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Landeshauptstadt: In der Vergangenheit bohren

Wie war Potsdams Klima vor 1000 Jahren? Ingo Heinrich vom Geoforschungszentrum will es herausfinden

Das Geräusch erinnert an einen Specht. Ingo Heinrich steht auf dem Telegrafenberg vor einer 100 Jahre alten Kiefer und versenkt einen langen, dünnen Bohrer in den mächtigen Stamm. Umdrehung für Umdrehung dringt er vor, dann setzt er einen Extraktor an, einen langen Metallstab, um mit diesem etwas aus dem Baum zu ziehen, was einem 20 Zentimeter langen Wurm nicht unähnlich sieht: einen hölzernen Bohrkern. Deutlich sind die Jahresringe zu erkennen, bestehend jeweils aus einem hellen Abschnitt, gewachsen im Frühjahr des jeweiligen Jahres, und einem dunklen, dichteren Abschnitt, gewachsen in den Sommermonaten. 20 Kiefern hat Heinrich auf dem Telegrafenberg untersucht – mit einer neuartigen Methode, die der Klimaforschung völlig neue Erkenntnisse ermöglichen wird.

Jahresringe – darauf haben es die Dendrochronologen für gewöhnlich abgesehen, um das Klima vergangener Jahrhunderte zu rekonstruieren. Der 45-jährige Wissenschaftler am Geoforschungszentrum (GFZ) dringt nun jedoch noch eine Ebene tiefer vor. Er betrachtet mittels einer von ihm entwickelten Methode unter Verwendung eines Lasermikroskops die einzelnen Zellen der Jahresringe. Damit wird es erstmals möglich, auch die Bäume gemäßigter Klimazonen wie etwa Arizona oder Mitteleuropa für Klimauntersuchung heranzuziehen. Denn was wenige wissen: Die Jahresring-Untersuchungen, die die Warner vor einer Klimaerwärmung – etwa in der berühmten IPPC-Studie (Intergovernmental Panel on Climate Change) der Vereinten Nationen – als Beleg benutzen, stammen von Bäumen in extremen, kalten Regionen wie den Alpen oder Skandinavien. Denn die Regel, dicker Jahresring gleich viel Baumwachstum gleich warmes Jahr, „gilt nur dort, wo die Bäume immer frieren“, erklärt der promovierte Geoökologe. Also beispielsweise nicht in der Region um Berlin.

Bei den Holzzellen gilt die Regel jedoch sehr wohl, die Querschnittsfläche einer Holzzelle wird größer, wenn die Wachstumsbedingungen besser sind. „Es gibt einen Link zwischen der Größe der Zelle und dem Klima“, sagt Heinrich, der in Bergholz-Rehbrücke wohnt. Zudem hat die Betrachtung der Jahresringzellen gegenüber der Analyse der Jahresringe einen großen, wissenschaftlichen Vorteil: Bei Jahresringen existiert ein Alterstrend, das heißt, je älter der Baum ist, umso dünner sind seine Jahresringe. Der schlichte Grund: Alte Bäume wachsen langsamer. Bei der Rekonstruierung früherer Wetterverhältnisse muss dieser Alterstrend statistisch wieder rausgerechnet werden und das ist „eine Quelle für Ungenauigkeiten“, sagt Heinrich. Schließlich wollen ja insbesondere Vertreter der Klimaerwärmungstheorie nachweisen, dass die Temperatur ansteigt, die Jahresringe also dicker werden. Da ist es problematisch, wenn die Jahresringe des steigenden Baumalters wegen in der Realität immer dünner werden, je näher man sich der Rinde des Baumes nähert, wie Heinrich anhand seines 20 Zentimeter langen Bohrkerns zeigt.

Zwei Vorteile hatte die Untersuchung der Kiefern des Telegrafenbergs durch Heinrich und sein Team: Die Bäume stehen vor der Haustür und die Forschungsergebnisse über die Größe der Zellen konnten mit den Daten der nahen Sekularstation verglichen werden. Seit 1893 werden auf dem Telegrafenberg Wetterdaten ununterbrochen und auf die gleiche Art und Weise gemessen. Entstanden ist die älteste und bedeutendste Wetterdaten-Messreihe der Welt.

Heinrich und die Doktorandin Wei Liang konnten also die eigenen Temperatur-Annahmen, die sie anhand der Baumzellen für die Jahre zwischen 1900 und 2010 ermittelten, mit den tatsächlichen Temperaturen dieser Zeit vergleichen. Das Ergebnis: Die Kurve, die die Stationswerte ergeben, stimmen mit Heinrichs Kurve verblüffend gut überein. Heinrichs Baumzellen-Methode funktioniert. Die nächsten drei Jahre will Heinrich nun nutzen, um jahrhundertealte Dachbalken zu untersuchen, die er von Archäologen bekommen hat. Ziel ist eine dendrochronologische Temperaturreihe für die letzten 1000 Jahre in Mitteleuropa. Da gehts dann um wirklich große Fragen: Wie warm war die mittelalterliche Warmzeit zwischen den Jahren 1000 und 1300 wirklich? War es gar wärmer als heute? Befinden wir uns derzeit außerhalb oder innerhalb der natürlichen Schwankungsbreite der letzten 1000 Jahre? Heinrich rechnet damit, dass sich die Kollegen vom Potsdam Institut für Klimafolgenforschung (PIK) sehr für seine Forschung interessieren werden.

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