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In der Ausstellung „Augenzeugen“ sind Porträts Holocaust-Überlebender zu sehen, die immer wieder nach Brandenburg kommen, um ihre Geschichten zu erzählen – unter ihnen auch Zipora Feiblowitsch. 

© Ottmar Winter

Holocaust-Überlebende Zipora Feiblowitsch: „Aber ich lebe. Ich bin da.“

Sie hat Auschwitz überlebt, in Israel eine große Familie gegründet und Bücher geschrieben. Am Holocaust-Gedenktag sprach Zipora Feiblowitsch im Landtag - auch über die Verantwortung der heutigen Jugend.

Potsdam - Zwei Tage kannten sich Zipora Feiblowitsch und ihr Mann gerade, da beschlossen sie, zu heiraten. „Er hatte ja niemanden, seine ganze Familie war in der Shoa umgekommen“, sagt sie. Das war kurz nach dem Krieg. Die Zeit, die Feiblowitsch „auf dem Weg“ nennt. Auf dem Weg von der Befreiung aus dem Arbeitslager nahe Salzwedel, auf dem Weg durch das kaputte Europa und die unklaren Zuständigkeiten für Überlebende wie sie. Auf dem Weg nach Israel, wo sie Heimat zu finden hofften und zunächst auf Ablehnung stießen. Keiner wollte sie haben, die Zeugen des Grauens, erzählt Feiblowitsch, heute 93 Jahre alt und aus Israel angereist, um in Deutschland am Holocaust-Gedenktag öffentlich zu sprechen. 

Heiraten also. Gemeinsam nach vorne blicken. „Aber vorher stellte mir mein Mann eine Frage: Was meinst du, wirst du Kinder bekommen können?“ In der Frage steckte die Sehnsucht nach einer Familie – und eine berechtigte Sorge. „Die haben uns im Lager etwas in die Suppe getan, damit wir unsere Periode nicht bekommen. Viele Frauen konnten später keine Kinder bekommen oder nur sehr kranke“, sagt Feiblowitsch. Sie aber bekommt schon Anfang 1947 ein Kind, „ein Bub, 4,2 Kilogramm“, der ihr doppelt Glück bringt. Denn die kleine Familie landet „auf dem Weg“ in Zypern, in einem Lager, hinter Stacheldraht. „Können Sie sich das vorstellen?“ fragt sie und schüttelt den Kopf. Zwei Monate ist das Baby alt, da dürfen sie, weil sie ein kleines Kind haben, nach Israel einreisen. Kontingentflüchtlinge. Am 29. November 1947 kommen sie in dem neuem Land an. Der Tag, an dem die Vereinten Nationen die Teilung Palästinas und Israels beschlossen. 

Zipora Feiblowitsch.
Zipora Feiblowitsch.

© Ottmar Winter

Der Mann kämpft in Israel im Krieg

Ein Jahr später wieder Krieg, in Israel. Ihr Mann kämpft auch, wie Hunderte andere Holocaust-Überlebende, und landet eines Tages schwer krank im Krankenhaus. Aber was ihn krank macht, ist noch etwas anderes. „Schreiben Sie“, soll der Arzt zu ihm gesagt haben. „Schreiben Sie auf, was Sie erlebt haben.“

„Fünf Jahre Lager, Mauthausen, das Schlimmste was es gibt, ich war ja nur sieben Monate in Auschwitz“, sagt Feiblowitsch und winkt ab. Als gäbe es eine Messlatte für die Verbrechen der Nazis. Ihr Mann beginnt also zu schreiben. Und gibt, viele Jahre später, den Rat an sie weiter. Da haben sie längst drei Kinder, die nur sehr vage ahnen, dass die Mutter etwas verschweigt. Sie wundern sich zum Beispiel, warum sie keine Großeltern haben und in der Schule ausgegrenzt werden. Flüchtlingskinder. „Er hat immer erzählt, ich wollte schweigen“, sagt Feiblowitsch. Das war nicht gut.

„Viele Überlebende wurden auch deshalb psychisch krank“, sagt Tochter Zehava Shakif, die mit nach Deutschland gekommen ist. Als die Mutter zu sprechen beginnt, ist es schlimm für die damals fast erwachsenen Kinder. „Ich war schockiert“, sagt die Tochter. „Mutter hatte keine Nummer am Arm, deshalb hatten wir nie nachgefragt. Aber sie hatte Vernarbungen und Beulen am Körper, die sah man, wenn wir mal am Strand waren. Aber sie verharmloste das.“

Vergessen geht nicht

Bis sie zu reden begann. „Seitdem habe ich meinen Mund nicht mehr zugemacht“, sagt Feiblowitsch. Hat Bücher geschrieben, tritt bei Veranstaltungen in Yad Vashem auf und reist in alle möglichen Länder, seit zwölf Jahren auch nach Deutschland, um vor den Menschen zu sprechen. „Ich würde das ja alles gerne vergessen, aber das geht nicht. Also erzähle ich davon. Ich kann mit der herrlichen Jugend sprechen“, sagt sie überschwänglich und mit dem Akzent ihrer Jugend. „Ein Bub in Deutschland fragte, ob ich ihn etwa beschuldige. Natürlich nicht. Aber es sei seine Aufgabe, dafür zu sorgen, dass das nie wieder passiert.“ Das ist keine Floskel: „In Syrien, bei unseren Nachbarn, ist Krieg, Menschen wurden vergast, ermordet, und die Welt sagt nichts.“

Wie damals. Feiblowitschs Familie stammt aus Siebenbürgen in Rumänien. 1944 werden sie deportiert. Die Eltern sterben in Auschwitz, Brüder und Schwestern überleben. Sie selbst erlebt schreckliche Dinge. Als sie ganz am Ende ist, zu schwach zum Arbeiten und einfach liegen bleibt, hilft es ihr, dass sie einem SS-Mann frech kommt – auf Deutsch. Das beeindruckt ihn. Er streicht sie von der Liste nach Bergen-Belsen und veranlasst, dass sie Medikamente bekommt.

Seine Geschichte wird man nicht los, sagt sie, und doch habe sie ein gutes Leben geführt. Sie und ihr Mann gründeten eine Familie. Drei Kinder, 13 Enkel, 50 Urenkel und vier Ururenkel – das sind mit ihr fünf Generationen, sagt sie stolz. „Das ist doch wunderbar.“ Und sie wird auch mit 93 Jahren genauso weitermachen, reisen und sprechen. Auch wenn immer wieder ihr Kopf von einem Dauerton dröhnt und schmerzt, dort, wo KZ-Arzt Mengele sie mir dem Gewehrkolben erwischte. „Weil ich mich nicht ausziehen wollte vor ihm.“ Sie hebt das Gesicht. „Aber ich lebe. Ich bin da.“ Ihr Triumph. 

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