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Landeshauptstadt: Holzhaus mit Geschichte

In seinem neuen Buch „Sommerhaus am See“ hat Thomas Harding die Historie des Groß Glienicker Alexanderhauses nachgezeichnet

Das Haus war voll möbliert, Geschirr reichlich vorhanden: 24 Weingläser, mehr als 100 Teller, 34 Tassen, vier Milchkannen und noch vieles mehr. Mit dieser Ausstattung pachtete im Jahre 1937 der Musikverleger Will Meisel mit seiner Frau Eliza Illiard ein idyllisch gelegenes Sommerhaus aus Holz. Direkt am Hang des Groß Glienicker Sees gelegen, bot es beste Aussichten aufs Wasser. Bevor Meisel und seine Frau das herrliche Grundstück samt Sommerhaus für jährlich 2000 Reichsmark pachteten, hatte das Anwesen acht Monate lang leer gestanden. Die Vorbesitzer waren vor den Nazis nach England geflohen. Seit den 1920er Jahren hatte die jüdische Familie Alexander aus Berlin hier ihre Sommer verlebt. Doch nach einigen Jahren war die Sommerfrische getrübt. Die Nazis waren an die Macht gekommen und Repressionen gegen die Juden im Deutschen Reich setzten ein. Mit der immer schärfer werdenden Diskriminierung der jüdischen Mitbürger sahen die Alexanders Mitte der 1930er Jahre für sich nur noch einen Ausweg: Die Emigration nach England.

Ein Spross der vor 80 Jahren emigrierten Familie Alexander ist der britische Autor („Hanns und Rudolf“) und Journalist Thomas Harding. Über die Geschichte des 1927 in Groß Glienicke errichteten Hauses und dessen Bewohner hat Harding nun ein Buch geschrieben. Kein Geschichtsbuch sei es – das überlasse er den Historikern, sagt Harding. Bei seinen Recherchen habe er vielmehr der Frage nachgehen wollen: „Was macht Geschichte mit den Menschen?“ Und in der Tat: Der Brite hat auf über 400 Seiten einfühlsam den persönlichen Schicksalen der Bewohner des Hauses nachgespürt. Von den Alexanders in den 1920er angefangen, über den Musikverleger Will Meisel bis zu den letzten Bewohnern – der Familie Kühne, die im Jahre 1999 das Holzhaus verließ. Harding verwebt in seinem Buch die Geschichte der Familien ganz eng mit den politischen Geschehnissen des 20. Jahrhunderts. Auf diese Weise ist es dem Briten gelungen, eben doch deutsche Geschichte zu erzählen – und dies lebendiger als in den meisten Geschichtsbüchern. „Ein leidenschaftliches Erinnerungsbuch über Deutschland“ hat es Neil MacGregor, designierter Intendant des Berliner Humboldtforums, bereits genannt. Und man darf wohl hinzufügen: Es ist auch ein regionalhistorisch interessantes Werk. Die besondere geografische Lage von Groß Glienicke in den Zeiten des Kalten Krieges – wo der Westen im Osten und der Osten im Westen lag – spielt ebenso eine Rolle wie die Groß Glienicker Gutsbesitzerfamilie Wollank oder die Wochenendhaus-Bewegung im Berliner Umland der 1920er Jahre. Und Anekdoten – die dürfen in einem guten Buch dieser Art natürlich nicht fehlen: So beschreibt Harding einen Besuch Albert Einsteins bei Alfred Alexander, dem Bauherrn des Groß Glienicker Holzhauses. Alexander, der im Berlin der 1920er Jahre ein berühmter Arzt war, hatte Einstein und seine Frau nicht nach Groß Glienicke, sondern in die Berliner Stadtwohnung der Familie eingeladen. Beim Kaffee im Salon wollte der Hausherr bei Einstein Näheres über die Relativitätstheorie erfahren. Doch die beiden Herren verloren sich so im Gespräch über die neuesten Detektivgeschichten – „eine Leidenschaft, die beide teilten“, wie Harding schreibt –, dass er darüber schließlich ganz vergaß, den Physiker nach seiner genialen Theorie zu befragen.

Für seine Recherche hat sich Harding vor allem in Groß Glienicke der Geschichte des Alexanderhauses und seiner Bewohner genähert. Auch in Archiven und Familienunterlagen hat Harding nach Spuren geforscht. Ursprünglich von Alfred Alexander als Sommerhaus errichtet, war das Anwesen in der Straße Am Park über viele Jahrzehnte ganzjährig als Wohnhaus genutzt worden. Zeitweise lebten sogar zwei Familien dort. Bei seinen Recherchen sei es ein bisschen gewesen wie bei einer verschlossenen Schachtel, die man öffnet, sagt Harding. Es kommen darin manchmal Dinge zum Vorschein, die nicht immer angenehm sind. So kam auch die Stasi-Verstrickung eines ehemaligen Bewohners ans Tageslicht.

Die unterschiedliche Dichte der Quellen, die Harding zur Verfügung standen, spiegelt sich auch deutlich im Buch wieder. Manche Beschreibungen geraten etwas unvermittelt so detailliert, dass man am Ende bisweilen vergeblich nach eine Pointe sucht. Und dennoch – oder gerade deshalb: Lebendiger kann man Geschichte kaum erzählen. Als guter Geist in Hardings Buch: Seine inzwischen verstorbene Großmutter Elsie, eine Tochter des Arztes Alfred Alexander. Ihr hat Harding sein Buch gewidmet. Elsie hatte als Jugendliche das Haus noch kennengelernt. Auf einer Reise zusammen mit seiner Großmutter besuchte der damals 25-jährige Harding das Haus 1993 zum ersten Mal.

Das Anwesen befindet sich heute im Eigentum der Stadt Potsdam. Auf Hardings Initiative hin hat sich ein Verein gebildet, der das Haus renovieren und der Öffentlichkeit zugänglich machen möchte. Später einmal soll es der Bildung und der Versöhnungsarbeit dienen, sagt Harding.

Thomas Harding: Sommerhaus am See. Erschienen bei DTV, 432 Seiten,

Preis: 24, 90 Euro.

Am heutigen Donnerstag stellt der Autor das Buch ab 19 Uhr in der Villa Schöningen, Berliner Straße 86, vor.

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