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Elendsunterkunft: Ein Flüchtling neben einem Zaun des Lagers Moria auf Lesbos. Die Stadt Potsdam würde von dort einige unbegleitete Kinder aufnehmen.

© Michael Varaklas/dpa

Hilfe für Geflüchtete: Potsdams Oberbürgermeister auf "heikler Reise" nach Lesbos

Potsdams Oberbürgermeister Mike Schubert besucht ein Flüchtlingscamp auf der griechischen Insel Lesbos. Dafür gibt es gute Gründe. Doch die Lage vor Ort ist angespannt.

Oberbürgermeister Mike Schubert (SPD) spricht gegenüber den PNN von einer „heiklen Reise“, die er am Donnerstagmorgen antritt. Sein Ziel: Die überfüllten Flüchtlingscamps auf der griechischen Insel Lesbos – Schubert will bekanntlich unbegleitete Kinder von dort in Potsdam aufnehmen. Die PNN beantworten wichtige Fragen zu dieser Reise.

Wie erklärt Schubert den Anlass der Reise?

Der Rathauschef fliegt nicht allein nach Griechenland, sondern als Teil einer Delegation – zusammen mit dem Bevollmächtigten des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Martin Dutzmann, Berlins Integrationsstaatssekretär Daniel Tietze (Linke) und dem Bürgermeister der CDU-regierten Stadt Rottenburg in Baden-Württemberg, Thomas Weigel. Es gehe darum, den Menschen dort ihre Solidarität auszudrücken und sich selbst einen Eindruck von der Situation vor Ort zu verschaffen, hatte die EKD erklärt. Schubert selbst erklärte am Mittwoch im Hauptausschuss, Vertreter der EKD und der seit 2018 bundesweit agierenden Initiative Seebrücke hätten ihn angefragt, ob er mitfahren könne.

Gibt es Kritik an der Reise?

Im Hauptausschuss gab es von den Stadtverordneten weder Nachfragen noch Kritik – auch nicht von der rechtspopulistischen AfD. Deren Fraktion im Stadtparlament hatte das Engagement von Schubert allerdings im Vorfeld als „durchschaubares Eigenmarketing“ ausgelegt. Schubert verwies im Hauptausschuss auf einen Stadtverordnetenbeschluss vom Dezember 2018, mit dem der Rathauschef verpflichtet wurde, sich auch deutschlandweit aktiv für die Seenotrettung einzusetzen – und dafür auch mit anderen Kommunen zusammenzuarbeiten.

Auch vor diesem Hintergrund wird die Fahrt auch aus dem Etat der Stadt bezahlt, laut einem Rathaussprecher mit Mitteln aus dem Bereich für Toleranz und Partizipation. Dessen Leiterin Ursula Löbel gehört auch zu der Delegation – und der Arzt Evangelos Tsekos, Bereichsleiter für Medizinische Dienstleistungen am städtischen Klinikum „Ernst von Bergmann“. Dieser Mediziner halte „schon länger“ den Kontakt nach Lesbos und den dortigen Vertretern der Hilfsorganisation „Ärzte ohne Grenzen“, die dort auch besucht werden, wie Schubert sagte. Zudem gehe es um Möglichkeiten der medizinischen Unterstützung vor Ort, so Schubert auf Anfrage: „Das Zögern der Nationalstaaten bei der Verteilung der Flüchtling in Europa führt eben zunehmend zu unhaltbaren Zuständen auf den griechischen Inseln.“

Potsdams Oberbürgermeister Mike Schubert (SPD)
Potsdams Oberbürgermeister Mike Schubert (SPD)

© Ottmar Winter

Was ist das Bündnis „Sichere Häfen“?

Das Bündnis ist im vergangenen Juni in Berlin gegründet worden – auf Initiative der besagten Initiative Seebrücke. Anfangs gehörten noch 12 Kommunen dazu, darunter Potsdam. Inzwischen unterstützen dies 139 Städte und Gemeinden, darunter die Landeshauptstädte München, Düsseldorf, Mainz, Kiel und Magdeburg – aber eben auch das Delegationsmitglied Rottenburg. Von der Bundesregierung fordert das Bündnis die schnellstmögliche Zusage, dass die Städte zusätzlich aus Seenot gerettete Schutzsuchende aufnehmen können. Die Stadt Potsdam koordiniert eben das Bündnis – auch damit erklärt Schubert seine inzwischen überregionale Präsenz, auch in Medien wie dem Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ oder der Süddeutschen Zeitung.

Für die Aufnahme von Flüchtlingen ist eigentlich der Bund zuständig. Was bringt da das Engagement von Kommunen?

Erste Erfolge kann das Bündnis bereits verzeichnen. So hatte Potsdam im Januar die ersten 25 aus Seenot Flüchtlinge aufgenommen – über das Soll der Stadt hinaus. So würde auch die humanitäre Katastrophe an den europäischen Außengrenzen weiter in den Fokus gerückt, hatte Schubert damals erklärt. Beim Bundesinnenministerium kämpft das Bündnis dafür, dass die Städte mehr Spielräume erhalten, zusätzliche Flüchtlinge aufzunehmen – gerade auch Kinder. Die Gespräche dazu laufen. Ein Ergebnis bisher: Seit Jahresbeginn ist das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) angewiesen, den Bundesländern aufnahmebereite Kommunen zu benennen, damit diese Schutzsuchende dorthin verteilen könnten. Selbst das war vorher nicht möglich.

Die Debatte um die Aufnahme der Kinder aus den griechischen Lagern hatte bereits vor Weihnachten Grünen-Chef Robert Habeck angestoßen – einige Tage später hatte Schubert mitgeteilt, Potsdam könne sofort fünf Kinder aufnehmen. Dem Beispiel folgten auch andere Kommunen im Bündnis. Inzwischen könne man so schon Plätze für bis zu 500 Kinder anbieten, so Schubert im Hauptausschuss.

Wie ist die Lage auf Lesbos?

Angespannt. Auf der griechischen Insel hat es erst am Mittwoch einen Generalstreik gegeben – aus Protest gegen den Bau neuer Lager für Migranten blieben Regional- und Kommunalbehörden sowie die meisten Läden geschlossen. Zu den Streiks unter dem Motto „Wir wollen unsere Inseln zurück“ hatten die örtlichen Gewerkschaften, Kommunen sowie der Verband der Staatsbediensteten aufgerufen. Erneut kam es auch zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen aufgebrachten Einwohnern und der Polizei. Hintergrund ist auch der von der Regierung in Athen vor Ort geplante Bau von neuen abgeriegelten Flüchtlingslagern bis Mitte 2020.

Unterstützung erhielt Schuberts Position diese Woche von der internationalen christlichen Hilfsorganisation World Vision – diese forderte die Bundesregierung auf, der Aufnahme von etwa tausend minderjährigen Flüchtlingen zuzustimmen. Der Vorsitzende der Organisation, Christoph Waffenschmidt, sprach nach einem Besuch auf Lesbos am Dienstag von „entsetzlichen Zuständen“. Er wies darauf hin, dass in dem auf 3000 Menschen ausgelegten Lager Moria inzwischen mehr als 20.000 Geflüchtete ausharren müssten. Davon seien etwa 40 Prozent jünger als 18 Jahre, unter ihnen knapp 1000 Kinder, die ohne Begleitung geflüchtet sind: „Sie können keine reguläre Schule besuchen und sind Gewalt und Missbrauch schutzlos ausgeliefert“. Demgegenüber stünden in Deutschland tausende Plätze in aufnahmebereiten Kommunen bereit, die nicht genutzt werden können, so die EKD in ihrer Ankündigung für die Reise.

(mit dpa, epd)

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