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Helfer in Potsdam: Die Kunst des Zuhörens

Die Potsdamer Seelsorgerin Martina W. betreut an Weihnachten Menschen, die niemanden haben – am Telefon

Von Eva Schmid

Eine kleine Kerze, ein Weihnachtsstern und ein paar Plätzchen stehen am Arbeitsplatz von Martina W. Daneben ein Telefon, das nie stillsteht. Es ist Heiligabend und Martina W. hat Dienst in der Potsdamer Telefonseelsorge. Seit fünf Jahren engagiert sie sich im Telefonseelsorge-Team und hört sich von Beginn an auch an Weihnachten die Sorgen der Anrufer an.

„Die Themen zu Weihnachten und zum Jahreswechsel sind schon andere als im restlichen Jahr – es geht viel um Familie“, erzählt die 38-jährige Potsdamerin. Um die Anonymität zu wahren, die sie für ihren Dienst braucht, möchte sie nicht mit ihrem richtigen Namen in der Zeitung stehen.

„Menschen, die ganz alleine sind oder seit Jahren den Kontakt zu Familienmitgliedern verloren haben, rufen an den Feiertagen häufig an.“ Wenn Martina W. den Hörer abnimmt, dann macht sie eigentlich etwas ganz Lapidares: „Ich höre einfach nur zu – wenn man sich etwas von der Seele reden kann, das hilft schon sehr.“ Es seien aber wie im restlichen Jahr nicht nur dramatische Gespräche. „Viele Leute denken, dass hier nur suizidgefährdete Menschen anrufen.“ Martina W. führt auch Telefonate mit Familienmitglieder, die sich über ihre Geschenke beschweren oder mit Großeltern, die sich nicht eingeladen fühlen.

Und klar, viele Jugendliche, die sich in ihrer Freizeit, besonders in den Ferien, langweilten, würden es auch mit Scherzanrufen probieren. Dies komme aber eher an Silvester vor. Die Potsdamer Telefonseelsorgerin sieht es gelassen: „Wir sind ja nicht alle bierernst hier – bei Kindern und Jugendlichen ist viel Neugierde dabei.“ Sie vermutet jedoch, dass wenn die Hemmschwelle des ersten Anrufes überstanden sei, es auch Kindern und Jugendlichen leichter falle, sich bei Problemen zu melden. Für Martina W. ist es immer etwas Besonderes, wenn Kinder anrufen. Besonders nah geht es ihr, wenn es Kindern schlecht gehe. Das ginge dann zum Teil auch bis zu extremen Missbrauchsfällen.

Sie erinnert sich besonders an eine, wie sie sagt, „schöne“ Geschichte: „Ein Mädchen hatte mich angerufen und hatte starke Angina. Die Mutter des Kindes war aus irgendwelchen Gründen auf dem Sofa bereits eingeschlafen. Das Mädchen wollte einfach nur, dass ich so lange am Telefon bleibe, bis sie eingeschlafen ist. Es ging nicht um einen Notfallplan, sondern einfach darum, symbolisch am Bett zu sitzen. Nach einer ganzen Weile habe ich dann leise den Hörer aufgelegt.“

Bei der Telefonseelsorge ist Anonymität das oberste Prinzip. Die eingehenden Anrufe auf der kostenfreien 0800-Nummer werden an Telefonseelsorgestellen in ganz Deutschland weitergeleitet. Somit weiß man nie, aus welchem Teil des Landes der Anrufer sich gerade meldet. Daher motiviert Martina W. im Gesprächsverlauf oft die jungen Anrufer, sich an bestimmte Beratungsstellen oder auch gegebenenfalls Notdienste zu wenden.

Das Einzige, was Martina W. hat, ist die Stimme des Anrufers: „Nur aus dem, was mir erzählt wird, kann ich etwas deuten.“ Auch sie sei für den Anrufer ja eine völlig fremde Person. Daher versuche sie mit demjenigen zusammen zu überlegen, was man machen könnte. Sätze wie „Wenn ich an deiner Stelle wäre...“ sagt sie nicht mehr. Sowohl Anrufer als auch Seelsorger müssten einen Draht zueinander finden.

„Manchmal braucht man einen, der mitfühlt, manchmal braucht man einen Fels in der Brandung.“ Solche Feinheiten hört sie mittlerweile nach fünf Jahren Telefonseelsorge mit zwei bis drei Schichten pro Monat heraus.

In einer neunmonatigen Ausbildung an Wochenenden und Abenden hat die Angestellte im öffentlichen Dienst diese Feinheiten gelernt. In der letzten Ausbildungsphase seien bei den Gesprächen auch immer zwei Mentoren dabei, die einen begleiten. Die monatlich stattfindende Supervision helfe ihr, schwierige Gespräche aufzuarbeiten.

„Der Dienst ist an Weihnachten als auch im restlichen Jahr immer spannend und man muss schon neugierig sein, sonst ist das nicht das passende Ehrenamt.“ Für jeden Anrufer bringe sie eine gewisse Neugierde mit, um ihm so zuhören zu können, wie er es erwartet. Eigentlich, so überlegt sie, sei Zuhören ja etwas sehr Puristisches, Simples, aber mit großer Wirkung. „Viele Menschen vergessen heutzutage, wie wertvoll es ist, jemandem sein Ohr zu leihen.“ Das Thema Einsamkeit, das die meisten Menschen zum Hörer greifen lässt, verdeutliche doch, dass unsere Gesellschaft zu wenig zuhöre.

Martina W. freut sich schon auf ihren Weihnachtsdienst, da sei sie generell harmonischer. Manchmal würden ihr die Anrufer etwas mit der Gitarre vorspielen, es werde zusammen gebetet und gelacht. Einsamkeit kann so, wenigstens für einen kurzen Moment, ausgeblendet werden.

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