mit der sie Kontakte mieden. 1999 erreichten die PNN die Anfrage eines amerikanischen Missionskraftfahrers nach einer Freundin, die er in den 50er Jahren in Potsdam hatte. Das dürfte aber eine Ausnahme gewesen sein. Ihrerseits sprachen die Einheimischen die westlichen Offiziere, die hin und wieder mit ihrer Familie durch die Innenstadt bummelten, kaum einmal an. Stasi auf dem Marmorpalais Dazu hatten sie allen Grund, denn die Staatssicherheit war fast über jeden Schritt der Missionsangehörigen informiert. Dazu unterhielt sie in Potsdam mehrere Beobachtungspunkte, einen davon sogar in der Kuppel des Marmorpalais im Neuen Garten. Die von der Hauptabteilung VIII, Abteilung 5, für die Observation gebildete Zentrale befand sich in einer Villa in der Beyerstraße. Schon wenn Missionsfahrzeuge die ihnen als einzigen Übergangspunkt von und nach Westberlin zugewiesene Glienicker Brücke passierten, wo die Pässe kontrolliert wurden, oder wenn sie die Missiongelände verließen, lief in der Beyerstraße eine Meldung ein. Von hier wurde dann ein Pkw zur Verfolgung geschickt. Um die Nachteile gegenüber den schnelleren Westwagen auszugleichen, standen hochgerüstete EMW (aus dem einst zu BMW gehörenden Eisenacher Motorenwerken), nach anderen Angaben auch westdeutsche Fabrikate zur Verfügung. Wurde eine Gruppe bei verbotenen Aktivitäten, beispielsweise der Einfahrt in ein Sperrgebiet, gestoppt, mussten die Stasileute das sowjetische SERB-Büro heranholen, das die westlichen Offiziere dann mitnahm. Noch heute klingt der Frust durch, wenn ein ehemaliger Stasi-Angehöriger erklärt, die Festgenommenen seien „nach einem freundschaftlichen Gespräch mit viel Wodka“ meist schnell wieder auf freien Fuß gesetzt worden. Während die Stasi jede Beobachtung an die Geheimdienstzentrale am Neuen Garten weitergeben musste, sei sie selbst über Absprachen zwischen den Alliierten ungenügend informiert worden. Der Tod des besten Mannes Natürlich befürchtete die sowjetische Seite, dass sie bei allzu repressivem Vorgehen mit Gegenmaßnahmen für ihre eigenen, in Westdeutschland spionierenden Militärmissionen rechnen musste. „Wodkaselig“ ging es bei den Zwischenfällen jedoch keineswegs immer zu. Am 24. März 1985 wurde US-Major Arthur „Nick“ Nicholson beim Versuch, in eine Kaserne einzudringen und den neuesten sowjetischen Panzer T 80 zu fotografieren, bei Techentin nahe Ludwigslust (Mecklenburg) von einem Wachposten erschossen. Die in diesem Fall für die Ausstellung im Alliiertenmuseum sehr gründlich recherchierten Umstände lassen kaum einen Zweifel zu, dass damit ein Exempel statuiert werden sollte. Schon einige Jahre vorher hatte ein Doktorand der Juristischen Hochschule der Stasi in Potsdam-Golm in seiner Dissertation über die Personalstruktur der Militärmissionen Nicholson als erfolgreichsten (und damit gefährlichsten) Spion klassifiziert. Der Draufgänger, seit 1982 in Potsdam, beachtete kein Verbotsschild, stellte sein Fahrzeug getarnt in Manövergebieten ab und stieg über Kasernenmauern. In der Silvesternacht 1984 gelang ihm ebenfalls in Techentin der Coup, an den feiernden Soldaten vorbei in eine Werkhalle einzudringen und dort erstmals das Innere eines modernen russischen Panzers zu fotografieren. Dieser Erfolg wurde in der Potsdamer Militärmission überschwänglich gefeiert – und von einem für den KGB arbeitenden amerikanischen Offizier nach Moskau gemeldet! Damit war für die Sowjets offensichtlich das Maß voll. Der Tod ihres besten Mannes, dessen Leichnam tags darauf auf der Glienicker Brücke an sie übergeben wurde, erbitterte die Amerikaner aufs Äußerste. Mindestens ein Jahr lang, erinnert sich Oberstleutnant Behrendt, herrschte „Eiszeit“. Die westlichen Missionen luden die Sowjets zu keinem ihrer traditionellen Feiertage und Empfänge mehr ein und folgten auch keiner Einladung der Gegenseite. Auf dem Gelände am Lehnitzsee gaben sie einem Gebäude den Namen „Nicks Villa“. Vier Jahre später spielte 1989 Nicholsons Erschießung sogar auf dem Moskauer Gipfeltreffen zwischen Reagan und Gorbatschow eine Rolle. Dort zog eine offizielle Entschuldigung des sowjetischen Verteidigungsministers Jasow bei seinem US-Amtskollegen Carlucci einen Schlussstrich unter die Angelegenheit. Dem Frieden gedient In der Rückschau sind sich die Aufklärer aus den Missionen mit ihren Jägern von der Stasi überraschend einig, dass sie im kalten Krieg einen wichtigen Beitrag zur Erhaltung des Friedens geleistet haben. Durch die über die in der DDR stationierten sowjetischen Truppen gesammelten Informationen sei die Gefahr eines Überraschungsangriffs weitgehend ausgeschlossen worden.

Erhart Hohenstein

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