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Mit der Putzaktion von Katte e.V. soll auf die Diskriminierung von Minderheiten aller Art aufmerksam gemacht werden. 

© Manfred Thomas

Homosexuelle in der NS-Zeit: Erinnern an verfolgte Minderheiten

Queer-Aktivisten putzen einmal im Jahr Stolpersteine in Potsdam. Damit erinnern sie an das Schicksal von Minderheiten und weisen auf Lücken in der Forschung hin.

Innenstadt - Hans Kremer kniet auf dem Fußweg vor dem Haus der Gutenbergstraße 61 in Potsdam. Aus einer Plastikflasche lässt Kremer etwas Flüssigseife auf den Gehweg auf die Messingoberfläche eines Stolpersteins tropfen. Der kleine, unscheinbare Stein auf dem Fußweg der Gutenbergstraße im Abschnitt zwischen der Hebbel- und der Hans-Thoma-Straße erinnert an Anna Zielenziger, geboren 1867 im schlesischen Glogau. Die Jüdin war in Potsdam Vorsitzende des israelitischen Frauenvereins. Von den Nazis wurde Zielenziger im November 1943 ermordet.

Dieser Stolperstein in der Gutenbergstraße 61 in Potsdam erinnert an Anna Zielenziger. 
Dieser Stolperstein in der Gutenbergstraße 61 in Potsdam erinnert an Anna Zielenziger. 

© M. Thomas

Während Kremer an diesem Samstagnachmittag in Potsdam mit einer Nagelbürste den Stolperstein für Anna Zielenziger schrubbt, stehen etwa ein Dutzend Menschen um ihn herum. Eine Regenbogenfahne ist zu sehen – das Symbol der Lesben- und Schwulenbewegung. Während sich jetzt auch Markus Sturzebecher und sein Mann Ludwig Hardung-Sturzebecher mit zwei Zahnbürsten am Putzen des Stolpersteins beteiligen, verliest Holger Baumgart die Vita von Anna Zielenziger. Am Ende der Putzaktion hinterlässt die Gruppe den Stein blank geputzt und rosengeschmückt. Dann geht es weiter zu anderen Stolpersteinen in Potsdam.

Auftakt zu CSD-Veranstaltungen in Potsdam

Die Putzaktion am vergangenen Samstag war der Auftakt zu den diesjährigen Veranstaltungen zum Christopher Street Day (CSD) in Potsdam. Im Rahmen des CSD wird vielerorts gegen die Diskriminierung und Ausgrenzung von Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transgendern demonstriert. Es finden zahlreiche Veranstaltungen statt, zudem gibt es spezielle Unterstützungsangebote, auch in Potsdam.

Die Putzaktion war der Auftakt zu den diesjährigen CSD-Veranstaltungen in Potsdam.
Die Putzaktion war der Auftakt zu den diesjährigen CSD-Veranstaltungen in Potsdam.

© Manfred Thomas Tsp

Homosexuelle putzen schon seit Längerem einmal jährlich Stolpersteine in Potsdam und gedenken damit früherer Einwohner der Stadt, die von den Nazis verfolgt wurden. Die diesjährige Putzaktion wurde vom Verein Katte e.V. organisiert. Man wolle mit dieser Art des Gedenkens über den eigenen Tellerrand hinausschauen, sagt Jirka Witschak vom Katte-Verein. „Da sind Leute aufgrund von gesellschaftlichen Verhältnissen Opfer von Gewalt geworden, weil sie eine Minderheit waren“, erklärt Witschak. So wurden unter anderem Juden, Homosexuelle, Sinti und Roma verfolgt, aber auch Personen, die sich mit ihrer politischen Einstellung der Ideologie des NS-Staates verweigerten.

Schicksal Homosexueller recherchiert

Stolpersteine für Menschen, die wegen ihrer Homosexualität unter Hitler verfolgt wurden, gibt es Witschak zufolge in Potsdam nicht. Überhaupt sei dieses Kapitel von NS-Unrecht wenig erforscht, sagt Stephan Czibulinski. Er hat für das Projekt Geschichtswerkstatt des Katte e.V. einige Schicksale von Menschen aus der Region recherchiert, die wegen ihrer Homosexualität diskriminiert wurden. So fand Czibulinski die Strafakten eines Potsdamer Kirchenmusikers, der im Sommer 1939 vor dem Landgericht Berlin aufgrund des berüchtigten Paragrafen 175 des Strafgesetzbuchs angeklagt worden war. Der Vorwurf: Er soll einem anderen Mann an das Geschlechtsteil gegriffen haben. Nach dem von den Nazis 1935 verschärften Gesetz war dies – im Gegensatz zur Zeit davor – bereits speziell als homosexuelle Handlung strafbar. 

Zu einer Verurteilung des Potsdamers kam es dennoch nicht. Er unterfiel einem Gnadenerlass: Bei Männern, die in der Wehrmacht dienten und die keine höhere Strafe als sechs Monate Gefängnis zu erwarten hatten, wurden Strafverfahren eingestellt. Der Krieg hatte begonnen. Man brauchte jeden an der Front.

Bis zur endgültigen Abschaffung des Paragrafen 175 dauerte es bekanntlich noch Jahrzehnte. Erst im Jahre 1994 wurde die Vorschrift aufgehoben. Witschak hofft, dass die Geschichte der Diskriminierung in Zukunft umfassend aufgearbeitet wird und entsprechende Archive eingerichtet werden. Das Ausmaß der Verfolgung Homosexueller in den verschiedenen Gesellschaftssystemen möchte Witschak gern so sichtbar werden lassen.

Den Aktionsplan „Queeres Brandenburg“ der Landesregierung, der sich unter anderem mit der Gedenkkultur beschäftigt, hält Witschak dabei für völlig unzureichend. „Da bin ich auch wirklich sauer“, sagt der Interessenvertreter. Es fehle an entsprechenden organisatorischen Strukturen, um ein umfassendes Erforschen und Gedenken zu ermöglichen. „Da muss dringend nochmal nachjustiert werden“, sagt Witschak. Der Plan sei fachlich einfach nicht gut.

+++ Hintergrund: Der CSD in Potsdam:

Das Putzen der Stolpersteine am Samstag war der Auftakt zu den Veranstaltungen des diesjährigen Christopher Street Day (CSD) in Potsdam. Am 2. Mai um 18 Uhr soll vor dem Stadthaus in der Friedrich-Ebert-Straße 79/81 die Regenbogenfahne gehisst werden. Auf dem Flur des Oberbürgermeisters wird an dem Abend zugleich die Ausstellung „Hass bringt Dir nix!“ eröffnet. Darin geht es um den Artikel 12 der Landesverfassung zum Thema Gleichheit. Am 17. Mai um 12 Uhr will man am Brandenburger Landtag ebenfalls eine Regenbogenfahne aufziehen.

Ein unterhaltsames Programm verspricht der Queensday, der am 4. Mai ab 14 Uhr im Szene-Lokal La Leander, Benkertstraße 1, gefeiert wird. Mit dabei: Travestie mit Griselda von Hodenzollern und Linda in Moll in Anwesenheit ihrer gnädigen Prinzessin Bea von Trix.

Im La Leander werden in der Reihe Rainbow-Cinema auch mehrere Filme zu sehen sein. Am 2. Mai um 19.30 Uhr wird der Film „Postcards from London“ gezeigt, am 8. Mai zur selben Zeit „Aus der Haut“. Am 9. Mai, ebenfalls um 19.30 Uhr, zeigt das La Leander den Film „Siebzehn“ und schließlich am 12. Mai, bereits um 18 Uhr, den Film „Romeos“. Das Filmmuseum, Breite Straße 1a, zeigt am 17. Mai ab 18 Uhr den Film „Westler“ und ab 20.30 Uhr „Anders als die Anderen“. Ab dem 7. Mai ist im La Leander zudem eine Ausstellung mit Zitaten zu sehen. „Homo- und Transphobie à la AfD – Nein Danke“ soll dazu einladen, sich mit den Argumenten der Partei auseinanderzusetzen. Am 29. April, 6. Mai, 13. Mai, jeweils von 14 bis 21 Uhr, kann man bei „Rat + Tat“ in der Jägerallee 29 einen HIV-Test machen lassen. Holger Catenhusen

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