zum Hauptinhalt
Vorfreude. „Women in Exile“-Gründungsmitglied Elizabeth Ngari (links) und Halima Farah mit Fahrerin Joanna Nelles (hinten). In Bussen werden die Frauen und ihre Unterstützerinnen durch Deutschland fahren, über die Rechte von Frauen aufklären und gegen schwierige Bedingungen in Flüchtlingslagern demonstrieren.

© Sebastian Gabsch

Initiative gegen Diskriminierung: Aktionstour für Flüchtlingsfrauen in Potsdam

Von Potsdam aus startet eine bundesweite Aktion, bei der Flüchtlingsfrauen ihre Rechte kennen lernen sollen.

Potsdam/Babelsberg - Besuch war unerwünscht, Spaziergänge nicht gern gesehen, einen Deutschkurs bekam sie nicht. „Ich habe mich isoliert gefühlt“, sagt Halima Farah über ihre Zeit in einem Teltower Flüchtlingsheim. Als Frauen der Organisation „Women in Exile“ (zu deutsch: Frauen im Exil) in die Unterkunft kamen und in einem Workshop aufklärten, welche Rechte und Möglichkeiten die Flüchtlingsfrauen haben, änderte sich dies: Fortan ging Farah zu Treffen der Frauenrechtlerinnen, schloss Freundschaften und fühlte sich endlich sozial angebunden in Deutschland.

Am gestrigen Montag war Farah eine von 26 Flüchtlingsfrauen, die von Potsdam aus auf eine bundesweite Aktionstour aufgebrochen sind. Die Tour mit dem Motto „Women Breaking Borders“ (Frauen durchbrechen Grenzen) wird ebenfalls von der „Women in Exile“-Initiative organisiert, die speziell für die Rechte von Frauen und Kindern kämpft. „Viele Frauen machen die Erfahrung, dass sie doppelt diskriminiert werden: Wegen ihrer Herkunft und als Frau“, erklärt Elizabeth Ngari, eine der Hauptorganisatorinnen der Bustour, am Startpunkt der Tour in der Rudolf-Breitscheid-Straße. Sie trägt ein oranges Shirt, hinten steht: „Keine Frauen in Lagern!“, die Schrift blättert an einigen Stellen bereits ab. Vor 20 Jahren kam Ngari aus Kenia nach Deutschland, 2002 gründete sie  gemeinsam mit anderen Flüchtlingsfrauen in Brandenburg „Women in Exile“. Das Motto: „Flüchtlingsfrauen werden laut.“

„Viele Frauen in den Unterkünften kämpfen mit psychischen Problemen"

Die Bustour ist bereits die dritte dieser Art. Sie wird durch Spenden finanziert und führt speziell in den Süden Deutschlands: Die Frauen und gut 20 Kinder fahren nach Magdeburg, weiter nach Leipzig, Nürnberg, Bamberg, Regensburg, Denkendorf, München, Freiburg, Basel und Frankfurt am Main. „Die Situation für Flüchtlinge ist in Süddeutschland besonders schlimm. Seehofer versucht, die Situation noch schlimmer zu machen“, findet Ngari.

Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) hatte Anfang des Monats einen 63-Punkte Plan zur Migration vorgestellt. Darin geht es unter anderem um mehr Sanktionen, auch sollen Flüchtlinge ohne Papiere oder aus als sicher eingestuften Herkunftsländern schneller wieder abgeschoben werden können. Die Union hat sich außerdem nach einem wochenlangen internen Streit, der mit einer Rücktrittsdrohung Seehofers eskalierte, auf sogenannte Transitzentren geeinigt, von denen aus Flüchtlinge, die zuvor schon in anderen Ländern gemeldet waren, schneller zurückgeschickt werden sollen.

„Viele Frauen in den Unterkünften kämpfen mit psychischen Problemen. Der Weg nach Deutschland ist schlimm genug, es gibt Tote und Vergewaltigungen. Und dann sind sie hier und sollen wieder weggeschickt werden“, sagt Ngari. Solchen Frauen wollen sie helfen, ihnen Mut machen. In jeder Stadt sind Workshops mit geflüchteten Frauen oder Demonstrationen vorgesehen, im baden-württembergischen Denkendorf, in Regensburg, Bamberg und in München fahren sie direkt ins Lager, um mit Frauen zu sprechen.

Isolierung in der Gemeinschaftsunterkunft

Vor Ort kommen weitere Flüchtlingsfrauen und Unterstützer der „Women in Exile“-Initiative hinzu. „Bei den Workshops geht es darum, die Handlungsfähigkeit der Frauen zu stärken. Und auch darum, dass wir zusammen ganz viel erreichen können.“ Gleichzeitig kämpft die Organisation „Women in Exile“ gegen Diskriminierung und Sexismus. „Polizeieinsätze mitten in der Nacht, keine Schule oder Arbeitserlaubnis, Gutscheine statt Bargeld, ein Ausharren mit ungewissem Ende – all dies bietet Nährboden für sexualisierte Gewalt“, sagt Ngari. In Gemeinschaftsunterkünften würden Flüchtlinge von der Gesellschaft isoliert. Daher sei die Forderung der Frauen klar: Sie wollen keine Frauen und Kinder in Lagern, Lager sollten abgeschafft werden.

Die Workshops finden meist an zentralen Orten statt, um eine große Öffentlichkeit zu erreichen. „Wir wollen zeigen, was die Leute dort täglich erleben“, sagt Ngari und Farah ergänzt: „Auch die Regierung muss wissen, was wir brauchen, damit eine Integration gelingt.“ Sie selbst kam vor fünf Jahren aus Somalia nach Deutschland. Zuvor war sie mit ihrem Ehemann von Somalia aus über Äthiopien, den Sudan, Libyen und Italien nach Deutschland geflüchtet. Zwei Jahre waren sie unterwegs. „Ich wollte wirklich gerne Zugang zu Bildung haben“, erinnert sich die 29-Jährige an ihre Zeit im Teltower Flüchtlingsheim. Erst durch „Women in Exile“ erhielt sie anwaltlichen Rat. Mittlerweile lebt sie mit ihrer Familie in einer Wohnung in Stahnsdorf und nimmt am Deutschunterricht in einer Sprachschule in Teltow teil.

Am 5. August sind die Frauen, die hauptsächlich aus Brandenburg und Berlin stammen, zurück in Potsdam und präsentieren ihre Ergebnisse bei einer Abschlussveranstaltung mit Abendessen. Farah hat bereits bei einem dreitägigen Workshop in Hamburg ausgeholfen, nun will sie die ganze Tour dabei sein. Ihre fünf und vier Jahre alten Töchter kommen ebenfalls mit, der zweijährige Sohn bleibt beim Vater. „Nachdem mir geholfen wurde, will ich nun auch anderen helfen“, sagt sie über ihr Engagement.

+++

Lesen Sie weiter:

Interview: Frauenzentrum-Leiterin Heiderose Gerber spricht im PNN-Interview über besondere Bedürfnisse von geflüchteten Frauen.

Bericht: Der Internationale Bund in Potsdam hat eine Ausschreibung gewonnen. Damit ist die Organisation der Ansprechpartner für Geflüchtete im Bereich der sozialen Beratung und Begleitung außerhalb der Gemeinschaftsunterkünfte.

Anne-Kathrin Fischer

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false