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Landeshauptstadt: „Im Land wird Verantwortung abgewälzt“ Flüchtlingsrat: Land stellt zu wenig Sozialarbeiter

Frau Jaschke, in Potsdam und Potsdam-Mittelmark entstehen derzeit viele Initiativen von Menschen, die Flüchtlingen helfen wollen. Nehmen Sie auch ein großes bürgerschaftliches Engagement wahr?

Frau Jaschke, in Potsdam und Potsdam-Mittelmark entstehen derzeit viele Initiativen von Menschen, die Flüchtlingen helfen wollen. Nehmen Sie auch ein großes bürgerschaftliches Engagement wahr?

Es ist toll, dass so viel passiert. Es gibt sehr viele engagierte Menschen, die Flüchtlinge unterstützen wollen. Aber das reicht nicht.

Müssten noch mehr Menschen helfen?

Nein, darum geht es nicht. In Brandenburger Unterkünften kommt auf 120 Flüchtlinge ein Sozialarbeiter. Dieser Personalschlüssel ist viel zu niedrig. Damit kann man keine vernünftige Betreuung gewährleisten. Auch die überregionalen Asylverfahrenberatungsstellen sind völlig überlaufen. Dieser Mangel kann nicht mit Ehrenamtlern ausgeglichen werden.

Übernehmen engagierte Bürger Ihrer Meinung also zu viel Verantwortung?

Ich kenne eine Ehrenamtliche, die regelmäßig traumatisierte Flüchtlinge zu Ämtern und Ärzten begleitet und allein für die Fahrtkosten in den letzten Monaten insgesamt 500 Euro bezahlt hat. Damit kann man doch Ehrenamtler nicht allein lassen.

Lässt sich der Fall denn verallgemeinern?

Anstatt die bestehenden professionellen Strukturen zu erweitern, wird immer öfter Verantwortung für die Versorgung der Flüchtlinge auf Ehrenamtliche abgewälzt. Der Trend, den ich sehe, ist, dass sich das Land und die Landkreise auf dem Engagement der Bürger ausruhen. Man stiehlt sich damit aus der Verantwortung.

In einem ehemaligen Bundeswehrwohnheim in Ferch soll ab Mitte November ein zweites Erstaufnahmelager in Brandenburg entstehen. Ist das nicht eine Entlastung für das bislang einzige in Eisenhüttenstadt?

In Eisenhüttenstadt sind derzeit 1300 bis 1400 Flüchtlinge untergebracht. Das Aufnahmelager ist eigentlich für 500 bis 800 Menschen geplant gewesen. Es leben dort also mehr als doppelt so viele Menschen wie vorgesehen. Und in Ferch sollen erst mal 40 Flüchtlinge ankommen.

Ein Tropfen auf den heißen Stein.

Das ist gar kein Tropfen.

Später sollen in Ferch 300 Menschen unterkommen.

Wie das gehen soll, ist völlig unklar. In dem Heim haben 50 Bundeswehrsoldaten gelebt, wie sollen allein platzmäßig so viele Flüchtlinge untergebracht werden? Auch die Versorgung ist ungeklärt: Eine Arzthelferin und drei Sozialarbeiter wären viel zu wenig. Auch brauchen sie eine unabhängige Asylberatung, Zugang zu Rechtsanwälten, Ärzte, Psychologen, Deutschkurse. Wie wird das sichergestellt? Ein Viertel der Flüchtlinge sind in der Regel Kinder. Es gibt dort aber keine kindgerechte Unterbringung. Ich habe den Eindruck, dass auch das Innenministerium nicht weiß, wie es das alles regelt.

Wie bewerten Sie den Umgang mit Flüchtlingen in Potsdam?

Potsdam ist ein ausgesprochen positives Beispiel. Die Flüchtlinge in Wohnverbünden unterzubringen wie am Staudenhof und in der Haeckelstraße ist eine tolle Sache. Das hat Modellcharakter. Ich bin allerdings schockiert über die Wiedereröffnung eines Flüchtlingsheims am Lerchensteig. Diese Einrichtung widerspricht völlig dem Integrationskonzept. Bei der Ankündigung, Container aufzustellen, bin ich auch skeptisch. Bislang sind mir noch keine Container bekannt, die eine menschenwürdige Unterbringung garantieren.

Das Gespräch führte Grit Weirauch

Gabi Jaschke ist 53 Jahre alt. Die studierte Historikerin arbeitet seit zwei Jahren beim Flüchtlingsrat Brandenburg. Sie ist im Vorstand des Aktionsbündnisses Brandenburg.

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