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Landeshauptstadt: Hinhören, bewahren und mutig sein

In der Gedenkstätte Lindenstraße wurde am Samstag der Opfer des Nationalsozialismus gedacht. Im Fokus der Erinnerung standen die Widerstandskämpfer

Innenstadt - Still wurde es, als Uta Gerlant von Sophie Scholl erzählte. „Sie starb in der festen Hoffnung, dass ihre Ideen sich durchsetzen würden“, sagte Gerlant am Samstag vor rund 70 Menschen, die zum Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus in die Gedenkstätte Lindenstraße gekommen waren. Zuversichtlich sei Sophie Scholl gewesen, dass eines Tages eine friedliche und freiheitliche Gesellschaft über die Diktatur der Nationalsozialisten siegen würde, selbst angesichts ihres Todes. Für die Beteiligung an der Herstellung und Verbreitung von Flugblättern der Widerstandsgruppe „Weiße Rose“ wurde die erst 22-Jährige am 22. Februar 1943 in München hingerichtet.

Damit war die Studentin eine von den 5000 Menschen, die im Deutschen Reich zum Tode verurteilt wurden, erklärte Gerlant, die die Stiftung Gedenkstätte Lindenstraße leitet. An diese und an alle anderen Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialismus wolle sie in diesem Jahr erinnern und zum Nachdenken anregen darüber, was eigentlich „Gedenken“ bedeute. Wichtig sei es etwa, den Menschen, die im Widerstand gegen die Nazis ihre physische und psychische Gesundheit oder ihr Leben ließen, eine Stimme zu geben. Zu hören, „was sie uns heute zu sagen haben“, so Gerlant. In einer Lesung im Anschluss im Saal der Gedenkstätte wurde aus Texten von Sophie Scholl und anderen Menschen des Widerstandes, darunter unter anderem Hannah Arendt oder Harro Schulze-Boysen, gelesen. Alle Anwesenden waren eingeladen, selbst vorzulesen und im Anschluss miteinander ins Gespräch zu kommen.

Weitere Redner der Veranstaltung waren Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD) und der Präsident des Verfassungsgerichts des Landes Brandenburg, Jes Möller. Jakobs erinnerte an die Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz am 27. Januar durch die Rote Armee, ein Ereignis, das durch grauenhafte Bilder von Tod und Zerstörung „für immer unser kollektives Gedächtnis prägen sollte“. Noch heute stünde Auschwitz als Synonym für „die gesamte nationalsozialistische Verfolgungs- und Ermordungsmaschinerie“, so Jakobs. Dadurch, dass es immer weniger Zeitzeugen gebe, seien Gedenkveranstaltungen umso wichtiger, damit die Erinnerung daran nicht verlorengehen, mahnte der Oberbürgermeister an. Jes Möller hingegen widmete sein Gedenken der Blockade von Leningrad, bei der die Stadt systematisch von den Nazis ausgehungert wurde und mehr als eine Million Menschen starb.

Gleichermaßen Thema bei allen Rednern war der Bezug zu Rechtsextremismus, Rassismus, Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit in der heutigen Zeit. Viele Menschen fragten sich, wie sie im Nationalsozialismus gehandelt hätten, so Uta Gerlant. Die Antwort könne jedoch nur spekulativ sein. Wichtig sei es, „zu handeln, wenn Menschenverachtung und Verfolgung noch nicht die Oberhand haben“. Das bedeute heute, sich mutig Hetze und Hass entgegenzustellen und sich auch unbequemen Situationen auszusetzen. Dass das erfolgreich gelingen könne, habe etwa der Protest gegen „Pogida“ in Potsdam im Jahr 2016 gezeigt. Jes Möller bezeichnete die Diskussion um den sogenannten Schuldkult als infam: Nicht um Schuld am Holocaust etwa solle es in der Gesellschaft gehen, denn „wir, die hier stehen, sind nicht schuld daran“, sagt er. Vielmehr ginge es um eine Bewusstwerdung der Verantwortung in heutiger Zeit, damit sich Geschichte nicht wiederhole.

Die Gedenkveranstaltung wurde von der Stadt Potsdam gemeinsam mit der Fördergemeinschaft „Lindenstraße 54“ und der Gedenkstättenstiftung Lindenstraße organisiert. Vertreter aller großen Stadtfraktionen legten Kränze nieder. Gedacht wurde der Opfer des Nationalsozialismus auch in der Nagelkreuzkapelle, am Platz der Einheit und am Willi-Frohwein-Platz.

Dort hatte nach eigenen Angaben auch die Potsdamer AfD ein Gesteck niedergelegt. Unbekannte Täter hätten jedoch die Kranzschleife abgerissen. Offenbar passe es nicht „in das politische Weltbild“, dass die AfD die Opfer des verbrecherischen Nazi-Regimes ehrt, so der AfD-Bundestagsabgeordnete René Springer.

Andrea Lütkewitz

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