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"Elterntaxi" in Potsdam.

© oto: Ralf Hirschberger/dpa (archiv)

Helikopter-Eltern gefährden Schulkinder: Bei schlechtem Wetter kommt das "Elterntaxi"

Helikopter-Eltern in der Kritik: Bei Regen oder Schnee wird jeder dritte Grundschüler zur Schule gefahren. Potsdamer Lehrer versuchen, den "Elterntaxis" Einhalt zu gebieten.

Potsdam - Vor allem an den Potsdamer Grundschulen ist es die ewige Wiederkehr des Immergleichen: Allmorgendlich zwischen 7.30 und 8 Uhr nähern sich Eltern den Schulen ihrer Kinder wie eine Armada. Mit mehr oder minder großen Vehikeln pirschen sie sich so nah wie möglich an die Eingangstüren heran. Gern in zweiter Reihe halten sie an und lassen die Mädchen und Jungen aussteigen – die sollen bloß nicht mehr als ein paar Meter allein zur Schule zurücklegen müssen, vor allem, wenn die Zeit schon knapp ist.

In dem Blechgetümmel vor den Bildungsstätten versuchen sich die Schüler, die zu Fuß oder auf dem Rad kommen, bis zum Schultor durchzuschlagen. Sie bewegen sich bei Dunkelheit oder Dämmerung fast silhouettenhaft, nur schwer sind sie zu erkennen, und immer wieder kommt es, wie Silvana Green, Schulleiterin der Grundschule Bornim, beobachtet hat, zu gefährlichen Situationen. Es fehlt oft nicht viel, bis es kracht – und ein Schuleingang zum Tatort wird.

Green stand morgens mit der Mutter eines Grundschülers um 7.20 Uhr vor der Schule. „Nicht selten gefährden Eltern, die ihre Kinder mit dem Auto zu uns bringen, andere Kinder“, sagte sie den PNN. „Schüler, die mit dem Rad kommen, sehen hinter sich Scheinwerfer, sind abgelenkt und kommen ins Schlingern. Bisher ist das zum Glück glimpflich ausgegangen.“

In Bornim eskalierte die Lage, als nach den Sommerferien wegen Bauarbeiten nur der Schuleingang im Walnussring geöffnet war. Manche Fahrer der sogenannten „Elterntaxis“ setzten ihr Kind ab und wendeten umgehend. Durch diese riskanten Manöver der sogenannten Helikopter-Eltern, die ihre Sprösslinge umschwirren wie ein Hubschrauber, um sie vor Belastungen wie langen Schulwegen zu schützen, steigt die Unfallgefahr rapide.

Und dennoch: Etliche Mama-und- Papa-Chauffeure ignorierten Greens Bitten, den Walnussring zu meiden. Andere Eltern zeigten sich vernünftig – und schlossen sich sogar zu einer Initiative gegen den morgendlichen Autowahn zusammen. Mutig spielte Green Verkehrspolizistin, hielt Eltern in ihren Autos an und informierte sie. Der Bornimer Revierbeamte Harry Wenzel ließ sich an der Schule sehen – auch durch seinen Auftritt als Polizist in Uniform hat sich die Lage inzwischen entspannt.

Andere Schulen, andere Lösungen

Es gibt Potsdamer Schulen, die von der frühmorgendlichen Fürsorge-Fahrten verschont bleiben. „Vor der Eisenhart-Schule gibt es das nicht“, sagte Schulleiterin Andrea Wagner den PNN, „in der Kurfürstenstraße ist ein Halten vor der Schule nicht möglich“.

In der Grundschule Max Dortu aber, erzählt Schulleiterin Katja Broxtermann, werde das Thema „wiederkehrend in Elternversammlungen, Dienstberatungen der Lehrer und den Beratungen der Gremien relevant“. Die zuständige Revierpolizistin sei „auf unser Bitten regelmäßig vor Ort“. Die Schule habe die Einrichtung einer Tempo-30-Zone erreicht und ermutige ihre Schüler „immer wieder, den Schulweg mit dem Fahrrad oder in Gruppen zu Fuß zurückzulegen“.

Auch Sabine Röding-Kanwischer, Rektorin der Gerhart-Hauptmann-Grundschule, hat montags schon oft um 7.30 Uhr vor dem Schultor gestanden, um Präsenz zu zeigen. Die Stadt habe zudem mithilfe von zwei Pollern für einen sicheren Überweg zur Schule gesorgt. Eltern von Hortkindern, die Schüler nachmittags abholen, hat die Rektorin ausgetrickst: Das Schultor wird halbseitig geschlossen, das Gelände kann so nicht befahren werden.

Einige Eltern reagieren gereizt

Die Polizei müht sich, das Problem der „Elterntaxis“ mit regelmäßigen Schulwegkontrollen einzudämmen. Dies sei, sagte Pressesprecherin Juliane Mutschischk den PNN, „ein alltäglicher Arbeitsgegenstand“. „Selbstverständlich“ komme es dabei „zu Gesprächen zwischen Eltern und Beamten“. Die Stimmungslage, berichtet die Sprecherin, sei „hierbei gemischt, manche Eltern verstehen die Problematik und zeigen sich einsichtig, andere reagieren gereizt“.

Es gibt kaum noch Streit darum, dass den „Elterntaxis“ Einhalt geboten werden muss. Noosha Aubel, Potsdams parteilose Beigeordnete für Bildung und Jugend, appelliert an die Eltern, „ihre Kinder dem Alter entsprechend an das selbstständige Zurücklegen des Schulweges heranzuführen“. Ein Ergebnis der Fortschreibung des Schulwegsicherungskonzepts 2018 sei, dass alle Grundschulen und Schulen mit einer Primarstufe in Potsdam „als sicher eingestuft“ werden könnten.

Auch Hartmut Stäker, Präsident des Brandenburgischen Pädagogenverbandes, warnte in einer Umfrage der Deutschen Presseagentur vor Überbehütung, die Psychologen als „Overprotection“ bezeichnen. Schüler würden nicht nur zur Schule gefahren, sondern vereinzelt sogar bis zur fünften Klasse täglich von einem Elternteil bis ins Klassenzimmer begleitet werden.

Schüler motivieren

Kaum jemand hat einen so profunden Blick auf die Lage vor deutschen Schultoren wie der Verkehrsplaner Jens Leven aus dem nordrhein-westfälischen Wuppertal. Er weiß aus der Befragung von 20 000 Eltern von Grundschulkindern, „dass bei schlechtem Wetter jedes dritte Kind zur Schule gefahren wird“. Das sei „überall so, ob in Köln oder Potsdam“, sagte er den PNN. Die Schwankungsbreite sei erheblich: „In Altstadtlagen, wo die Schulen für Autos schwer zugänglich sind, werden rund drei Prozent gebracht, zur Internationalen Schule in Barleben bei Magdeburg kommen 80 Prozent der Kinder im Elterntaxi.“

Unfallrisiko am Schultor. Wegen parkender, wendender und fahrender Autos von Eltern direkt vor den Schulen geraten Schüler oftmals in Gefahr.
Unfallrisiko am Schultor. Wegen parkender, wendender und fahrender Autos von Eltern direkt vor den Schulen geraten Schüler oftmals in Gefahr.

© Patrick Pleul/dpa

Schüler, so Leven, müssten dazu motiviert werden, den Schulweg selbst zu meistern. Erforderlich sei ein Zusammenwirken von Verkehrsplanern, Kommunen, Schule und Eltern. Für Eltern, die sich selbst dann nicht umstimmen lassen, wenn die Schulwege sicherer werden, sei die Einrichtung sogenannter Eltern-Haltestellen anzuraten, am besten in einer Entfernung von 250 Meter vom Schuleingang. Sie werden bisweilen Hol-und- Bringzonen, Kiss-and-Go-Zonen oder, wie in München, „Pfiati-Bussi-Zonen“ genannt.

Mancher brandenburgische Ort ist in dieser Hinsicht zukunftsweisend. Nahe der Steinweg-Grundschule in Kleinmachnow wurde bereits ein Eltern-Parkplatz eingerichtet.

Carsten Holm

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