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Ralf Schneider, Geschäftsführer der K+S Elektroservice GmbH in Drewitz, ist „gut durch die Krise gekommen“. 

© Ottmar Winter

Handwerkskammer Potsdam ist zuversichtlich: Tauschhandel wie zu DDR-Zeiten

Die Geschäftslage in 88 Prozent der Handwerksbetriebe der Region ist befriedigend bis gut. Die Situation der Friseure und Kosmetiker ist schwieriger.

Von Carsten Holm

Potsdam - Die Handwerkskammer Potsdam blickt trotz der Coronakrise und des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine mit verhaltener Zuversicht in die Zukunft. Bei einer im März erhobenen Umfrage unter 3000 der 17.400 Betriebe in 130 verschiedenen Gewerken schätzten 88 Prozent ihre aktuelle Geschäftslage mit gut oder befriedigend ein, immerhin sechs, sieben Prozent mehr als im Vorjahr. Friseure, Kosmetiker und Textilreiniger bewerteten die Lage schlechter – sie waren, sagte Robert Wüst, Präsident der Handwerkskammer Potsdam, bei einem Gespräch am Mittwoch. „am meisten von den Coronamaßnahmen betroffen“.

Ralf Schneider, Geschäftsführer der K+S Elektroservice GmbH in Drewitz, bestätigte den mit Abstrichen positiven Trend. „Wir sind gut durch die Krise gekommen“, sagte er den PNN auf Anfrage. Das Unternehmen hat sich auf die Installation von elektrischen Anlagen spezialisiert, Probleme machen im Moment aber Lieferschwierigkeiten bei Sicherungen und Zubehör für Zählerkästen.

Fachkräftemangel bereitet Sorgen - und die Inflation

Die meisten Betriebe in West-Brandenburg, sähen, so Wüst, „den tiefsten Punkt des Konjunkturtals hinter sich“. Sie hätten volle Auftragsbücher, Sorgen bereiteten ihnen der Fachkräftemangel und die anhaltende Inflation, aber auch die hohen Energiepreise und gestörte Lieferketten. Wegen steigender Preise seien „viele Projektumsetzungen gefährdet“. Der Geschäftsklimaindikator, der auch Erwartungen an die Zukunft beinhalte, sei auf dem gleichen Niveau wie im Frühjahr 2021. Überdurchschnittlich gut hätten das Ausbau- und das Bauhauptgewebe zu tun. Die durchschnittlichen Auftragsvorläufe, also die bereits fest gebuchten Aufträge, lägen mit 11,3 Wochen eine Woche über dem Niveau von 2021 – mit Folgen: „Die Kunden brauchen vor allem eines: Viel Geduld“, sagte Wüst.

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Der Trend ist positiv: Hätten 2021 noch 38 Prozent der Betriebe im ersten Quartal Umsatzrückgänge gemeldet, seien es in diesem Jahr nur 25 Prozent gewesen. Die Zahl derer, die steigende Umsätze verzeichneten, habe sich auf 38 Prozent verdoppelt. Mit großer Freude vermeldete der Handwerks-Präsident bei den Auszubildenden ein Zehnjahreshoch für West-Brandenburg: 3300 junge Frauen und Männer wollen Handwerkerinnen und Handwerker werden.

Materialbeschaffung wird „zur Herkulesaufgabe“

Viele Kundinnen und Kunden wissen es längst: Wer Handwerker beauftragt, muss mit steigenden Preisen rechnen. 84 Prozent der Befragten berichteten ihrer Kammer von gestiegenen Einkaufspreisen, 23 Prozent mehr als vor einem Jahr. Fast sieben von zehn Betrieben geben die Steigerungen an die Kunden weiter. Schlimmer noch: Bäcker hätten, so Wüst weiter, wegen „Lieferengpässen und hohem energetischen Herstellungsaufwand Produkte aus dem Sortiment genommen“. Für Bauunternehmen entwickele sich die Materialbeschaffung angesichts des Preises und der Verfügbarkeit „zur Herkulesaufgabe“, die Fertigstellung von Baustellen verzögere sich weiter.

Ralph Bührig, Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer, berichtete von einer zurückhaltenden Investitionsneigung der Unternehmen. 16 Prozent investierten weiter, 29 Prozent hätten ihre Investitionen allerdings zurückgefahren, dazu gehörten die Handwerksbetriebe des gewerblichen Bedarfs, während Kfz-Betriebe auf gleichem Niveau wie im Vorjahr investiert hätten. „Trotz bestandenem Corona-Test“, sagte Bührig, blickten die Handwerker pessimistischer in die Zukunft als 2021. 

Damals äußerten sich 13 Prozent eher negativ, bei der jüngsten Umfrage der Kammer waren es 20 Prozent. Trotzdem gingen 86 Prozent der Betriebe von gleichbleibenden oder sogar steigenden Auftragseingängen aus. Vier von zehn rechneten sogar mit steigenden Umsätzen. Der Hauptgeschäftsführer bezeichnete den Mangel an Fachkräften, den demografischen Wandel und den Renteneintritt der Babyboomer, die Kostenexplosionen, die Lieferengpässe sowie die Inflation als „Entwicklungshemmnisse für das Handwerk“.

Gerüchte sorgen für Hamsterkäufe

Der Krieg in der Ukraine hat nach der Darstellung von Handwerks-Präsident Wüst Auswirkungen auf Brandenburger Firmen. Dass umkämpfte Stahlwerk in Mariupol, das größte in Europa, könne jetzt keinen Stahl produzieren, das drücke auf Lieferzeiten und Preise. Zudem seien Eimer für die Produktion von Farben schwer zu akzeptablen Preisen zu bekommen „so wie Müllbeutel zu Coronazeiten“.,

Es ist eine Zeit, in der Hysterien schnell gedeihen. In der Prignitz habe ein Hersteller von Dachziegeln, so Bührig, seine Maschinen einer turnusmäßigen Wartung unterzogen, worauf das Gerücht entstanden sei, dass der Betrieb mangels der Zulieferung seine Produktion einstellen müsse. Es kam zu dem, was während der Corona-Pandemie zeitweise in Supermärkten bekannt wurde: zu Hamsterkäufen.

Und es brechen längst vergangen geglaubte Gewohnheiten wieder auf. Handwerker, die sich um Vorräte sorgen, verabreden sich laut Bührig wie zu DDR-Zeiten zu Tauschgeschäften: „Geb’ ich dir Steckdosen, gibst du mir Lichtschalter.“

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