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Öffentlich machen. Sexismus darf nicht tabuisiert werden, sagt Gudrun Perko.

© Andreas Klaer

Im Interview: „Der Frauentag ist nicht obsolet“

Die FH-Professorin für Gender und Diversity, Gudrun Perko, spricht im Interview über #MeToo und Sexismus an der Universität.

Frau Perko, ist der Internationale Frauentag ein Relikt, das niemand mehr braucht?

Nein. Der Tag hat nach wie vor eine große Bedeutung und sollte vielleicht sogar eine noch größere Bedeutung haben, weil es um die Rechte von Frauen geht. Der Tag hat sich seit dem ersten Frauentag 1911 sehr verändert. Während der Frauenbewegung in den 70er Jahren stand er im Zeichen des Feminismus, hatte aber auch eine klare identitätspolitische Komponente: Männer waren unerwünscht. Heute dürfen sich alle für die Rechte von Frauen einsetzen. Das finde ich zentral. Der Frauentag ist nicht obsolet, weil nach wie vor Dinge nicht erreicht sind.

Zum Beispiel?

Zum Beispiel Lohngerechtigkeit.

Sie sprechen die Gender Pay Gap an.

Die Forderung nach gleichem Lohn gibt es schon lange. Es gibt überhaupt keine logische Erklärung, warum Frauen in gleichen Berufen wie Männer zum Teil weniger verdienen sollten. Das dockt an eine alte Vorstellung davon an, dass Frauen, wenn sie Geld verdienen, nur Beigeld für die Familie verdienen und der Rest des Geldes vom Mann kommt. Dabei hat sich das völlig verändert.

Morgen halten Sie im Autonomen Frauenzentrum einen Vortrag über Sexismus. Wie definieren sie ihn?

Sexismus ist Diskriminierung im Alltag und strukturelle Diskriminierung gegen Personen qua ihres Geschlechts. Damit verbunden ist eine Herabwürdigung und Entwürdigung. Auch deshalb ist der Frauentag wichtig: Die #MeToo-Bewegung zeigt, dass es den Tag als einen Ausdruck der Forderung gleicher Rechte und Chancengleichheit braucht.

Was halten Sie von #MeToo – Sie haben sich dazu bisher nicht öffentlich geäußert.

Das ist richtig. Das heißt nicht, dass ich keine Meinung dazu habe. Ich fühlte mich nur nicht aufgefordert, über Social Media meinen Beitrag zu „Was ist mir passiert“? zu leisten.

Warum?

Ich finde die #MeToo-Bewegung sehr wichtig, sie bringt Sexismus in die Öffentlichkeit. Sie macht ein Thema, das ein verschlucktes, manchmal ein tabuisiertes Thema ist, an die Öffentlichkeit und das finde ich richtig klasse. Aber ich habe auch Bedenken dahingehend, dass die Debatte nur bestimmte Frauen betrifft. Zum Beispiel Schauspielerinnen, die bekannt und berühmt sind. Sie haben eine Lobby, sie werden gehört. Wenn wir aber von Sexismus sprechen, dann betrifft das auch die Kassiererin an der Supermarktkasse, Studentinnen oder Lehrlinge. Die haben keine Stimme oder Lobby.

Die Debatte konzentriert sich zu sehr auf öffentliche Personen?

Ich fände es gut, wenn die Debatte weiter ausgeweitet wird. Der Sexismus sollte auch in Bezug auf jene Personen öffentlich werden, die nicht so sehr gehört werden. Natürlich kann sich auch eine Verkäuferin auf Twitter äußern, aber es wird nie so populär werden. Es geht mir also um die Frage, wer hat Fürsprecher und wer nicht. Wichtig ist mir, Sexismus nicht zu individualisieren, sondern es als strukturelle Verankerung zu begreifen und dagegen Maßnahmen zu setzen.

Sie haben Studentinnen angesprochen. Gibt es Sexismus an Universitäten?

Ich gehe davon aus, dass es keinen Ort gibt, an dem es nicht auch Sexismus gibt. Problematisch ist, dass ich nur das mitbekomme, was mir auch erzählt wird. In meiner Zeit als Gleichstellungsbeauftragte an der FH in Potsdam zwischen 2010 und 2014 gab es zwei bis drei Studentinnen, die an mich herangetreten sind. Sie habe ich zu Maßnahmen beraten, die man vornehmen könnte. Das wollten sie aber nicht.

Ist das ein zentrales Problem? Frauen sind in einer schwächeren Position und entscheiden dann gegen sich selbst.

Allgemein würde ich sagen, dass in jeder Institution und in jedem Arbeitsbereich Sexismus immer in eine Machtausübung ist, eingebettet in ein Gewalt- und Herrschaftsverhältnis. Die Frage, welche Rolle und welche Funktion Männer oder Frauen haben und wer über wen herrscht, liegt dem zugrunde. Damit verknüpft ist immer eine Tabuisierung und die Überlegung, ob man als Frau selber Schuld hat.

„Selber Schuld“ ist auch das Motto der Brandenburgischen Frauenwoche.

Und es ist gut gewählt. Denn die Frage, wer mir meine Noten gibt oder ob ich in meiner Karriere weiterkomme, wenn ich nichts sage, hängt damit zusammen. Deshalb wichtig, nicht nur Einzelmaßnahmen zu ergreifen, sondern Sexismus als strukturelles Problem zu sehen. Institutionen müssen sich fragen, was sie anbieten können, damit Sexismus nicht auftritt.

Reicht da eine Gleichstellungsbeauftragte wie an der FH Potsdam?

Das reicht natürlich nicht aus. Es müsste zum Beispiel auf allen Statusebenen Schulungen geben.

Das wäre ja eigentlich einfach zu machen.

Ja. Es wäre einfach, Maßnahmen gegen Sexismus zu etablieren, wenn alle wichtigen Gremien und Ebenen einsehen würden, dass es notwendig ist. Verankerte Diskriminierung in der Gesellschaft aufzubrechen ist aber nicht so einfach.

Sind wir zumindest auf einem guten Weg?

Das ist eine schwere Frage. Wir sind nicht am Anfang, wenn man sich die Geschichte der Frauenbewegung ansieht. Wir sind auch nicht am Anfang, wenn man bedenkt, dass hier Frauen studieren. Wir sind aber noch nicht am Ende, wenn wir uns Themen wie die Chancengleichheit ansehen und auch nicht wenn wir uns Diskriminierungsformen ansehen. Da habe ich eher den Eindruck, die Bemühungen, die es an Unis und Hochschulen gibt, dürfen nicht aufhören. Ich bin kein pessimistischer Mensch, aber ich würde sagen, das Ende ist noch nicht absehbar.

Wie kann man als Frau denn mit Sexismus umgehen?

Wir haben immer wieder viel zu tun, weil wir uns als Frauen sagen müssen, mit uns hat das nichts zu tun. Wir haben keinen Grund eine Schuld zu verinnerlichen.

Haben Sie selbst Erfahrungen mit Sexismus gemacht?

Ich hatte zumeist Erfahrungen verbaler Art. Nachdem ich soziale Arbeit studiert habe, habe ich beschlossen, Philosophie zu studieren. Das war damals unüblich. Ich bin oft von Professoren bei Prüfungen und Seminaren gefragt worden, ob ich mich nicht im Studium geirrt hätte.

Wie haben Sie reagiert?

So, wie ich es heute nicht mehr tun würde. Vielleicht habe ich gelächelt, oder es nicht schlimm gefunden oder mich geärgert, aber auf keinen Fall was gesagt. Das hat sich inzwischen durch die Auseinandersetzung mit der Thematik und dem Älterwerden sehr verändert. Im Laufe der Jahre habe ich dann anders reagiert. Ich halte es für sehr wichtig, so etwas nie nur für sich zu behalten, sondern jegliche Form von Diskriminierung öffentlich zu machen.

Aber wie sollte man unmittelbar reagieren?

Idealerweise im Augenblick, in dem man adäquat antwortet. Aber das schaffe auch ich nicht immer. Ein österreichischer Begriff heißt schmähstarrt sein, also so überrascht, dass man nichts mehr sagen kann. Und dann ärgert man sich vor allem über sich selbst. Ich habe mich sehr oft über mich selbst geärgert, aber man muss eben auch Geduld mit sich haben. Wenn man es nicht geschafft hat, dann versucht man eben das nächste Mal etwas zu sagen.


Gudrun Perko wurde am 16. Dezember 1962 in Knappenberg in Österreich geboren. Perko studierte Soziale Arbeit und Philosophie in Wien. Sie arbeitet seit 2010 an der Potsdamer Fachhochschule als Professorin für Gender, Diversity und Mediation. Vorher war sie unter anderem an der Alice-Salomon-Hochschule und der Technischen Universität in Berlin tätig. 1996 gründete sie das Institut für Wissenschaftscoaching, philosophische Weiterbildung und Mediation. Heute hält sie um 17.30 Uhr im Autonomen Frauenzentrum gemeinsam mit Leah Carola Czollek, Leiterin des Instituts Social Justice und Diversity in Berlin, einen Vortrag zum Thema Sexismus.

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