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Begleitung für die ersten Lebensmonate. Familienhebammen werden speziell für die Unterstützung von jungen Familien mit besonderen Bedürfnissen ausgebildet. Sie begleiten beispielsweise Mütter, die drogen- oder alkoholsüchtig sind, eine Behinderung haben oder an einer psychischen Krankheit leiden, bis zu einem Jahr lang.

© dpa

Hebammen für besondere Fälle: Laute, kalte Welt

Familienhebammen helfen Eltern in schwierigen Lebenssituationen. Nun werden sie auch in Potsdam ausgebildet.

Von Katharina Wiechers

Wie halte ich das Kind richtig? Wie funktioniert das Wickeln? Trinkt der Säugling genug? Warum schreit das Baby? Es ist eine Flut von Fragen, die sich nach der Geburt eines Kindes stellt. Auch die intakteste Familie und die geduldigste Frau kann da überfordert sein, doch noch komplizierter wird es, wenn die Mutter drogen- oder alkoholsüchtig ist, eine Behinderung hat oder unter einer psychischen Krankheit leidet. Schon seit einigen Jahren gibt es für solche Fälle das Modell der Familienhebamme, die Frauen mit besonderem Bedarf bis zu ein Jahr lang begleitet. Auch in Potsdam findet derzeit erstmals eine Fortbildung für solche Hebammen statt, noch bis Anfang Oktober dieses Jahres läuft der eineinhalbjährige Kurs. Doch noch ist unklar, ob die Frauen danach überhaupt als Familienhebammen in Potsdam arbeiten können. Denn bislang fehlt in der Stadt noch ein Modell zur Finanzierung.

Etwa 15 Hebammen aus ganz Brandenburg sind es, die seit April vergangenen Jahres regelmäßig in die Landeshauptstadt kommen, um sich zur Familienhebamme fortbilden zu lassen. Insgesamt 300 Stunden müssen sie absitzen, bevor sie ein entsprechendes Zertifikat erhalten. Verschiedene Dozenten erteilen den Unterricht in den Räumen der Fachhochschule am Alten Markt – schließlich ist das Potsdamer Familienzentrum, das die Kurse organisiert, an die Hochschule angegliedert.

Auch vier Hebammen aus Potsdam nehmen an der Fortbildung teil, eine von ihnen ist Marei Künicke. Die 42-Jährige arbeitet seit elf Jahren als Hebamme in der Landeshauptstadt, gemeinsam mit drei Kolleginnen betreibt sie eine Hebammenpraxis in Potsdam-West. „Ich habe faktisch schon vorher als Familienhebamme gearbeitet“, sagt Künicke. Doch dann gab es Probleme mit der Stadtverwaltung – weil sie kein Zertifikat vorweisen konnte, sei sie nicht offiziell als Familienhebamme gelistet worden. Dieses Problem will sie nun mit der Fortbildung beheben.

Bislang hat sie mit Frauen gearbeitet, die bei der Geburt sehr jung waren, die eine Behinderung hatten oder ein Alkoholproblem, wie Künicke erzählt. „Es gibt Fälle, in denen zwar keine Betreuung durch das Jugendamt nötig, aber Unterstützung trotzdem wichtig ist.“ Bis zu ein Jahr lang kommen Familienhebammen regelmäßig vorbei, also weitaus länger als „normale“ Hebammen, die die Familien meist nur einige Wochen lang begleiten.

Während es kurz nach der Geburt vor allem darum gehe, dass das Kind genug an Gewicht zulege, liege später der Schwerpunkt auf der richtigen Förderung, sagt Künicke. Sie gibt den Müttern zum Beispiel Tipps, welches Spielzeug in welchem Alter geeignet ist, welche Ernährung gut für das Kind ist oder auch welche Beratungsstellen die Eltern bei bestimmten Problemen aufsuchen können. „Wenn die Kinder erst dann auffallen, wenn sie mit drei Jahren in den Kindergarten kommen, ist es für vieles schon zu spät.“ Auch um psychische Probleme der Mutter gehe es oft, so Künicke. „Wir sind keine Therapeuten, aber wir bieten psychosoziale Beratung an.“

Wer bedürftig sei, lasse sich aber nicht pauschalisieren, betont die Hebamme. „Nicht jede minderjährige Hartz-IV-Empfängerin braucht automatisch eine Familienhebamme. Manche schaffen das auch so ganz toll ohne, zum Beispiel mithilfe der eigenen Eltern.“ Am schwierigsten sei es ihrer Erfahrung nach mit Frauen, die Suchtprobleme haben, sagt Künicke. „Sie wollen sich die Sucht oft nicht eingestehen und verstecken ihre Probleme eher.“ Diesen Frauen falle es deshalb häufig schwer, Hilfe anzunehmen.

Aber es gebe auch andere Beispiele, erzählt Künicke. „Erst neulich habe ich einen Anruf von einer Frau bekommen, die unter Epilepsie leidet und ganz offen gesagt hat: ,Ich schaffe das alleine nicht.’“ Allerdings musste sie die Frau enttäuschen – solange die Ausbildung nicht abgeschlossen ist, kann Künicke in Potsdam nicht als Familienhebamme arbeiten.

Der Titel ist zwar nicht geschützt, doch das Problem ist die Finanzierung. Denn im Gegensatz zur üblichen Hebammentätigkeit kann diese Zusatzleistung nicht über die Krankenkasse abgerechnet werden. „Das muss über das Jugend- oder das Gesundheitsamt im Landkreis oder der kreisfreien Stadt laufen“, sagt Martina Schulze, Vorsitzende des Brandenburger Hebammenverbandes. Zwar gebe es in Potsdam sogar eine Koordinatorin bei der Stadt, doch ein Plan zur Finanzierung existiere dennoch nicht.

Ein Finanzierungsmodell befinde sich derzeit noch in der internen Abstimmung, heißt es dazu von der Potsdamer Stadtverwaltung auf Anfrage. Geplant sei eine Kooperationsvereinbarung zwischen dem Gesundheitsamt, wo auch die Koordinatorin angesiedelt sei, und dem Fachbereich Kinder, Jugend und Familie. Noch im September solle die Vereinbarung geschlossen werden. Diese werde regeln, unter welchen Voraussetzungen eine Familienhebamme in Anspruch genommen werden kann, wer ihren Einsatz koordiniert und wie die Mittel aus dem seit 2012 laufenden Bundesprogramm „Frühe Hilfen“ verteilt werden.

Mit diesen Mitteln wird auch der Kurs an der Fachhochschule finanziert, die Hebammen müssen lediglich ihre Zeit und die Anfahrtskosten beisteuern. Es ist das erste Mal, dass in Brandenburg offiziell Familienhebammen ausgebildet werden, wie Schulze sagt. Die meisten Frauen, die schon als solche gearbeitet haben, haben entweder eine Fortbildung in Berlin besucht, die dort vor sieben Jahren angeboten wurde, oder sich gar zur staatlichen Familienhebamme in Niedersachsen ausbilden lassen. Brandenburg habe sich ganz bewusst gegen eine staatliche Ausbildung entschieden, um den Inhalt regelmäßig anpassen zu können, so Schulze.

Derzeit besteht dieser aus mehreren Themenblöcken, unter anderem zu rechtlichen Grundlagen, zu möglichen Erkrankungen der Mutter oder Entwicklungsstörungen beim Kind. Zentralster Punkt sei aber die sogenannte Bindungstheorie, sagt Schulze. „Schon vor Jahren haben Untersuchungen gezeigt, dass es nicht reicht, Kinder zu füttern und zu wickeln. Um sich zu entwickeln, brauchen sie genauso dringend Geborgenheit, Liebe und Nähe“, erklärt sie.

Dass bei der Bindung zwischen Mutter und Kind etwas nicht stimmt, merke man zum Beispiel, wenn es keinen Blickkontakt zwischen beiden gebe, sagt Schulze, die selbst seit Jahren als Hebamme arbeitet. Dieser sei für das Kind aber wichtig, damit es merke, dass es nicht allein ist. „Man muss sich das so vorstellen: Dem Kind geht es nach der Geburt erst mal um 100 Prozent schlechter als vorher“, sagt Schulze. „Es ist laut, es ist kalt, es ist hell, die Nahrung kommt nicht mehr automatisch und das Kind wird nicht mehr vom Fruchtwasser gestreichelt.“ Das Neugeborene müsse erst mal lernen, dass es zwar jetzt auf der Welt und ein eigenständiges Individuum sei, aber nicht alleingelassen und trotzdem versorgt werde. „Sie müssen erst mal das sogenannte Urvertrauen aufbauen.“ Gerade Mütter, die selbst schlechte Erfahrungen in der Kindheit gesammelt hätten, könnten dies manchmal schwer vermitteln. Ein Teufelskreis, den eine Familienhebamme im besten Fall durchbrechen kann.

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