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HEYES Woche: Eigentum verpflichtet

Wer immer sich einen Anwalt sucht, sollte sich den Mann genau ansehen. Es könnte ja sein, dass er gar nicht geeignet ist, die eigenen Interessen einzuklagen.

Wer immer sich einen Anwalt sucht, sollte sich den Mann genau ansehen. Es könnte ja sein, dass er gar nicht geeignet ist, die eigenen Interessen einzuklagen. So wäre es ratsam, bei sehr diffizilen, das Herz berührenden Streitigkeiten, jemanden zu suchen, der mehr als Paragrafen kennt. Es soll ja Anwälte geben, auch männliche, die sich in die Gefühle von Menschen hineindenken können. Andere sind vielleicht von schwierigen Sachverhalten überfordert. Nach so einem Fall sieht das aus, was sich derzeit am Groß Glienicker See abspielt. Da präsentieren die Grundstückseigner einen Rechtsvertreter, dem man nur dringend raten kann, sprachlich abzurüsten. Menschen, die friedlich demonstrieren, nehmen ein Recht wahr. So etwas als „aufgehetzten Mob“ zu beschreiben, spricht von mangelndem Demokratieverständnis.

Zumal nicht alle Anrainer ein unterentwickeltes Verständnis für die historische Doppelbödigkeit des Streits um einen ungehinderten Zugang zum See haben dürften. Man muss sich nur die Mauer vor das geistige Auge holen und die Geräusche der marschierenden Streife laufenden Grenzorgane und ihre ans Koppelschloss schlagenden Maschinengewehre vergegenwärtigen, wenn sie auf dem Kolonnenweg patrouillierten.

Mit dem Ende des Ost-West-Konflikts wuchs die Hoffnung, dass nie wieder Mauern oder Zäune oder Stacheldraht an diesem Ufer stehen würden. Wäre es also ein zu waghalsiger Gedanke, wenn sich am Groß Glienicker See doch Sinn für Gemeinnutz als selbstverständliche demokratische Tugend durchsetzen würde?

In den Parks rund um Potsdam gab es mehr als ein Dutzend Mauertote, die in den Stacheldrahtverhauen verbluteten oder in der Havel ertranken, die sie als Fluchtweg nutzen wollten. Ist es da ein Wunder, wenn die teilweise Sperrung und Verdrahtung des Kolonnenweges, der viele Potsdamer nach 1990 ihren Groß Glienicker See wieder zu entdecken half, wie ein mickriger Rückfall anmutet? Unsere gemeinsame Verfassung sagt direkt und unmissverständlich: „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.“ Auch Enteignung ist zulässig, wenn sie dem Allgemeinwohl dient. Es wäre doch toll, wenn geschriebene Verfassung und Verfassungswirklichkeit in Übereinstimmung zu bringen wären. Warum nicht am Groß Glienicker See – und am Griebnitzsee.

Uwe-Karsten Heye schreibt an dieser Stelle regelmäßig für die PNN. Unser Autor war Redenschreiber bei Willy Brandt, und Regierungssprecher von Bundeskanzler a.D. Gerhard Schröder. Heye lebt mit seiner Familie in Babelsberg, ist Autor und Chefredakteur der SPD-Zeitung „Vorwärts“.

Uwe-Karsten Heye

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