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Inklusion in Potsdam: Zwischen Einschränkung und Mehrwert

Die Inklusionstage zeigen bis Sonntag, wie Menschen mit Behinderung mehr Teilhabe ermöglicht wird.

Von Birte Förster

Potsdam - Den Weg ins Rathaus finden die meisten Menschen leicht über die große breite Treppe vor dem Eingang. Wer aber keine Stufen steigen kann, muss den Umweg nehmen. Über einen langen Gang an der Seite und einen Fahrstuhl gelangen Rollstuhlfahrer ins Gebäude. Alexander Wietschel, Mitglied im neuen Beirat für Menschen mit Behinderung, hält das für keine ideale Lösung. Der barrierefreie Zugang müsse „Teil des Gesamtarrangements“ des Eingangs sein, sagt er. Und dürfe „nicht über 24 Ecken durch den Hinterhof“ führen.

Im Rahmen der Potsdamer Inklusionstage, die bis Sonntag stattfinden, richten die Veranstalter – Christoph Richter, Beauftragter für Menschen mit Behinderung in Potsdam, sowie das Haus der Begegnung – den Fokus auf die Teilhabe von Menschen mit Behinderung. Es gibt diverse Veranstaltungen, sowohl sportliche als auch kulturelle, für Menschen mit verschiedenen Einschränkungen.

Ziel der Inklusion ist laut Wietschel das Miteinanderleben. Es gehe darum, zu verstehen, was der andere wirklich brauche und was ihn hemme. In puncto Barrierefreiheit müsse in Potsdam noch einiges getan werden. Dennoch seien bereits Fortschritte erzielt worden, sagt Wietschel und nennt als positives Beispiel, dass man ab dem Campus Jungfernsee mit der Tram barrierefrei bis zum Hauptbahnhof komme. In der Inklusionsdebatte sieht Wietschel aber noch ein anderes Problem. Es müsse ein präziser gemeinsamer Standard festgelegt werden, sagt er. Was für die einen eine wichtige Hilfestellung ist, könne für andere zum Hindernis werden – wie Markierungsstreifen für Blinde, die Senioren gelegentlich als störend empfinden.

In Potsdam ist die Inklusion noch lange nicht am Ende

Dass in Potsdam der Inklusionsprozess noch lange nicht am Ende ist, sieht auch Christoph Richter. „Es gibt in allen Handlungsfeldern noch Handlungsbedarf“, sagt er. Das Thema Inklusion werde die Stadt noch in den nächsten Jahren beschäftigen. Um Potsdam in diesem Sinne optimal zu gestalten, sei es wichtig, die Menschen mit allen Behinderungen einzubeziehen. Viele Haltestellen in der Stadt seien noch nicht barrierefrei, etwa am Nauener Tor und in der Brandenburger Straße, so Richter.

Ein wichtiger Punkt seien brauchbare Informationen. Gute Ansätze gebe es bereits: An einigen Straßenbahnhaltestellen wird angesagt, wo die Bahn hinfährt. Die Stadt hat außerdem begonnen, amtliche Dokumente und Briefe sowie Steuerbescheide mit zusätzlichen Erläuterungen in leichter Sprache zu verfassen. „Das Ziel sollte sein, solche Ansätze auf alle Bereiche zu übertragen, um Selbstständigkeit und Teilhabe von Menschen mit Behinderung zu fördern“, sagt Richter. Insbesondere dort, wo Menschen mit Behinderung Leistungen beantragen können, müsse es umgesetzt werden. Auch in Krankenhäusern und Arztpraxen könne die vereinfachte Sprache nicht nur Menschen mit Behinderungen helfen Diagnosen besser zu verstehen. „Damit man nicht seinen Betreuer fragen muss“, betont Richter.

Ein weiteres Problemfeld in der Inklusion sind die Schulen. Darin, dass es vielerorts an Personal mangelt, sind sich Alexander Wietschel und Christoph Richter einig. „Nur eine Förderschule zu schließen ist keine Inklusion“, bringt Richter es auf den Punkt. Zusätzlich zu mehr Fachpersonal bräuchten die Regelschulen nun auch mehr Räume, die für die individuelle Einzelbetreuung und Förderung genutzt werden könnten.

„Es wäre dumm von der Gesellschaft, sich diesen Mehrwert entgehen zu lassen"

Wie Inklusion bislang an den Potsdamer Schulen umgesetzt wird, erlebt auch Markus Kobler, Sprecher des Kreiselternrats Potsdam. Seit Herbst vergangenen Jahres wird an elf Potsdamer Schulen das Inklusionskonzept umgesetzt. Mindestens zwei Lehrkräfte brauche man pro Klasse, „wenn man Inklusion wirklich leben will“, sagt Kobler. Das sei derzeit aber nicht überall die Regel.

Zwar ist Kobler zufolge bereits viel für die Barrierefreiheit getan worden. „Aber das ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein.“ Nur mit zusätzlichem Fachpersonal könne Inklusion gelingen, ohne dass sie „auf dem Rücken der anderen Schüler stattfindet“. Denn die Einbindung von Schülern mit Behinderung dürfe nicht zu Lasten des Unterrichts und zum Nachteil für leistungsstärkere Schüler erfolgen. Während bei Schülern mit körperlichen Einschränkungen die Inklusion über spezielles Mobiliar leichter umzusetzen sei, bräuchten Schüler mit geistigen oder sozialen Einschränkungen eine besondere Förderung. Sie zu integrieren, sei derzeit in Potsdam nicht möglich, so Kobler.

Bei aller Beschäftigung mit den Einschränkungen, die Menschen mit Behinderung erleben, betont Alexander Wietschel auch Vorteile nicht zu vergessen. Wichtig sei zu sehen, welche Inselbegabungen diese Menschen etwa im Falle von Autismus, haben. „Es wäre dumm von der Gesellschaft, sich diesen Mehrwert entgehen zu lassen.“

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