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Landeshauptstadt: Ikarus aus Bornstedt

Am morgigen Dienstag jährt sich der Todestag von Werner Alfred Pietschker zum 100. Mal

Sie saßen beim Fliegen auf „besseren Gartenstühlen“, erzählt der Stadthistoriker Hartmut Knitter. Keine Kabine schützte vor Wind und Kälte, der Motor hinter ihnen dröhnte. Hinter ihnen? Ja, weiß Knitter, das Flugzeug der Marke Albatros, das Werner Alfred Pietschker am 1. Oktober 1911 steuerte, hatte den Propeller noch am Heck. Zwei Stunden und 19 Minuten war der Bornstedter Flugpionier mit zwei Passagieren an Bord in der Luft: Weltrekord. 1911 war eigentlich das Jahr des Werner Alfred Pietschker, der 24-Jährige stieg in wenigen Monaten vom Anfänger zum Fliegerass auf. Der Shootingstar der Luftfahrt erhielt in dem Jahr überhaupt erst seine Fluglizenz. Sein Pilotenschein trug die Nummer 116. Überraschend gewann er in Berlin-Johannisthal die 5. Herbstflugwoche. Doch es ist auch sein Todesjahr, Pietschker, der Bornstedter Ikarus, stürzte am 15. November 1911 beim Jungfernflug mit einem Eigenbau-Eindecker in Berlin-Johannisthal ab und brach sich dabei das Genick. Am morgigen Dienstag jährt sich sein Todestag zum 100. Mal.

Mit großen Augen verfolgte die Jugend von Bornstedt, was sich da 1909 auf dem Bornstedter Feld tat. Orville Wright, der jüngere der Gebrüder Wright aus Dayton im US-Bundesstaat Ohio, denen 1903 weltweit der erste Motorflug gelang, hatte in Berlin-Tempelhof Schauflüge veranstaltet. Nach Potsdam eingeladen, flog er nun unweit des Ruinenbergs sogar mit einem berühmten Passagier, mit Kronprinz Wilhelm. Orville Wright erreichte mit seinem „Aeroplan“ eine Höhe von 275 Metern und überbot noch seinen erst wenige Tage alten Tempelhofer Weltrekord, als das „Wright Model A“ 172 Meter hoch aufgestiegen war. Die jungen Leute aus der Umgebung sind fasziniert, laufen bisweilen vor Begeisterung in die Startbahn, schildert der Historiker Knitter. In Bornstedt bildet Wright den jungen Paul Engelhard als Pilot aus. Die Orville-Wright- und die Paul-Engelhard-Straße im Entwicklungsgebiet Bornstedter Feld erinnern heute an die ersten Potsdamer Versuche, dem Prinzip „Schwerer als Luft“ zum Durchbruch zu verhelfen. Zu jener Zeit hieß die Devise noch „Leichter als Luft“; am Potsdamer Luftschiffhafen entstand ebenfalls ab 1911 unter der Leitung des Luftschiff-Pioniers Graf Zeppelin eine Luftschiff-Werft.

Am Feldrand in Bornstedt stand auch Werner Alfred Pietschker und verfolgte die Flüge. Sein Vater war Pfarrer in Bornstedt, seine Mutter Käthe Pietschker eine Tochter des berühmten Ingenieurs Werner von Siemens. Der junge Pietschker gab sein Studium an der Technischen Universität in Berlin auf, um sich fortan ganz der Fliegerei und dem Flugzeugbau zu widmen. „Er war ein technisch interessierter Mann“, erläutert der Historiker Knitter. 18 Piloten kämpfen bei der 5. Herbstflugwoche in Johannisthal um den Sieg. Mit seiner Albatros, einer umgebauten Maschine der Gebrüder Wright, liegt der Bornstedter am Ende vorn. 3000 Reichsmark beträgt die stolze Siegprämie, die Werner Alfred Pietschker erhält. Sein Siegflugzeug ist ein Doppeldecker, doch der junge Techniker beginnt, ein eigenes Flugzeug zu konstruieren, mit nur einer Tragfläche und einem vorn am Bug drehenden Rotor. Knitter: „Er wollte technisch neue Wege gehen.“

In Johannisthal siedeln sich in kleinen Hallen mehrere Flugzeugwerke an; sie heißen Albatros, Rumpler, Etrich. Mit einer Etrich-Taube fliegt zu jener Zeit auch die berühmte Fliegerin Mellie Beese, der Knitter zufolge eine „Beziehungskiste“ mit Werner Alfred Pietschker nachgesagt wurde. „Das stimmte aber nicht“, weiß der Historiker Knitter, „sie waren nur sehr befreundet.“ Gemeinsam flogen sie waghalsige Kurven am Himmel. Mellie Beese hatte die Fluglizenz Nr. 115. Knitter zufolge schrieb Mellie Beese, dass Pietschker eine „ungeheure Kurventechnik“ besaß, er drehte die Maschine ruckartig um fast 90 Grad. „Das ist sein Nachteil geworden“, sagt Knitter. Als er am 15. November 1911 mit seinem Eigenbau den ersten Probeflug überhaupt unternahm, probierte er auch gleich „brüske Flugbewegungen“, so Knitter. Die Maschine verlor an Geschwindigkeit, hatte keinen Auftrieb mehr und ging in einen Sturzflug über, aus dem sie sich nicht mehr aufrichtete. Knitter im Fliegerjargon: „Sie ist abgeschmiert.“

Sein Grab fand Werner Alfred Pietschker auf dem Bornstedter Friedhof. „Er ist bereits der 15. Flugpionier, der in diesem Jahr 1911 tödlich verunglückte“, erzählt der Stadthistoriker Knitter. Als Denkmal für ihren Sohn stiftet Käthe Pietschker aus der Erbmasse des Siemens-Enkels das Werner-Alfred-Bad in der heutigen Hegelallee. 1913 wurde es fertiggestellt, das erste Bad für Jedermann in Potsdam überhaupt. „Das war kein Denkmal zum Kränze abwerfen, sondern eins, von dem jeder etwas hat“, würdigt Knitter die Stiftung des ersten Potsdamer Volksbades. Dass im Zuge der Sanierung des Bades vor einigen Jahren – es beherbergt jetzt einen Biomarkt und Gesundheitseinrichtungen – eine Gedenkplakette für den Flugpionier Werner Alfred Pietschker angeblich verschwand, kritisiert Historiker Knitter sehr.

Zum 100. Todestag von Werner Alfred Pietschker veranstaltet der Verein „Freunde des Bornstedter Friedhofs e.V.“ am morgigen Dienstag, dem 15. November, ab 17 Uhr in der Bornstedter Kirche in der Ribbeckstraße einen Lichtbilder-Vortrag. Es sprechen zum Thema Dieter Hasler, Hartmut Knitter und Wolfgang Verch. Der Eintritt ist frei.

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