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In Sicherheit? Der Flüchtling Ali steht auf der Friedrich-Ebert-Straße in Potsdam. Während in Berlin Angriffe auf schwule und lesbische Paare in die Schlagzeilen geraten, hat man den Eindruck, in Brandenburg lebten Homo- und Transsexuelle sicher. Tatsächlich sind Übergriffe rückläufig – allerdings nicht überall.

© Sophia Kembowski/dpa

Homosexualität in Brandenburg: „Mein Leben wäre nicht mehr sicher“

Homosexuelle Flüchtlinge leben in Potsdam in einer Schutzunterkunft. Sie sind sonst oft Übergriffen und schweren Misshandlungen ausgesetzt.

„Mittlerweile fühle ich mich echt wohl hier!“ Ali schiebt seine leere Kaffeetasse zur Seite. Vor vier Jahren floh der heute 28-Jährige aus seinem Heimatland Syrien. Libanon, Ägypten, Türkei, Brandenburg. Eigentlich träumte Ali davon, im weltoffenen, toleranten Berlin zu leben. Doch dann kam er in eine Flüchtlingsunterkunft nach Potsdam. Er schätze die Ruhe und Beschaulichkeit der Stadt. Die Menschen seien freundlich. „Ich kann hier sogar Händchen haltend mit meinem Freund durch die Stadt laufen.“ Und manche lächelten die beiden an.

Dass Ali seine Homosexualität auf der Straße zeigt, war für den ehemaligen Pharmazie-Studenten aus Damaskus bis vor kurzem noch undenkbar. „In Syrien habe ich ein Doppelleben geführt; in der Schule, in meiner Freizeit und später im Studium.“ Nicht mal Alis Eltern wussten, dass er auf Männer steht. Homosexualität sei in Syrien ein Tabuthema, sagt Ali, der seinen richtigen Namen nicht nennen möchte.

47 Übergriffe in Brandenburg

Während gerade in jüngster Zeit Übergriffe auf schwule und lesbische Paare in Berlin häufiger vorkommen, scheint es in Brandenburg für Homo- und Transsexuelle sicherer zu sein. Laut Zahlen der polizeilichen Kriminalitätsstatistik wurden 2017 sechs Straftaten im Bereich „Hasskriminalität aufgrund der sexuellen Orientierung“ erfasst, erklärte die Landesregierung jüngst auf eine Anfrage der Fraktion Die Linke. Doch Experten gehen von einer hohen Dunkelziffer aus.

Trotzdem scheint Brandenburg weitgehend tolerant – allerdings nicht überall. „Ein Coming-Out in der Flüchtlingsunterkunft? No way! Niemals!“ Ali winkt energisch ab. Dort lebten viele Afghanen, Syrer und Iraker, „viele streng religiöse Menschen mit langen Bärten“, sagt er. „Ich will mir gar nicht vorstellen was sie mit mir machen, wenn sie es wüssten. Mein Leben wäre nicht mehr sicher.“

Nach Angaben der Kommunalen Arbeitsgemeinschaft Tolerantes Brandenburg sind im vergangenen Jahr 47 Übergriffe allein auf homo- und transsexuelle Geflüchtete in Unterkünften des Landes gezählt worden. „So viele, wie wir Beratungskontakte in ganz Brandenburg hatten“, sagt Jirka Witschak, Geschäftsführer des Vereins, der sich kurz „Katte“ nennt. „Wir bekommen Anrufe von verzweifelten Heimleitern. Sie könnten für das Leben eines schwulen Bewohners nicht mehr garantieren.“

Auf dem Land in Brandenburg gewöhnten sich die Leute mittlerweile eher daran, wenn sich jemand als schwul outet

Außerhalb der Unterkünfte sind die Zahlen homo- und transphober Übergriffe, die dem Verein bekannt werden, rückläufig. Während Witschak und seine Kollegen 2013 landesweit noch rund 70 Übergriffe zählten, sank die Zahl in den vergangenen Jahren auf rund 40. Doch auch hierfür gilt: Nur selten wird Anzeige erstattet.

„Übergriffe sind eher ein Thema in Berlin“, sagt Witschak. Dort bewege sich die Szene offener, sei transparenter und größer. Viele Homosexuelle aus Brandenburg fahren daher besonders am Wochenende zum Feiern nach Berlin. Auf dem Land in Brandenburg gewöhnten sich die Leute mittlerweile eher daran, wenn sich jemand als schwul outet, meint Witschak. Doch die Schwulenfeindlichkeit und Gewalt in Flüchtlingsunterkünften machen dem 47-Jährigen Sorgen. „Wenn einer geoutet ist, wird er ausgegrenzt, geschlagen oder mit Gegenständen vergewaltigt“, sagt Witschak. Einmal mussten sie einen Mann im Zimmer der Heimleiterin einsperren, um ihn vor den anderen Bewohnern zu schützen.

Auch Sven Brandenburg weiß von den Problemen schwuler Geflüchteter. Gemeinsam mit dem Selbsthilfeverband „Andersartig“ leitet er das Projekt „Queer Haven“. Das Netzwerk für geflüchtete Homo- und Transsexuelle wurde 2016 ins Leben gerufen, nachdem gewalttätige Übergriffe unter Flüchtlingsheimbewohnern die Medien erreichten.

„Sexuelle Gewalt muss in den Unterkünften auch als solche benannt werden“

Im vergangenen Jahr zählte Brandenburg 200 Beratungskontakte. Rund 30 davon betreue er dauerhaft. Häufiger höre der 45-Jährige auch von Problemen der Geflüchteten mit Sprachmittlern. Statt sich an die Verschwiegenheitspflicht zu halten, plauderten Übersetzer die Homosexualität eines Mitbewohners in der Unterkunft aus.

In Brandenburg haben die Kommunen auf die Übergriffe in den Unterkünften reagiert. In Cottbus, Brandenburg an der Havel und Potsdam wurden dezentral Schutzunterkünfte für geflüchtete Homo- und Transsexuelle geschaffen. „Wir haben uns aufgrund der kommunalen Strukturen gegen eine große Schutzunterkunft für LSBTTIQ-Geflüchtete entschieden“, sagt Brandenburgs Gleichstellungsbeauftragte Monika von der Lippe. Die Abkürzung steht für Lesben, Schwule, Bisexuelle, Trans*, Inter* und queere Menschen.

Dass sich die Situation von LSBTTIQ* im Land verbessert, dafür soll auch der Aktionsplan „Queeres Brandenburg“ sorgen. Das Papier wurde jüngst im Landtag vorgestellt. Neben den Schutzunterkünften finden sich darin rund 60 Maßnahmen und Handlungsfelder, um für mehr Akzeptanz von sexueller Vielfalt zu sorgen – auch für Geflüchtete. Ein Punkt ist die Sensibilisierung der Mitarbeiter.

„Sexuelle Gewalt muss in den Unterkünften auch als solche benannt werden“, sagt Brandenburg. „Die Täter sind es aus den Herkunftsländern gewohnt, dass homophobe Übergriffe toleriert werden.“ Hier müssten Täter und Opfer lernen, dass es anders laufe. Wenn sich Heimleiter und -personal schützend hinter die Betroffenen stellten, sagt Brandenburg, mache das schon viel aus. (dpa)

Anna-Kristina Bückmann

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