zum Hauptinhalt
Sie geben nicht auf. Abdul Hamid hofft weiter, dass seinem kleinen Bruder Amr doch noch geholfen werden kann. Dessen Organe sind durch einen Nabelbruch teilweise ungeschützt. Eine Operation in der Schweiz könnte helfen, die Ärzte in Berlin halten den Eingriff für zu riskant.

© Sebastian Gabsch

Hoffen auf deutsche Ärzte: Amrs Kampf

Seit Jahren kämpft ein syrischer Flüchtling darum, dass sein schwer kranker Bruder in Deutschland behandelt werden kann. Nun hat er ihn nach Potsdam geholt - und muss weiter um ihn bangen.

Von Katharina Wiechers

Berlin/Potsdam - Jahrelang hat Abdul Hamid Okash auf diesen Moment gewartet. Hat Geld gesammelt, Helfer gefunden, sich um ein Visum gekümmert - alles, damit sein kleiner Bruder nach Deutschland einreisen kann, um hier geheilt zu werden. Viele Potsdamer haben Anteil genommen, haben den Kampf des Syrers um den kleinen Amr unterstützt - auch Leser der PNN. In diesen Tagen sollte Amr endlich am Bauch operiert werden, ein Arzt im St. Joseph Krankenhaus Berlin hatte sich dazu schon vorab bereit erklärt. Doch in dieser Woche kam nun die niederschmetternde Diagnose: Amr kann nicht operiert werden, zumindest nicht hier. „Ich dachte, ich kann bald wieder Fußball spielen“, sagt der 13-Jährige, neben seiner Mutter sitzend. Er lächelt höflich, doch an seinen Augen ist zu sehen, wie traurig ihn die unerwartete Diagnose macht.

Schon seit frühester Kindheit leidet Amr unter den Folgen eines nicht ausreichend behandelten Nabelbruchs, einer Omphalozele. Einige seiner Organe liegen quasi vor der Bauchdecke, direkt unter der Haut. Das ist zum einen ein ästhetisches Problem für den jungen Heranwachsenden, sein großer Bauch wölbt sich unförmig nach vorne. Vor allem ist es aber gefährlich, weil die Organe kaum geschützt sind. Die Milz zum Beispiel musste dem Jungen schon im Kleinkindalter entnommen werden, nachdem sie bei einer scharfen Bremsung im Auto verletzt wurde.

Er konnte nicht Fußball spielen: „Zu gefährlich“

Schon in Syrien hatte die Familie Krankenhäuser in allen möglichen Städten des Landes abgeklappert, sogar in Saudi-Arabien waren sie mit dem Jungen. Zum Greifen nah schien eine erlösende Operation einmal im Libanon, fünf Jahre alt war Amr damals. Drei Monate lang war die Familie in Beirut deswegen, hatte viel Geld ausgegeben. Doch einen Tag vor der Operation bliesen die Ärzte dort alles ab: zu kompliziert.

Wenigstens in Deutschland würde man seinem Bruder helfen können, dachte Abdul Hamid. Er selbst war 2015 als Jurastudent vor dem Assad-Regime aus Homs geflohen (PNN berichteten), über viele Umwege kam der heute 29-Jährige nach Potsdam, während der kleine Amr mit Mutter und Vater in der Türkei blieb. Fast täglich sprach Abdul Hamid mit seiner Familie im türkischen Exil, bekam mit, wie sein kleiner Bruder unter seiner Krankheit litt. Die anderen Kinder hänselten ihn, er schämte sich für seinen Bauch. Und vor allem konnte er nicht Fußball spielen, das schlimmste für ihn. „Zu gefährlich“, sagt die Mutter und legt einen Arm auf Amrs Schultern. Darin seien sich alle Ärzte einig gewesen.

Der Arzt sagte: „Bei seinem eigenen Sohn würde er die Operation nicht machen“

Also machte sich Abdul Hamid daran, seinen Bruder für die Operation nach Deutschland zu holen. Eigentlich ein hoffnungsloses Unterfangen, zumal die Behandlung sehr teuer werden würde. Doch Freunde halfen ihm, einen Spendenaufruf an seiner Arbeitsstelle, der Berlin Brandenburg International School in Kleinmachnow, zu veröffentlichen, hinzu kam noch ein Artikel in den PNN. Innerhalb kürzester Zeit kamen mehrere Tausend Euro zusammen, mit der zumindest ein Teil der Kosten gedeckt werden könnte. Noch mehr als ein weiteres Jahr lang dauerte es, bis Amr und seine Mutter tatsächlich nach Potsdam kamen. Es bedurfte unzähliger Papiere, Telefonate, Amtsbesuche, und letztlich des guten Willens der deutschen Botschaft, bis es endlich klappte.

Vergangene Woche konnte Abdul Hamid, der mit seiner Frau und seinem eineinhalbjährigen Sohn in einer Wohnung in Babelsberg lebt, endlich seine Mutter und seinen kleinen Bruder in die Arme schließen, jetzt würde alles gut werden. Der Termin bei dem Kinderarzt in Berlin war schon gemacht, Abdul Hamids Vertrauen in die deutsche Medizin groß. Doch nun der Rückschlag. Die Leber hat sich über die Jahre stark ausgebreitet und ist quasi um die Bauchmuskeln herumgewachsen, sodass ein Abtrennen hochriskant wäre. Große Blutgefäße könnten verletzt werden, habe der Arzt erklärt, so Abdul Hamid kurz nach dem deprimierenden Termin. „Er sagte, bei seinem eigenen Sohn würde er die Operation nicht machen.“

Einen kleinen Hoffnungsschimmer gibt es noch

Die Familie wirkt niedergeschlagen, sie hatte so viel Hoffnung in die deutschen Ärzte gelegt. Dennoch betont Abdul Hamid immer wieder, wie dankbar er allen Helfern und den Medizinern hier ist. „Sie haben sich wirklich mit dem Fall beschäftigt und uns als Menschen betrachtet“, sagt er. „Und sie haben Respekt vor Kindern.“

Einen kleinen Hoffnungsschimmer gibt es noch, die Ärzte am St. Joseph wollen Kollegen in der Schweiz konsultieren, die eine solche komplizierte Operation möglicherweise durchführen könnten. Bis dahin soll Amr erstmal eine Art Korsett bekommen, so dass er wenigstens ein bisschen geschützt ist.

Wie es weitergehen soll, weiß Abdul Hamid nicht. Seine Mutter will zurück, ihr Mann wartet in der Türkei auf sie. Amr würde er am liebsten in Deutschland behalten – falls es doch noch etwas wird mit der Operation und für den Fall, dass er akut behandelt werden muss. Doch noch ist völlig unklar, ob dies möglich sein wird. Das Visum gilt erstmal nur bis zum 27. März. Bis dahin hätte Amr eigentlich schon operiert sein sollen.

https://www.gofundme.com/save-amr-akkash

Zur Startseite